- Wer soll das noch zahlen?
Der künftige Kurs in der Gesundheitspolitik ist bei den Koalitionsverhandlungen heftig umstritten. Das Problem sind die steigenden Kosten. Wer soll dafür zahlen?
Die Kosten für die Krankenversicherung steigen – doch darüber, wer diese Ausgaben schultern soll, sind Union und SPD heillos zerstritten. So wird die Gesundheitspolitik zum Prüfstein dafür, wie ernst es beide Seiten mit der großen Koalition meinen. Am Donnerstag muss sich die große Runde damit befassen.
Vor welchen Herausforderungen steht das deutsche Gesundheitssystem?
Viele verstehen die Aufregung nicht: Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schwimmt im Geld, das Leistungsspektrum des deutschen Systems ist weltweit eines der besten.
Aber seriösen Schätzungen zufolge verwandeln sich die heutigen Milliardenreserven spätestens 2017 in ein zweistelliges Milliardenloch. Der Beitragsfluss – angeschwollen durch eine Erhöhung um satte 0,6 Prozentpunkte und die gute Konjunktur mit wenigen Arbeitslosen – wird sich deutlich verringern. Die Demografie schlägt zu Buche, der medizinische Fortschritt verlangt seinen Preis. Und viele Experten sind sich auch sicher, dass das System der privaten Krankenversicherung (PKV), wenn es nicht umfassend reformiert wird, vor die Wand fährt – weil es unbezahlbar wird. Die Privatkassen haben keine Möglichkeit, auf Qualität, Menge und Kosten der Leistungen Einfluss zu nehmen. Und die Ärzte halten sich an ihren Privatpatienten immer offensichtlicher schadlos.
Wie stellen sich SPD und Union die künftige Finanzierung vor?
Die Union findet, dass alles auf bestem Wege und „mit einer umsichtigen Ausgabenpolitik“ beherrschbar ist. Das heißt: Die Arbeitgeberbeiträge blieben eingefroren und um 0,9 Punkte niedriger als die der Arbeitnehmer. Und alle künftigen Kostensteigerungen werden über pauschale Zusatzbeiträge allein von den Versicherten gestemmt. Die SPD dagegen möchte zurück zur paritätischen Finanzierung, bei der Arbeitgeber wieder exakt die Hälfte des Beitrags bezahlen. Sie will die einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge, die sie für ungerecht hält, wegbekommen. Und sie möchte auch keinen Einheitsbeitrag mehr, sondern die Kassen wieder individuell die Beitragshöhe bestimmen lassen. Schon in drei bis vier Jahren, so warnt SPD-Verhandlungsführer Karl Lauterbach, müssten Versicherte im Schnitt Zusatzbeiträge von monatlich 30 bis 35 Euro obendrauf zahlen. Es könne nicht sein, dass man Rentner und Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen immer stärker belaste. Sein Unions-Kollege Jens Spahn dagegen malt den Verlust von Arbeitsplätzen an die Wand: Die Rückkehr zur Parität würde die Arbeitgeber knapp fünf Milliarden Euro kosten, rechnet der CDU-Politiker vor. Und mit den Zusatzbeiträgen habe man es endlich geschafft, die Gesundheitskosten vom Arbeitsmarkt zu entkoppeln.
Wird es in einer großen Koalition bei dem bestehenden Doppelsystem aus gesetzlich und privat Versicherten bleiben?
Ja, und zwar uneingeschränkt. Wegen des Widerstands der Union gebe es „nicht einen einzigen Schritt in Richtung Bürgerversicherung“, konstatierte Lauterbach nach der letzten Arbeitsgruppensitzung in der Nacht zum Dienstag. Spahn bestätigte dies. Angesichts des Wahlergebnisses könne „ niemand ernsthaft von uns verlangen, dass wir über eine Bürgerversicherung diskutieren“. Der SPD-Wunsch, auch Beamte und Selbstständige in ein solidarisch finanziertes System zu bekommen, ist damit endgültig vom Tisch. Immerhin hat man ein bisschen was für die Kosmetik getan. Kassenpatienten dürfen sich künftig, wenn sie länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten müssen, auch im Klinikum behandeln lassen. Bezahlt würde das dann aus dem Fachärzte-Budget. Die SPD verkauft dies, weil sie sonst kaum was hat, als „wesentlichen Schritt zum Abbau der Zwei- Klassen-Medizin“. Real jedoch wird sich an der Benachteiligung wenig ändern. Da die Ärzte für Privatpatienten weiter deutlich höhere Honorare verlangen können, bleiben gesetzlich Versicherte zweite Wahl. Dafür müssen die Bevorzugten immer tiefer ins Portemonnaie greifen – und kleine Beamte, Selbstständige und Rentner kommen auch künftig nicht aus der teuren Privatversicherung heraus. Nachdem die Union mit ihrem Wunsch ebenfalls gescheitert ist, die Wechselmöglichkeit innerhalb des privaten Systems zu erleichtern, bleiben die Kunden dort weiter allen Beitragssteigerungen ausgeliefert. Eine echte Wechseloption hätten sie nur, wenn sie ihre Altersrückstellungen mitnehmen dürften. Hier sperrte sich aber die SPD, denn die Betroffenen sind nicht ihre Klientel. Außerdem hat sie kein Interesse daran, das PKV-System durch Verbesserungen zu stabilisieren.
Welche Kompromissmöglichkeiten gibt es?
Mit den kleinen Vorwärtsbewegungen in Richtung Bürgerversicherung war es schon mal nichts. Die Union ließ sich weder ein Zeitfenster ein, innerhalb dessen unzufriedene Privatversicherte wieder ins gesetzliche System hätten zurückwechseln können, noch akzeptierte sie eine einheitliche Gebührenordnung, die Schluss gemacht hätte mit höheren Honoraren für Privatpatienten. Doch um sich zu einigen, müssen die Sozialdemokraten auch was bekommen. Bei der Arbeitgeber-Beteiligung wird sich die Union stur stellen. Bleiben die Zusatzbeiträge. Wenn sie nicht ganz wegzukriegen sind, könnte man sie wenigstens einkommensabhängig gestalten. Sprich: Reiche zahlen mehr. Dabei sorgt sich die SPD weniger um die ganz Armen, denn für die gibt es einen Sozialausgleich. Betroffen seien vor allem Bezieher mittlerer Einkommen, sagt Lauterbach. Weil die Zusatzbeiträge mit voller Wucht in die nächste Wahl prasseln dürften, ist ein Einlenken der Union hier zumindest denkbar. Als Gesundheitsminister a.D. und praktizierender Populist dürfte CSU-Chef Horst Seehofer die Brisanz einer sich ausweitenden Kopfpauschale erahnen.
Was ist mit der überfälligen Pflegereform?
Auch hier müssen die Parteichefs eingreifen. Die Experten von Union und SPD sind sich zwar einig, dass vieles verbessert werden muss und dafür auch die Beiträge steigen müssen. Mit dem von der SPD geforderten Aufschlag um 0,5 Prozentpunkte können CDU und CSU ebenfalls leben. Allerdings wollen sie die Erhöhung nur schrittweise – und davon auch noch 0,1 Punkte in eine Reserve für geburtenstarken Jahrgänge stecken, die ab 2035 ins Pflegealter kommen. Die Sozialdemokraten finden das angesichts der niedrigen Verzinsung auf den Kapitalmärkten unsinnig und argumentieren, jeder Euro werde für die aktuell Pflegebedürftigen benötigt.
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