- Die linke Deutungshoheit im Netz durchbrechen
Ob SPD, Grüne, Linke oder FDP: Die meisten etablierten Parteien haben mit eigenen Initiativen auf die Piraten geantwortet, jetzt zieht die Union mit dem „cnetz“ nach. Der Bundestagsabgeordnete und Mitbegründer Peter Tauber über christliche Werte, Computerspiele und die „sozialistische“ Konkurrenz
Herr Tauber, Sie bekommen derzeit viel Spott ab für die
Namensgebung „cnetz“. In den neunziger Jahren trug das letzte
analoge Mobilfunknetz der deutschen Telekom den selben Namen. In
seiner Ironie klingt das fast schon wieder gewollt.
Natürlich ist der Name retro. Uns ist schon klar, was das „cnetz“
war. Wenn man einer Partei angehört, die das C im Namen trägt und
sich wie ich mit Leib und Seele dieser Partei verbunden fühlt, die
netzaffinen Mitglieder erreichen will, dann funktioniert das in
einer visualisierten Welt über Symbole und Schlagwörter. Das C ist
ein Hinweis auf die Nähe zur Union und das Netz definiert das
Politikfeld, mit dem wir uns befassen. So einfach ist das.
Aber
deutet der Name nicht auch an, dass Sie sich an Menschen
orientieren, die im Netz noch nicht angekommen sind?
Nein. Die Mitglieder sind alle „Netzbewohner“. Wir sind damit aber
schon bei einem ganz spannenden Punkt. Die Häme resultiert aus
meiner Sicht daraus, dass es viele ärgert, dass ihre linke
Deutungshoheit, was Netzpolitik ist und welche Positionen
Netzpolitiker zwangsläufig vertreten müssen, damit in Frage
gestellt wird. Die Menschen empfinden es als einen Affront, dass
sich da Leute mit konservativen und dezidiert bürgerlichen
Überzeugungen in „ihrem“ Internet tummeln. Die fühlen sich in ihren
Kreisen gestört. So sieht doch die Wahrheit aus, deshalb sind die
Reaktionen teilweise so polemisch. Denen kann man nur sagen, dass
sie sich mal locker machen sollen.
Die Netizens tun so, als wüssten die blöden
Christdemokraten gar nicht, wie blauäugig diese Namensgebung
aussieht.
Wir haben extra mit der Telekom geklärt, ob es noch Rechtsansprüche
auf diesen Namen gibt.
Hätten Sie den Verein auch so schnell an den Start
gebracht, wenn es den Eklat um Ansgar Heveling nicht gegeben hätte?
Ist der Verein auch eine Nachhilfeeinrichtung für übermütige
Unionspolitiker?
Der Verein ist vor allem dazu da, einen Meinungsbildungsprozess zu
beschleunigen oder zu begleiten. Wir haben in der Union viele
Menschen, die einen besonderen Bezug haben zur Netzpolitik, aber
nicht in der ersten Reihe sitzen und keine gewählten Abgeordnete
sind. Von den derzeit 83 Mitgliedern sind keine 14 Prozent
Berufspolitiker. Das ist ein Hinweis darauf, dass es in der Partei
ein großes Interesse gibt und wir bei weitem mehr als nur ein paar
Funktionsträger ansprechen. Außerdem steht das „cnetz“ auch Leuten
offen, die sich der Union verbunden fühlen, aber eben kein Mitglied
sind. Das ist ein Vorteil. Wir hoffen, dass wir dadurch viel
inhaltlichen Sachverstand für netzpolitische Debatten fruchtbar
machen können.
Wie das?
Wir stellen derzeit die Tools dafür bereit. Ob man in München oder
Gelnhausen sitzt, jeder kann sich an den Debatten online
beteiligen. Wir hoffen, so auch Know-How einholen zu können.
Von wem denn, wenn schon die Gründungsmitglieder eher
älteren Semesters sind und kaum Bezug zur Kerngruppe der
informationstechnologischen Dienstleister aufzeigen
können?
