- Weisbands Weisheiten
Die ehemalige Spitzen-Piratin Marina Weisband verspricht in ihrem aktuellen Buch „Ideen für eine neue Politik”
Marina Weisband ist wieder da, Sie erinnern sich bestimmt: Das ist diese junge Frau, die vor einem Jahr noch in vielen Medien als adrette Frontfrau der Piratenpartei gehyped wurde und zu allem irgendetwas zu sagen haben schien. Nachdem sie im April 2012 nicht mehr als politische Geschäftsführerin ihrer Organisation kandidiert hatte und das Feld somit ihrem unglücklich agierenden Nachfolger Johannes Ponader überließ, war es rasch wieder stiller geworden um sie; in der Zeit war vor ein paar Wochen zwar noch ein Artikel über Marina Weisband erschienen, in dem es vor allem um ihre Begeisterung für Rollenspiele ging, aber inhaltlich schien Sendeschluss zu sein – zumindest für Außenstehende, die nicht ständig die persönlichen Wasserstandsmeldungen auf Twitter abrufen. Es war aber nur eine Sendepause, denn mit ihrem Buch „Wir nennen es Politik“ liegen seit einigen Tagen Weisbands „Ideen für eine zeitgemäße Demokratie“ (so der Untertitel) zum Kauf in den Buchhandlungen aus. Natürlich kann man das Werk auch im Internet herunterladen, das versteht sich für eine Autorin, die ihre Adoleszenz mehr oder weniger im Internet verbracht hat, ohnehin von selbst.
Als Klappentext firmiert ein Zitat des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, in dem er Marina Weisband als ein Mittel gegen den „grassierenden Zynismus“ rühmt, „das sofort wirkt“. Das ist natürlich die übliche Aufblase, und es sollte dem Tropen-Verlag auch nicht verübelt werden, dass er mit solchen Sprüchen wirbt, weil sich das Projekt ja nicht nur inhaltlich für die Autorin, sondern auch für alle anderen Beteiligten wirtschaftlich rechnen soll. Trotzdem führt diese in der Branche übliche Form von „advance praise“ in die falsche Richtung, denn Weisband versteht sich keineswegs als eine politische Heilsbringerin, die man nur mal machen lassen müsste, damit plötzlich alles gut wird. Im Gegenteil, sie leitet ihr Werk sogar mit der größtmöglichen Bescheidenheit ein: „Nehmen Sie dieses Buch nicht zu Ernst. Es ist von einer 24-jährigen Studentin geschrieben, also was kann man davon erwarten?“
[gallery:Wie sich die Piraten anpassen]
Ja, was kann man also von den gut 170 Seiten bedruckten Papiers erwarten? Ganz bestimmt keine politische Offenbarung. Aber das leisten, ehrlich gesagt, auch die Bücher von gestandenen Berufspolitikern nur in den allerseltensten Fällen. „Wir nennen es Politik“ ist vielmehr eine Art politische Coming-of-Age-Geschichte, die schon deswegen lesenswert ist, weil man doch einiges über das Innenleben der Piratenpartei erfährt, die trotz aller Transparenz immer noch wie eine „black box“ im deutschen Parteiensystem wirkt, weil sie sich schwer damit tut, konkrete Inhalte zu formulieren. Was natürlich in der Natur der Sache liegt, weil sie sich – und das möchte ich den Piraten ausdrücklich zugutehalten – mehr als andere Parteien mit meinungsbildnerischen Verfahren auseinandersetzt. Natürlich kann man sich über die in piratischen Kreisen erprobten Systeme wie „liquid feedback“ oder „liquid democracy“ immer schnell mal lustig machen, weil sie ja selbst bei deren wichtigsten Protagonisten noch nicht richtig zu funktionieren scheinen.
Aber es wäre doch einigermaßen idiotisch, einfach darüber hinwegzugehen – und gleichzeitig in das derzeit vielgesungene Klagelied über mangelnde Bürgerbeteiligung am politischen Willensbildungsprozess einzustimmen. Marina Weisband ist jedenfalls davon überzeugt, dass das Internet unserer Gesellschaft in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten der Teilhabe eröffnet – und dass wir sie nutzen sollten. Es täte jedenfalls auch den habituellen Piraten-Verächtern ganz gut, einfach mal in Ruhe darüber nachzudenken, ob und wie wir uns technische Innovationen wie das World Wide Web zunutze machen können, damit die parlamentarische Demokratie wieder an Lebhaftigkeit und vor allem an breiter Akzeptanz gewinnt. Es steht ja nirgendwo geschrieben, dass das Internet nur dazu gut ist, schnell mal Schmähungen loszuwerden oder mit Preisvergleichen nach dem nächstbesten Schnäppchen zu suchen.
