- Wahlkampf im Schmelztiegel
Pankow ist der heterogenste Wahlkreis der Hauptstadt. Hier prallt Ost auf West, jung auf alt, spießig auf hip, reich auf arm. Es wird spannend am 22. September. Gleich vier Direktkandidaten haben eine reale Chance, das heiß ersehnte Ticket in den Bundestag zu ergattern
Viele Deutsche sind enttäuscht von der trägen Wahlkampfshow dieses Jahres. Sie wenden sich entnervt ab. Doch nicht nur auf der großen politischen Bühne, sondern auch in Berlin-Pankow schleppt sich der Wahlkampf dahin. „Langweilig“ seien die Podiumsdiskussionen, räumt selbst SPD-Kandidat Klaus Mindrup ein. Die Kandidaten wären eben oft derselben Meinung, erklärt Stefan Liebich von der Linkspartei. Theatralisch vorgetragenen Parteienstreit sucht man in Pankow vergeblich.
Das mag auch an Lars Zimmermann liegen. Denn an der freundlichen und für den Parteienstreit wenig förderlichen Atmosphäre zwischen den Kandidaten ist der politische Quereinsteiger von der CDU nicht ganz unschuldig. Er war es schließlich, der seine Konkurrenten lange vor dem Wahlkampf gerne persönlich kennenlernen wollte und sie zum Kaffee einlud. Mittlerweile ist Zimmermann mit allen seinen Mitbewerbern per du. Nach lauwarmen Podiumsdiskussionen trinken die vier gerne mal ein kaltes Bier zusammen.
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Pankow ist der heterogenste Wahlkreis der Hauptstadt. Hier prallen Welten aufeinander: Ost und West, jung und alt, spießig und hip, reich und arm. Es wird spannend am 22. September. Gleich vier Direktkandidaten – ein alter politischer Hase, zwei Lokalgrößen und ein Neueinsteiger; zwei Ossis und zwei Wessis – machen sich Hoffnungen, das Direktmandat für den Bundestag zu gewinnen. Damit gehört Pankow zu den 25 spannendsten Wahlkreisen in ganz Deutschland.
Mieten sind explodiert
Liebich ist der Titelverteidiger. Er hat den Wahlkreis 2009 denkbar knapp gegen SPD-Kandidat Wolfgang Thierse gewonnen. Seit vier Jahren nun sitzt der Linkenpolitiker im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und ist viel unterwegs. Im Kiez bekommt man ihn nur noch selten zu Gesicht, aber er ist bekannt und beliebt. Liebich ist entspannt, trägt das Hemd offen, dazu ein Jackett und eine schwarze Designerbrille. Für seine 42 Jahre sieht er ziemlich jugendlich aus. Die Chancen für den gelernten DDR-Bürger und ehemaligen PDS-Landesvorsitzenden sind am 22. September nicht schlecht. Vor allem dann, wenn der Wahlkampf an der Basis weiter so konfliktarm verläuft.
Dabei passt das gute Verhältnis der vier Kandidaten so gar nicht zur Stimmung in dem Bezirk. Viele Pankower haben Angst, dass sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können und an den Stadtrand ziehen müssen. Weil der Bezirk und vor allem der Stadtteil Prenzlauer Berg bei Neuberlinern so beliebt ist, gibt es viel zu wenig Wohnungen. Die Mieten sind explodiert. Auch an Kita- und Schulplätzen mangelt es. Immer wieder kommt es zu Protesten, zuletzt demonstrierten die Pankower für eine Kleingartenkolonie, die zugunsten eines Neubauprojektes geschlossen werden soll. Pankow brodelt und weil viele Zuzügler aus dem Westen stammen, werden auch längst überholte Ost-West-Ressentiments wiederbelebt.
Pankow ist ein Wahlkreis, der schon zu DDR-Zeiten von Gegensätzen geprägt war. Hier lebten viele SED-Funktionäre. Im damals noch eigenständigen Bezirk Prenzlauer Berg hatte sich in verfallenen Altbauten eine alternative Politik- und Kulturszene etabliert, die 1989 gegen das SED-System aufbegehrte.