Von den neunundfünfzig Mitgliedern waren gerade mal drei über
fünfzig. Übrigens ist Thomas Jarzombek, der wie ich als Sprecher
von „cnetz“ fungiert, selbst Geschäftsführer eines IT-Unternehmens
gewesen und sicherlich ein echter Fachmann. Wir haben auch
Leute aus der IT-Branche, die uns die Tools für digitale Demokratie
wie Adhocracy aufsetzen.
Aber das sind dann Zuarbeiter, keine exponierten
politischen Gestalten.
Das cnetz ist nicht dazu da, die Positionen einzelner Abgeordneter
zu verstärken und zu beklatschen. Thomas Jarzombek und ich werden
als Sprecher den Mitgliedern und den gemeinsam entwickelten
Positionen eine Stimme geben. Und wenn ein „cnetz“-Mitglied mit
einer guten Idee aufwartet, dann wird es sicherlich auch öffentlich
in Erscheinung treten. Warten Sie mal ab, was wir da für tolle
Jungs und Mädels dabei haben.
Während das Netz sich bisher noch nicht mit Ihren
Inhalten auseinandersetzen kann, erzeugen die Initiativen anderer
Parteien schon sehr unterschiedliche Reaktionen. Vor allem scheint
es um das richtige Marketing zu gehen. Wie erklären Sie sich, dass
etwa das netzpolitische Forum der FDP, die Digitalen Liberalen,
insbesondere auf Twitter so wohlmeinend aufgenommen wurde, diese
positive Resonanz aber wiederum der sozialdemokratischen
Einrichtung D64 nicht gelingt?
Eine gute Frage. Ich will und kann aber nichts Negatives über D64
sagen. Gott sei Dank ist dort im Unterschied zu vielen anderen
parteipolitischen Debatten auch eine gemäßigtere Art von Diskurs
möglich.
In der Enquete Internet scheitert die Diskurskultur
immer dann, wenn die Kameras angehen. Hier haben Sie die
parteipolitisch eingefärbte Debatte vor allem am Streitpunkt
Netzneutralität erlebt. Die CDU hat die Vorzugsbehandlung von
privatwirtschaftlichen Daten für die Zukunft nicht ausschließen
wollen. Wie geht das mit einer „Freiheit“ im Netz zusammen, die das
CNetz bewahren will?
Wir waren uns alle einig, dass Netzneutralität ein hohes Gut ist.
Als Vorsitzender der Projektgruppe habe ich selbst immer wieder
diese Position klar gemacht. Die Streitfrage war doch vielmehr, ob
Netzneutralität in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt
gefährdet ist. Die Union sagt nach allen vorliegenden
Informationen, das dies nicht der Fall ist. In der Novelle des
Telekommunikationsgesetzes steht nun, dass die Bundesregierung auf
dem Verordnungswege jederzeit eine Verordnung zur Durchsetzung von
Netzneutralität erlassen kann. Und die Union hat gefordert, dass
die Bundesnetzagentur dem Bundestag einmal jährlich berichten soll,
wie der Sachstand zur Netzneutralität ist. Außerdem haben wir uns
klar zum Best-Effort-Prinzip bekannt. Ich finde, das ist eine sehr
klare Position pro Netzneutralität. Man muss Probleme lösen, die da
sind und keine Phantomprobleme.
Kurzum, Sie scheuen sich vor einem vorsorglichem
Freiheitsbekenntnis in Form der Netzneutralität. Aber welche
Auslegung von Freiheit ist dann gemeint?
Wenn wir im Zusammenhang mit dem Internet über Freiheit reden, dann
ist das doch mehr als eine technische Komponente. Für uns gilt
sowohl die Freiheit des Einzelnen und die Wahrung von Grund- und
Bürgerrechten, als auch ein Freiheitsbegriff, der uns befähigt,
Verantwortung für uns selbst und andere zu übernehmen. Dieser
Aspekt des Diskurses kommt bisher zu kurz. Das ist etwas Neues,
darin unterschieden wir uns sicherlich von den Piraten.
Wie müsste das Netz dahingehend umgestaltet
werden?
Wir müssen das Netz in seiner Struktur erhalten, jedem Menschen den
Zugang ermöglichen und aufpassen, dass nicht ein paar wenige
Unternehmen Einfluss auf Struktur und Inhalte haben. Darüber hinaus
ist das eine zivilgesellschaftliche und keine politische Aufgabe.
