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GDL-Streik - Von Macht und Verhältnismäßigkeit

Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) will auch die Mitglieder tarifieren, die nicht die Züge steuern – und ruft deshalb zum größten Streik der Bahn-Geschichte. Geht es hier um Macht oder Tarifautonomie?

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Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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Polizeischutz, das ist eigentlich nichts für einen ehemaligen Lokführer aus Dresden. Eher was für VIPs – Very Important Persons wie Filmschauspieler, Spitzenpolitiker, Topmanager. Aber doch nichts für einen unscheinbaren Mann mit beamtisch zurechtrasiertem Oberlippenbart, der schon mit 18 Jahren den Zug auf dem Gleis und im Takt des Fahrplans hielt. 

Geht es um Claus Weselsky oder die Verhandlungen?


Bisher sah Claus Weselsky, Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), auch gar „keine Notwendigkeit“ für den polizeilichen Schutz seiner Privatsphäre. An diesem Mittwochabend aber hat er ihn beantragt, „weil es hier in einer unglaublichen, nennen wir es einfach Verletzung meiner Privatsphäre, nicht mehr um die Sache geht“, sagte er dem ARD-Morgenmagazin.

Die Sache, das sind die Verhandlungen zwischen der Deutschen Bahn und der GDL, die künftig auch jene Gewerkschaftsmitglieder – wie es so schön heißt – tarifieren will, die nicht im Führerhäuschen einer Lok sitzen. Bei den Zugbegleitern sind das immerhin drei von zehn. Für sie handelt allerdings die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) Tarifverträge aus. Auf der anderen Seite ist die GDL für jene 20 Prozent der Lokführer zuständig, die nicht Mitglied ihrer Gewerkschaft sind. Das regelt der Grundlagen-Tarifvertrag, der seit dem 30. Juni nur mehr provisorisch gilt, bis ein neuer unterschrieben ist. Aber das will die GDL nicht, sie will für ihre Zugbegleiter selbst verhandeln – und damit Tarifpluralität.

Und um die Sache, dieses tarifäre Problem, sagt Weselsky, gehe es in der öffentlichen Diskussion gar nicht mehr. Sondern um ihn persönlich. Den Magnet deutscher Fahrgast-Wut. Den Empörungswellenbrecher. Focus Online zeigte die Fassade des Hauses, in dem der „aktuell wohl meistgehasste Deutsche“ wohnt. Der Springer-Boulevard druckte die Büronummer des Gewerkschaftschefs ab – mit der Aufforderung, dem „Größen-Bahnsinnigen“ die Meinung zu geigen.

Kein Maßstab für Verhältnismäßigkeit


Abgesehen davon, dass Weselsky nicht alleine, sondern ein 30-köpfiges Gremium entscheidet, ob gestreikt wird oder nicht: Welche Meinung soll man der GDL eigentlich geigen? Dass der Ausfall der meisten Berliner S-Bahnen und von zwei Dritteln aller Züge im Fernverkehr ärgerlich ist? Geschenkt. Dass das Verhältnis zwischen dem längsten Streik der Bahn-Geschichte und den Forderungen nicht stimmt? Da wird es schon schwieriger.

Das Frankfurter Arbeitsgericht zumindest erkennt den Arbeitskampf als verhältnismäßig zu den Forderungen an. Gestern lehnte die Vorsitzende Richterin einen Antrag der Bahn auf einstweilige Verfügung gegen den GDL-Streik mit der Begründung ab, die Arbeitsniederlegungen der GDL seien gerechtfertigt.

Ab wann ein Streik unverhältnismäßig ist, ist indes kaum festzustellen. „Die Rechtsprechung hat hierfür noch keinen Maßstab konkretisiert“, erklärt Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Er selbst hält den GDL-Streik nicht für unverhältnismäßig. „Mit dem Streik bekräftigt die GDL ihren Verhandlungsanspruch, zum Beispiel auch höhere Löhne und die Begrenzung von Überstunden umzusetzen“, sagt Thüsing.

Darüber allerdings wird gar nicht verhandelt.

Über die Hintertür zurück zum Grundlagen-Tarifvertrag?


Am 17. Oktober legte die Bahn ein Angebot vor, in dem sie beispielsweise auf die Erhöhung der Entgelte um fünf Prozent einging. Außerdem sollten im kommenden Jahr 200 zusätzliche Lokführer eingestellt werden, um Mehrarbeit abzubauen. Die GDL lehnte jedoch ab. Warum? Zuerst müsse die Verhandlungszuständigkeit für die Zugbegleiter mit GDL-Mitgliedschaft geklärt werden, heißt es bei der Gewerkschaft.

Die größere Gewerkschaft EVG wirft ihr vor, mit einem massiven Arbeitskampf nur den eigenen Machtbereich ausdehnen zu wollen. Auf dem Tisch für die Verhandlungen mit der Bahn liegt eben auch ein zwischengewerkschaftlicher Konflikt.

Den will die Bahn mit einem Entwurf zum „Tarifvertrag zur Regelung tariflicher Verfahrensfragen“ entschärfen. Künftig soll der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e.V. (Agv MoVe), dem die Bahn angehört, parallel mit EVG und GDL verhandeln. Die beiden Gewerkschaften sollen sich auf gemeinsame Verhandlungspositionen einigen, womit sowohl GDL als auch EVG ihren Einflussbereich erweitern würden.

Gelangen sie jedoch zu keinem gemeinsamen Ergebnis, verhandelt der Agv MoVe mit der jeweiligen Gewerkschaft über die entsprechenden Verträge. „Dass man sich nicht einigt, ist der Ausnahmefall“, sagt eine Bahn-Sprecherin. Bei der bisherigen Stimmung zwischen EVG und GDL allerdings ist dies nicht unwahrscheinlich. Damit wäre man im Ergebnis wieder bei der Regelung im Grundlagen-Tarifvertrag.

Die GDL liest den Vorschlag daher als „Tarifdiktat“. Man dürfe zwar theoretisch über die Forderungen für das Zugbegleitpersonal verhandeln, „aber die Entscheidung, welche Inhalte tatsächlich tarifiert werden und welche Tarifstruktur maßgebend ist, soll allein eine Gewerkschaft treffen, der die GDL-Mitglieder nicht angehören wollen“.

Streik um Macht?


Gemäß dem Vorschlag der Bahn könnte die GDL aber nicht nur theoretisch verhandeln, sondern eben faktisch eine gemeinsame Position mit der EVG suchen, um ihre Interessen gemeinsam gegenüber der Bahn durchzusetzen. Fakt ist aber auch, dass im Zweifel die EVG das letzte Wort hätte – wie übrigens auch die GDL bei den Lokführern, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind.

Es geht also um Tarifautonomie. Denn schließlich sind 30 Prozent der Zugbegleiter GDL-Mitglieder. Die GDL streikt aber auch für die eigene Macht. Denn die ergibt sich aus der Anzahl der Mitglieder, für die sie Verhandlungsmacht besitzt. Darf sie das?

Das bundesdeutsche Recht gibt daruf genausowenig Antwort wie zur Verhältnismäßigkeit von Streiks.

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