Heute glitzert es im Prenzlauer Berg, eine Ökoschickeria hat die Ostberliner Alternativszene verdrängt. Das Durchschnittseinkommen ist mittlerweile genauso hoch wie die Akademikerdichte. Je weiter man allerdings in den Norden fährt, desto bürgerlicher wird es. In den alten Plattenbauten und den neuen Sozialwohnungen am Stadtrand ballen sich die sozialen Probleme.
Die Politik muss eingreifen, damit sich die Konflikte nicht weiter zuspitzen, darin sind sich alle Kandidaten einig. Eine Mietpreisbremse muss her, sagt selbst der Kandidat der CDU. Die Rechte der Mieter müssen gestärkt werden. Die Wähler in Pankow müssen schon sehr genau hinhören, um die Unterschiede zwischen den vier Kandidaten herauszuhören.
Die Grünen etwa wollen bei der Mietpreisbremse die energetische Sanierung von Häusern ausklammern. Der SPD-Kandidat Mindrup warnt, dies könne von Vermietern für sachfremde Zwecke missbraucht werden. Der Linke Stefan Liebich wiederum will den städtischen Wohnungsbau wiederbeleben und Genossenschaften fördern.
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Im Vergleich zu Liebich hat Lars Zimmermann allenfalls Außenseiterchancen und dies vor allem dann, wenn sich die drei linken Kandidaten gegenseitig die Stimmen abjagen. Der 39-jährige Newcomer von der CDU, der in Berlin einen einflussreichen politischen Think-Tank leitet, propagiert eine Politik, die auf die Bevormundung der Bürger verzichtet. Vor vier Jahren erhielt die CDU im Wahlkreis Pankow 17,2 Prozent der Zweitstimmen und damit nur ein Prozent weniger als die SPD. Doch Wessi Zimmermann weiß, auch seine Partei muss sich verändern, will sie in Berlin wieder Wahlerfolge feiern. Liberaler, moderner und großstädtischer müsse die CDU werden. Solche Töne gefallen selbst dem roten Liebich, der den CDU-Kandidaten nicht ohne Koketterie für seinen persönlichen Favoriten kürt.
Grüner Kandidat spricht von einem rot-schwarzen Milliardengrab
Dabei ist in Wirklichkeit Klaus Mindrup der Kandidat, der Stefan Liebich am 22. September am ehesten gefährlich werden kann. Noch 2005 hat dessen sozialdemokratischer Vorgänger Thierse den Wahlkreis mit großem Abstand direkt gewonnen. An diesen Erfolg will Mindrup anknüpfen. Der gebürtige Westfale lebt seit 1995 im Prenzlauer Berg. Seit vierzehn Jahren ist er Bezirksverordneter in Pankow. Richtig in Fahrt kommt der Sozialdemokrat allerdings nur, wenn er über den Berliner Flughafen spricht. Er beteuert, an dem Desaster um den Neubau sei nicht die Berliner SPD schuld.
Das sieht Andreas Otto von den Grünen selbstredend ganz anders. Otto gehört dem Berliner Abgeordnetenhaus an und sitzt dort im Flughafenuntersuchungsausschuss. Seit die SPD vor zwei Jahren die Verhandlungen über ein rot-grünes Bündnis in der Hauptstadt platzen ließ und lieber mit der CDU eine Große Koalition bildete, ist Otto nicht mehr so gut auf die Berliner SPD zu sprechen. Kein Wunder also, dass der grüne Direktkandidat von einem Milliardengrab spricht, das SPD und CDU zu verantworten hätten.
Otto verweist nicht ohne stolz darauf, dass er bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 im Prenzlauer Berg sein Direktmandat gewonnen hat und sicherlich ist das grüne Kernklientel rund um den Kollwitzplatz seitdem weiter gewachsen und somit auch seine Chancen auf ein Bundestagsmandat, meint Otto. Nur ist der Bundestagswahlkreis Pankow sehr viel größer.
Zwei Wochen haben die vier Kandidaten noch Zeit, um die Wähler zu umwerben und nach getaner Wahlkampfarbeit gemeinsam Bier zu trinken. Wer dann am Ende das Rennen macht, bleibt völlig offen.
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