Das Netz ist weder gut noch böse. Das Netz ist eine leere Hülle,
die wir täglich füllen. Es liegt an uns, was wir hineingeben. Wir
haben die Aufgabe, so etwas wie einen neuen contrat social, einen
Gesellschaftsvertrag, zu entwickeln. Dazu gehören vermeintlich
banale Dinge, wie der Umgang miteinander oder mit denjenigen, die
eine Minderheitenmeinung vertreten. Da habe ich mit Blick auf viele
Debatten im Netz den Eindruck, dass wir da alle noch eine Menge
lernen müssen.
Sind nicht die Nutzer viel zu unkritisch, als dass sie
sich zusammenringen, um so etwas wie eine Wertegesellschaft zu
bilden und diese zum Beispiel den Big Four
– Google, Apple, Amazon und Facebook
entgegenzusetzen? Das Netz ist eigentlich der Ort der
Individualstandpunkte.
Ich mache mir da keine Illusionen. Es wird keinen Konvent geben, an
dessen Ende eine „Verfassung“ für das Netz steht und alle halten
sich daran. Was passiert also, wenn eine Einzelmeinung abstrus ist?
Wird sich einer davorstellen und sagen: Wir müssen den nicht mögen,
aber im Sinne Voltaires muss ich seine Meinung ja nicht teilen, um
für sein Recht einzutreten, sie zu äußern. Ich bleibe dabei: Es
gibt erhebliche Defizite in der Diskussionskultur im Netz. Und das
liegt nicht an Parteien oder Gesetzen. Da muss sich jeder Mal an
die eigene Nase fassen – auch die, die mit guten Ratschlägen an
Parteien und Politiker immer ganz vorne mit dabei sind.
Sie meinen das Phänomen des Shitstorms, eigentlich
nichts weiter als ein laut verkündeter hegemonialer
Diskurs.
Manche Shitstorms sind durchaus berechtigt, wer pointierte
Meinungen vertritt, muss sowas aushalten. Aber es gibt Dinge, die
würden die Menschen sich niemals ins Gesicht sagen. Im Netz findet
eine Entgrenzung statt. Ich habe meine Zweifel, ob das für einen
demokratischen Diskurs förderlich ist.
Trolling – also die
oftmals feindselige Störung von Debatten aus der Anonymität des
Netzes heraus – ist auch unter
christlichen Gesichtspunkten abzulehnen. Erstaunlicherweise weisen
gerade die Piraten in ihrer Empörung und Streitbarkeit eine
niedrige Toleranzgrenze für Gegenpositionen auf. Muss dem
persönlichen Angriff im Netz mit Empfindsamkeit begegnet
werden?
Wir alle haben uns ein paar in Mitteleuropa geltende Standards im
Umgang miteinander angewöhnt. Wer sich nicht daran hält, der darf
auch nicht die Erwartung hegen, dass er als Gesprächspartner ernst
genommen wird. Das heißt nicht, dass ich flauschige Debatten will.
Es kann schon hart zur Sache gehen. Wem es in der Küche zu heiß
ist, der sollte nicht kochen. Wir werden mit dem CNetz auch
getrollt und auf Belastbarkeit getestet. Hätten wir beleidigt
reagiert, wäre es schlimmer geworden.
Dann würde aber doch eine Verrohung stattfinden, die
einem christlichen Wertebild entgegenstünde? Sie sagen, man muss
sich im Netz ein dickeres Fell wachsen lassen. Warum nicht alle
Emotionen in das Netz hineintragen, wie man sie auch bei einem
direkten Gegenüber sehen und bemerken würde?
