Medien und Debattenkultur - Über den Fall Gil Ofarim und die Inquisitionsgesellschaft

Gil Ofarim hat vor Gericht eine Falschaussage eingeräumt und sich entschuldigt. Unwahrscheinlich, dass viele Rädchen der Empörungsmaschinerie von damals es ihm gleichtun werden. Kritische Selbstreflexion passt leider nicht zur Inquisitionsgesellschaft.

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Eines bleibt, wie es war: Antisemitismus ist eine Tatsache. Der Kampf dagegen ist eine Aufgabe.“ Mit diesem Satz des zuständigen Richters endet am Dienstag eine Geschichte, die vor etwas mehr als zwei Jahren begonnen hatte. Am 4. Oktober 2021 postete der Musiker Gil Ofarim ein Video auf Instagram. Es zeigt ihn vor einem Leipziger Hotel auf dem Bordstein sitzend. 

Ofarim wirkt aufgelöst und erhebt schwere Vorwürfe gegen einen Hotelmitarbeiter, der später als Herr W. in der Presse landet. Dieser habe ihn beim Check-In, so Ofarim, aufgefordert, seine Kette mit einem Davidstern abzunehmen, erzählt er in die Kamera seines Smartphones. Wenige Stunden später ist die Hölle los. 

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Tomas Poth | Mi., 29. November 2023 - 18:10

Ofarim hat Mist gebaut, und das auf eine widerliche Weise!
Warum er das gemacht hat, welche Motivation, das kann nur er beantworten.
Wie auch er für sein Handeln ausschließlich der Verantwortliche ist und niemand anders.

All die ganzen Vorverurteilungen und Spekulationen über die Sache, fallen auch ausschließlich auf jene zurück, die sich entsprechend dazu geäußert haben.

Hans-Hasso Stamer | Mi., 29. November 2023 - 18:48

Ich zweifle daran. Ich glaube, dass Ofarim etwas gehört hat, was nicht gesagt worden war. Insofern hätten beide recht, und Ofarim hat erst jetzt, mit seinem taktischen Geständnis, gelogen. So deute ich sein am Boden zerstört Sein.

Ein Musiker checkt in einem Hotel ein, hat es eilig, steht unter Stress. Andere Gäste werden (scheinbar?) vorgezogen. Er beschwert sich. Der Angestellter gerät so auch unter Stress. "Steck deinen Stern weg". Ist das wirklich so gesagt worden, nicht etwa "Steck deinen Star weg," zu deutsch: Lass hier nicht den Popstar raushängen?

Die Bemerkung soll ja aus dem Off gekommen sein, aber O. ist durch frühere tatsächliche, antisemitische Bemerkungen wundgescheuert, will es diesmal nicht auf sich beruhen lassen.

Ein Missverständnis ist nicht unwahrscheinlich, alle standen unter Stress, Sächsisch ist für Auswärtige oft schwer zu verstehen und die Akustik in solchen Lobbys ist auch schlecht.

Wo Klischees im Spiel sind, ist das Missverständnis xorprogrammiert.

Heidemarie Heim | Mi., 29. November 2023 - 18:51

Und zeigt, wie wenig Größe gerade die haben, die sich am lautesten echauffieren und als Erste gnadenlosen Rufmord und Ehrabschneidung betreiben, um dann des Irrtums überführt sich lieber die verleumderische Zunge abbeißen, als sich zu entschuldigen oder die Sache mit genau dem selben "Eifer" gerade zu rücken. Oder wie bei einigen Presseorganen wenn überhaupt einen winzigen Widerruf/Klarstellung irgend wo unauffällig im Schmierenblatt zu platzieren. Im ÖRR das Gleiche. Wie oft wurde mit dem "Schutzvermerk", dass man es nicht unabhängig überprüfen könne oder so ähnlich, über Tage die Meldung verbreitet und hat man auf jeder Hamas-Demo in der BRD in die Mikros tröten lassen, dass die Israelis schändlicher Weise die Klinik mit Raketen beschießen und über 400 Tote zu verantworten hätten! Nun vor 2 Tagen und einer seitdem nicht mehr gehörten Meldung stellte sich heraus, dass es doch ein Irrläufer der Terroristen war. Hörte man seither seitens der UN u. Konsorten ein Wort dazu? Ich nicht. FG

Hans-Hasso Stamer | Mi., 29. November 2023 - 19:02

Man sieht es ja schon an der Reaktion:

Die selbstverständliche Annahme der linken Blase, ein Hotelangestelltern habe nichts Besseres zu tun, als einen Gast zu beleidigen (womit er seinen Job riskiert), den er rein zufälligerweise als Juden erkennt (was dann durch Überwachungsvideos widerlegt wurde) ist eben genauso falsch....

