- „Die erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“
Der Bundestag berät über den Haushalt. Doch Zahlen, wie teuer die Griechenland-Rettung für Deutschland konkret werden könnte, liegen noch nicht vor. Während die SPD erstmals mit einem Nein zu weiteren Hilfen droht, versteigt sich Angela Merkel in Eigenlob
Dass man die Bundeskanzlerin warten lässt, kommt nicht häufig vor. Der zweite Tag der Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestags war aber so ein Tag. Angela Merkel spaziert in den Plenarsaal, doch die Debatte verzögert sich um eine halbe Stunde.
Alles wartet auf Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister, der noch bis vier Uhr morgens mit seinen Amtskollegen in Brüssel verhandelt hat, wird noch von den anderen Fraktionen in die Mangel genommen. Er muss ihnen erklären, warum sich die Eurogruppe nicht auf neue Milliarden für Griechenland einigen konnte. Deutschland hatte sich in der Nacht geweigert, wesentliche Rettungsmaßnahmen mitzutragen. Seit dem Sommer haben sich die Krisenmanager knauserig gezeigt: So lange schon wartet Griechenland auf sein Geld in der nächsten Hilfstranche – mittlerweile etwa 44 Milliarden Euro.
Stattdessen sickert aus der Union durch, wie sich Angela Merkel selbst die Krisenrettung vorstellt. Die erste Möglichkeit wäre eine erneute Finanzspritze an den Euro-Rettungsfonds EFSF in Höhe von 10 Milliarden Euro. Ergänzt würde dies um ein Schuldenrückkaufprogramm. Die zweite Option wäre eine radikale Zinssenkung für Athens Kredite. Was genau getan werden soll, wollen die europäischen Finanzminister erst am Montag beraten.
Doch was kostet die Krise den Steuerzahler nun tatsächlich? Die SPD fühle sich nicht richtig informiert, schimpft Frank-Walter Steinmeier vor Pressevertretern. Der Bundeshaushalt jedenfalls würde so noch vor seiner Verabschiedung „Makulatur“.
Die Haushaltsberatungen dienen traditionell auch einem Schaulaufen von Regierung und Opposition. Vor dem Hintergrund der Eurokrise nutzen sowohl SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück als auch Angela Merkel die Bühne für ihre Wahlkampfrhetorik.
Den Auftakt macht Steinbrück. In seiner 25-minütigen Stellungnahme will er sich schon mal zur Generalattacke warm reden; aber so richtig heiß wird er dabei nicht. Zwar gehe es Deutschland in der Krise noch sehr gut. „Aber wir sind Alice im Wunderland nicht wegen, sondern trotz dieser schwarz-gelben Regierung.“ Er ergänzt: „Diese Koalition hat mehr Glück als Verstand.“ Die Grundlagen dafür hätte nicht nur Rot-Grün, sondern auch die Große Koalition gelegt. Damit redet Steinbrück ausgerechnet jenem schwarz-roten Bündnis das Wort, das er selbst stets für sich ausgeschlossen hatte.
Von der Bundesregierung sei „kein konzises Krisenmanagement“ ausgegangen, „keine kraftvolle Initiative“. Er habe weder zu den Stichworten „Wachstum und Beschäftigung“ noch zu „Mittelstand“ ein schwarz-gelbes Ergebnis im Recherchesystem des Bundestags finden können – ein Beispiel, mit dem er sich bereits kurz vor der offiziellen Nominierung als Kanzlerkandidat empfahl.
Dann wird Steinbrück etwas angriffslustiger. Erst Merkel direkt: „Sie sind keine über den Niederungen der Innenpolitik schwebende Präsidentin.“ Dann der Gesundheitsfonds: „Ein Sonderkonto für Wahlgeschenke“. Die Koalition, eine „Panzerknacker-Bande“, die Banken plündert. Die Energiewende: „Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt.“
Seite 2: Merkels Strategie sei „warten, wursteln und wegsehen“
Und schließlich die Euro-Rettung: Merkels Rezept für die offensichtlichen Probleme sei „warten, wursteln und wegsehen“. Steinbrück betont, Deutschland sei längst in einer Haftungsunion. Man müsse für die europäischen Partner genauso aufkommen, „wie wir für die deutsche Wiedervereinigung aufkommen müssen. Sagen Sie das der deutschen Bevölkerung“, ruft er der Kanzlerin zu.
Der SPD-Kanzlerkandidat fordert, den Haushaltsbeschluss solange zu verschieben, bis Klarheit in Europa herrsche. Und er droht erstmals offen mit einem Nein seiner Fraktion, sollten weder der Wachstums- und Beschäftigungspakt noch die Finanztransaktionssteuer in Europa umgesetzt werden: „Wenn wir uns wieder hinter die Fichte geführt fühlen, werden wir Ihnen die Kastanien nicht mehr aus dem Feuer holen.“
Angela Merkel, die während der Rede ihres Kontrahenten mal mit ihrem Vizekanzler Philipp Rösler tuschelt, mal desinteressiert in einer gelben Mappe blättert, setzt dagegen zu einer langen Erfolgsbilanz an. „Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung.“ Sie lobt die Fortschritte bei den soliden Finanzen und der sozialen Sicherung. Bis 2016 werde die Koalition keine neuen Schulden mehr machen, verspricht sie. Unter den Buh-Rufen der Opposition verteidigt sie eher lustlos das Betreuungsgeld: „Das haben wir ausführlich besprochen. Da will ich gar nichts mehr zu sagen.“
Merkel bekräftigt erneut ihr Bekenntnis zu Europa: „Wie wollen, dass Griechenland in Europa bleibt.“ Aber das entbinde die dortige Regierung nicht von Reformen, bei denen die Bundesregierung „keinerlei Abstriche“ machen werde. Merkel pariert Steinbrücks Vorwurf, keine Konzepte zu haben: Schwarz-gelb habe den Abgeordneten 500 Seiten zugesandt, in denen es nicht nur ums Sparen, sondern um einen „tief greifenden und notwendigen Umbau Griechenlands“ gehe. Außerdem sei der Wachstumspakt beschlossen: „Es wird ihn geben.“
Merkel geht auf ihre zwei Konzepte zur Krisenbewältigung, die lediglich von Unionsteilnehmern ausgetuschelt wurden, in ihrer Rede nicht ein. Wie überhaupt das Thema Europa im Vergleich zu ihrem innenpolitischen Eigenlob nur wenig Raum einnimmt.
Die heimliche Hoffnung der Kanzlerin ist, dass sie die Probleme der Eurozone durch Zaudern aussitzen kann. Somit könnte sie eine erneute Abstimmung im Bundestag umgehen. Für die bisherigen Hilfspakete erhielt sie stets nur eine äußerst knappe Kanzlermehrheit. Diese Mehrheit könnte jetzt wackeln, wenn die Schar der Abweichler – insbesondere in den eigenen Reihen – noch weiter wächst.
Doch ob ihre Strategie aufgeht, ist mehr als fraglich. Sollte es neue Milliarden regnen, wird sie um eine Bundestagsabstimmung wohl nicht herumkommen.
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