Als Kind habe ich gelernt, dass man bestimmte Dinge einfach nicht
tut, auch wenn sie vielleicht erlaubt sind – eben, weil sie anderen
schaden könnten. Darüber hinaus begegnen uns im Netz natürlich die
Extreme wie beispielsweise der Aufruf zur Lynchjustiz gegenüber dem
Mörder und dem zuvor verdächtigten Mörder des kleinen Mädchens in
Emden via Facebook. Das ist eine solche Grenzüberschreitung. Es ist
notwendig, dass Menschen aufstehen und auf den Rechtsstaat
verweisen. Das Netz offenbart da keine Meinung, die es nicht auch
schon vorher gegeben hätte. Sie führt uns nur vor Augen, welche
Abgründe es in unserer Gesellschaft gibt. Es ist mehr
schonungsloser Spiegel als ein Katalysator für das Böse. Wir als
Bürger müssen dann aufstehen und sagen, dass wir bestimmte
Äußerungen und Verhalten nicht akzeptieren. Das macht eine
Gesellschaft menschlicher und solidarischer als der Ruf nach
Gesetzen.
Die Netzmeinung ist politisch bereits vorbestimmt durch
die junge Downloadkultur der Piratenpartei. Wie wollen Sie da
Einfluss nehmen?
Diese Frage stellen wir uns so nicht. Es gab positive Resonanz aus
verschiedenen Bereichen, auch von Mitgliedern des Chaos Computer
Clubs. Wir wollen einen offenen Diskurs über die Chancen der
Digitalisierung für unsere Gesellschaft. Zugleich glauben wir, dass
unser Land gut damit gefahren ist, dass am Ende meist der
Kompromiss und der Konsens standen. Das mag wenig revolutionär
sein, aber es hält am Ende eine pluralistische Gesellschaft eher
zusammen.
Sind Sie die erste Partei, die ernsthaft versucht, Werte
in das Netz zu tragen?
Nein, ganz sicher nicht.
Sind Sachverständige wie Markus Beckedahl, obwohl
Grünenmitglied, nicht vor allem Technokraten?
Herr Beckedahl und andere haben einen anderen Zugang zum Thema. Er
meint beispielsweise, dass Kultur – also die Ergebnisse eines
künstlerischen Schaffensprozesses – der Allgemeinheit gehört, nicht
mehr dem Künstler, dem Urheber oder demjenigen, dem der Künstler
die Rechte an der Verwertung abgetreten hat. In Sachen Urheberrecht
haben er und seine Mitstreiter einen eher sozialistischen
Wertehorizont. Die Frage ist doch: Negieren wir das geistige
Eigentum als Grundbegriff, ist es erledigt und obsolet? Oder hat es
eine Berechtigung, dass Menschen, die etwas schöpfen oder schaffen,
auch die Deutungshoheit darüber haben, wie mit ihren Erzeugnissen
umgegangen wird? Ich würde die letzte Frage mit ja beantworten,
auch wenn ich glaube, dass das Urheberrecht dringend überarbeitet
gehört.
Sie selber geben als Grund für Ihre Mitwirkung an, dass
Sie sich nicht von anderen definieren lassen wollen, was Freiheit
bedeutet. Wen meinen Sie damit?
In den im Netz geführten Diskursen gibt es momentan eine linke
Hegemonie des Freiheitsbegriffs, der aus meiner Sicht eher einer
absoluten Beliebigkeit das Wort redet. Es wird suggeriert, dass es
ein Wesensmerkmal des Internets sei, dass jeder tun und lassen
könne, was er will. Freiheit ist aber das Gegenteil: Freiheit ist
meistens ziemlich anstrengend, sie bedeutet, Verantwortung zu
übernehmen. Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, sieht man am
teilweise erschreckenden Niveau der Diskussionen im Netz. Wenn wir
schon im Umgang miteinander nicht mal die einfachsten Spielregeln
einhalten, wie wollen wir dann eine pluralistische Gesellschaft im
Netz abbilden und Respekt und Achtung gewährleisten?
Wird das „cnetz“ jemals wieder Netzsperren
fordern?
Eins ist mal sicher: sollte irgendjemand in der politischen Debatte
Netzsperren fordern, dann wird er auf den entschiedenen Widerstand
von CNetz stoßen.
Herr Tauber, spielen Sie Computerspiele?
Ja, ich besitze eine PS3. Mein aktuelles Lieblingsspiel ist Red
Dead Redemption.
Auch den legendären C64?
Ich hatte den Nachfolger, den C128.
Was war Ihr Liebligsspiel damals?
Defender of the crown. Wer mal einen Commodore hatte, der muss das
Spiel kennen.
Herr Tauber, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Paul Solbach
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