... wie die Annahme der rechten Blase, es mit einem pathologischen Lügner zu tun zu haben, der nichts Besseres zu tun hat, als neben seinem Job als Musiker sich auch bei passender Gelegenheit noch als Opfer von Antisemitismus in flagranti zu stilisieren.

Ich habe mich diesmal mit beiden Blasen angelegt.

Karla Vetter | Mi., 29. November 2023 - 19:33

Nicht alles für wahr halten was man liest . Nicht alles glauben was man denkt. Dies sind eigentlich Binsen. Unsere Zeit ist gepflastert mit Opfern der Empörungsunkultur: Kachelmann, bei dem mehr Fragen als Antworten blieben. Bundespräsident Christian Wulf. Ein ertrunkenes muslimisches Kind in einem oberfränkischen Schwimmbad und ein sogleich erhobener "Naziverdacht". Herr Ofarim hat den Juden in Deutschland einen Bärendienst zur Unzeit erwiesen.
In einer fränkischen Kleinstadt habe ich folgenden Wahlspruch an einem schnuckligen Bauernhof gelesen :"Dass die Leute schlecht über dich reden sei ihnen erlaubt. Doch lebe so, dass niemand ihnen glaubt". So einfach war das früher .

Armin Latell | Mi., 29. November 2023 - 19:35

ist in dieser Ausprägung erst entstanden durch asoziale Medien wie Facebook, Twitter und wie sie alle heißen. Dadurch wurde eine weltweite Vereinigung und Verbreitung des absolut dämlichen, unreflektierenden Mobs möglich, gehirngewaschen durch eben jene Medien und zusätzlich noch durch ms und örr Medien, alleine unfähig zu eigenen Gedanken, anonym durch das
Internet. Die Masse Mob lebt charakterlich noch immer im Mittelalter, nur Pranger, Inquisition, Hexenverbrennungen, Gottesurteile, Scharfrichter, Hofnarren, Hofstaat, Bauern- und Rattenfänger sind jetzt digital. Ich fürchte, die Masse Mensch wird sich charakterlich nie weiter, höher entwickeln.

Stefan Jarzombek | Mi., 29. November 2023 - 19:42

Ich persönlich glaube eben nicht gleich alles was so erzählt wird.
Die Begrifflichkeiten Antisemitismus, Nazi usw. sind mittlerweile dermaßen ausgelutscht und es wird soviel Schindluder damit getrieben, daß es schon nicht mehr feierlich ist.
Deshalb besser abwarten auf Belege und Beweise.
Alles andere ist oft blos Rhetorik von Leuten die anderen Schaden möchten.
Das Beispiel Gil Ofarim hat gezeigt, daß der Einzelne genauer hinschauen sollte bevor er Menschen diverser Dinge bezichtigt.
Ofarim zeigt auch, daß der Einzelne nicht alles Glauben sollte.

Tiri Tomba | Mi., 29. November 2023 - 20:15

Viel zu viel Aufmerksamkeit für die Person und die Strafe ist doch wohl zu gering. Was kostet eigentlich so ein Prozeß? Mit was für Thematiken sich Richter beschäftigen müssen? Zunächst jemanden beschuldigen und Flurschaden anrichten und danach sich entschuldigen - was für ein Typ? Auch an die Medien: Gibt es in DEU nicht wichtigere Themen? Themen wie: Wirtschaft, Finanzen, Bürokratieabbau, Staatsfinanzen, Bundestag verkleinern auf z. Bsp. 25 Mitglieder. Diese Themen wirklich detailliert darstellen und behandeln.

Jürgen Rachow | Do., 30. November 2023 - 12:27

Antwort auf von Tiri Tomba

...wer die Deutungshoheit in einer Gesellschaft hat.