Wer in Marina Weisbands Buch nach nichtssagenden Allgemeinplätzen sucht, wird auch diese finden. So etwas in dieser Art: „Wenn ich zum Beispiel Eislauf auf einem See erlaube und eine Abgrenzung da mache, wo das Eis zu dünn ist, wird das Eislaufen viel entspannter und freier. Obwohl der Platz, wo man fährt, kleiner ist.“ Das Sinnieren über die Ambivalenz zwischen Freiheit und Einschränkung vor dem Hintergrund des Wunsches nach Selbstverwirklichung ist mindestens so alt wie die Demokratie selbst und bedürfte insofern wirklich keiner Eislauf-Metaphern. Andererseits ist es auch nicht schlecht, wenn eine prominente Piratin wie Marina Weisband diesen Zielkonflikt ausdrücklich benennt.
Immerhin steht ja ganz besonders ihre eigene Partei in dem Ruf, eine Ansammlung von computerverrückten Egoshootern zu sein, denen es nur um größtmögliche Freiräume im weltweiten Netz geht. Was, cum grano salis, einfach nicht der Realität entspricht. Um es an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich zu sagen: Weisband plädiert nicht dafür, die repräsentative Demokratie in ihrer erprobten Form abzuschaffen und durch ein internetbasiertes Update zu ersetzen. Sondern um plebiszitäre Ergänzungen, die freilich sehr stark durch das bestehende System eingehegt werden sollen. Es geht ihr ausdrücklich nicht um die digitale Revolution, sondern um eine bessere Partizipation, bei der die von den Parteien angebotenen programmatischen Pakete wieder ein bisschen aufgeschnürt werden. Vielleicht nicht die schlechteste Methode, um der grassierenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.
Marina Weisband geht nicht mit einem geschlossenen Weltbild hausieren, sondern sie beschreibt sich selbst als lernendes System, wenn sie offen zugibt, dass sie ihr Buch schon heute womöglich anders schreiben würde als zum Zeitpunkt der Drucklegung. Das ist in jedem Fall klüger, als ständig auf alten Positionen zu beharren. Wir alle kennen die notorische Rechthaberei vieler Mandatsträger zur Genüge – und sind ihr längst überdrüssig. Oder beobachten mit Staunen, welche Methoden etwa die CDU-Vorsitzende anwenden muss, um ihre Partei zu „modernisieren“ – nämlich unter weitest gehender Verhinderung von offener Aussprache.
Sich angreifbar zu machen, das sollte aus Sicht der Autorin Weisband aber nicht als taktischer Fehler bewertet werden, sondern als eine politische Tugend, die gewissermaßen in der Natur der Sache liegt. „Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich mit dem Satz konfrontiert wurde: ,Das darfst du nicht machen, damit bietest du Angriffsfläche.‘ Nicht von irgendwelchen Etablierten. Von meinen eigenen Parteifreunden. Von meinen engen Freunden. Von meinem Verlobten. Aber ich wollte nicht ,keine Angriffsfläche bieten‘. Ich wollte nicht im Krieg sein. Ich wollte Mensch sein und mitgestalten. Also setzte ich mich mit der größtmöglichen Naivität, die ich aufbringen konnte, darüber hinweg.“
Womit wir bei einem Thema wären, welches ausgerechnet die Piraten am wenigsten in den Griff zu bekommen scheinen: Die permanente und nicht selten völlig enthemmte Empörungsbereitschaft im Internet, besser bekannt als „Shitstorm“. In kaum einer anderen Partei sieht sich die „Führungsebene“ (wenn man sie denn überhaupt so nennen darf) derart heftiger und zermürbender Kritik ausgesetzt wie bei den Piraten. Man könnte beinahe von einem Geburtsfehler sprechen, der dafür gesorgt hat, dass die Piraten nach ihrem Höhenflug inzwischen wieder auf das Niveau der „Sonstigen“ abgesunken sind.
Weisband scheut sich nicht, den Finger in diese schwärende Wunde zu legen und richtet einen dringenden Appell nicht zuletzt an ihre eigene Klientel: „Es soll auch geschimpft werden. Wir leben in einem freien Land mit Redefreiheit und allem. Man sollte sich nur bewusst sein, dass das Geschimpfe dazu führt, dass noch mehr unter den Teppich gekehrt wird, und wir so immer höhere Erwartungen an Politiker haben. Ein Teufelskreis.“
Diesen Teufelskreis durchbrechen zu wollen, ist nicht nur ein legitimes, sondern ein hehres Anliegen. Wer dem nur das Wörtchen „naiv“ entgegenzusetzen hat, ist eigentlich zu bedauern.
Marina Weisband: Wir nennen es Politik. Tropen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2013. 174 S., 16,95 €
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