Das ist Sinn und Zweck der mit den asozialen Medien enorm gepushten Empörungsökonomie. Betrieben von den sich selbst in größenwahnsinniger Manier als "die Guten" Wähnenden, die sich tagaus tagein in einem Akt der moralischen Selbstüberhöhung und Bebauchpinselung ihrer eingebildeten gesellschaftlichen Machtstellung vergewissern müssen.

Kurz: ein abstoßendes Gewürm, das über kurz oder lang unsere freiheitliche, tolerante Demokratie zersetzt.

Johannes | Mi., 29. November 2023 - 20:47

Pädagogisch sehr wertvoll auch für philosophische und besonders ethische Fragen unseres digitalen Zeitgeistes in Dtld.

Wie toll, dass Cicero sich bravourös zurückgehalten hat beim Empire-Empörungsschnappatmen zu Beginn des Skandals (der m.E. besonders bei den Alternativlosigkeiten Merkels einsetzte)

Meine Zeitung, Ehre sei dir oh Cicero und Ben 😅

Sabine Jung | Mi., 29. November 2023 - 21:36

in der Presse und es war schon damals für mich absolut abenteuerlich, was er da für Anschuldigungen an den Hotelmitarbeiter vortrug.
Schon damals hatte ich mich gefragt, was soll das Theater, wen will er schaden? Dem Hotel der Westin-Gruppe, oder dem Hotelmitarbeiter persönlich? Mir erging da kein Stern auf.
Auf alle Fälle wird mal wieder klar, Lügen haben kurze Beine, vielleicht kommt irgendwann auch einmal das heraus, wer die Sprengung von Nordstream2 veranlasste?

Die Empörung von Ofarim war nicht gespielt. Sein Video war subjektiv echt. Gerade deshalb glaube ich ja an ein Missverständnis, die antisemitische Beleidigung wäre einfach hirnlos gewesen, niemand riskiert seinen Job für so etwas.

Aber Ofarim war ohne Zweifel wundgescheuert, wie man das nennt, ganz klassisch voreingenommen, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf, dessen Opfer er jetzt am Ende selber ist. Mir tut er nur leid.

Alle Beteiligten haben sich entsprechend ihrer eigenen Logik verhalten. Ich finde es fürchterlich, allen Seiten immer nur niedere Absichten zu unterstellen. Es gibt ein Spiel, dass auf solchen Missverständnissen beruht. Es heißt "Stille Post".

Karl-Heinz Weiß | Mi., 29. November 2023 - 22:53

Provokationen mit der Herabwürdigung anderer als Selbstvermarktungsstrategie: Donald Trump hat dies zur Perfektion entwickelt und es zum Narrativ der sogenannten sozialen Medien entwickelt. Aller Voraussicht nach wird es 2024 der Goldstandard politischen Handels sein.

Armin Latell | Do., 30. November 2023 - 15:16

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

dass jemand, der eine Regierungsclique hat wie die unsere, sich hinstellt und über einen ausländischen Politiker lamentiert, obwohl der eigene "Goldstandard" politischen Handelns unter aller Sau ist. Das scheint wirklich typisch deutsch zu sein. Den Spreißel im Auge des Anderen sehen wollen, das Brett vor dem eigenen Kopf dagegen nicht. Diese Arroganz ist unübertroffen. Mir wäre ein deutscher Trump zehnmal lieber als ein einziger Scholz.

Armin Latell | Do., 30. November 2023 - 18:29

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

dass jemand, der eine Regierungsclique hat wie die unsere, sich hinstellt und über einen ausländischen Politiker lamentiert, obwohl der eigene "Goldstandard" politischen Handelns unter aller Sau ist. Das scheint wirklich typisch deutsch zu sein. Den Spreißel im Auge des Anderen sehen wollen, das Brett vor dem eigenen Kopf dagegen nicht. Diese Arroganz ist unübertroffen. Mir wäre ein deutscher Trump zehnmal lieber als ein einziger Scholz.

Reinhold Schramm | Do., 30. November 2023 - 07:16

So diffamiert man Juden und unterstützt die antisemitischen und feudal-islamischen Vorurteile und Jahrhunderte alten Verleumdungen; nicht nur der europäischen Nationalisten und Faschisten, wie auch der nationalen Religionsführer und deren regierenden Eliten in der arabischen, asiatischen und afrikanischen Welt des Wahns und Aberglaubens des Islam.

Die feudal-islamischen Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah, der Islamische Staat (IS), al-Qaida (AQ), die Taliban, al-Shabab in Somalia sowie Boko Haram in Nigeria, weitere hunderte islamisch-antisemitische Organisationen, so auch in Europa und Deutschland, dürften ihr irreales Weltbild vom weltbeherrschenden und verleumderischen Juden bestätigt finden.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 30. November 2023 - 10:28

den in diesem Fall Beschuldigten, aber ich freue mich, dass sie jetzt ohne Fehl und Tadel dastehen!
Ich habe allerdings Herrn Ofarim vertraut, weil ich nicht hoffte, dass er eine von ihm evtl. empfundene "Zurücksetzung" derart dramatisiert, mit schweren Folgen für die Beteiligten.
Ich fasse mich an meine eigene Nase, dass ich meinen Eindruck einer Sache nicht selten für gegeben halte.
Ich entschuldige mich bei Allen, denen ich damit Unrecht tat/tue.
Das Angebot, von einer "Schnappatmungslogik" wegzukommen, nehme ich nur zu gerne an.
Das könnte an der Geschwindigkeit der Neuen Medien liegen, weshalb ich mittlerweile ersteinmal gar nichts mehr glaube.
In den USA kann auch ein Gefängnisinsasse Präsident werden, las ich irgendwo?
Ich finde eine Kultur des Irrtums oder der Verirrung nicht verkehrt, verweigere aber genau deshalb so etwas wie "absoluten Gehorsam".
Prüfen, Abwägen, Verantworten ff., das wären so meine "Wertewörter", was ich aus der ARD-Mediathek-Serie habe "Hunt of a Killer".

Walter Bühler | Do., 30. November 2023 - 12:04

... mindestens genau so dringend wie bessere Politiker!

Herr Krischke, Ihr Artikel hat mir große Freude bereitet, denn er stammt von einem Journalisten, der seinen Beruf verantwortungsvoll praktiziert.

Ohne gute, möglichst objektive Medien kann die Demokratie nicht mehr funktionieren - schlechte Medien, schlechte, verantwortungslose (und meist entsetzlich dumme!) Journalisten und Politiker schaufeln der Demokratie das Grab.

Keppelen Juliana | Do., 30. November 2023 - 15:48

in der Hoffnung, dass man endlich zur Besinnung kommt und diese Berufsempörung und Berufsempörten und den "Bekenntniskitsch" in den Griff bekommt. Vielleicht lernt man auch wieder einfach zu sagen "ich kenne die Umstände oder den Fall nicht so genau und kann folglich auch nichts dazu sagen". Es wäre wünschenswert dahin zu kommen.

S. Kaiser | Do., 30. November 2023 - 16:12

Herr Krischke, es ist Ihnen gelungen den großen Bogen zu einem der größten Übel unserer Zeit zu schlagen – den sozialen Medien und der Aufmerksamkeitsökonomie (sprich ‚klickbait‘). So toll es ist, dass sich die Publikationsmöglichkeit für den einzelnen durch das Internet in künstlerischer Hinsicht demokratisiert hat (Musik, Videos, Blogs), so fundamental rückschrittlich sind die zivilisatorischen Folgen für die Gesellschaft, weil der tobende Mob im Netz den Diskurs bestimmt, so wie der Pöbel vor 200 Jahren lustvoll öffentlichen Hinrichtungen beiwohnte. Aber die eigentlichen Multiplikatoren sitzen in den Redaktionsstuben, und das wissen Sie auch. Würden Journalisten nicht jeden Dreck, der aus der Gosse, sprich aus den sozialen Medien, kommt, durch redaktionelle Thematisierung „veredlen“, wäre die Welt ein kleines bisschen besser. Insofern, bleiben Sie in Ihrer Redaktion weiter standhaft und differenziert. Ihre Leserschaft wird es Ihnen danken.

Brigitte Simon | Do., 30. November 2023 - 17:57

Ob dies in der Sache Ofarim gilt oder galt
bezweifle ich sehr heftig. Wenn Ofarim Mitglied der AfD wäre? Nein, diese Frage möchte ich mir doch lieber nicht stellen.

War es bei ihm seine Psyche, die ihn dazu riet,
endlich mit dieser Inszenierung populär zu werden. Eine Population, die er mit Verleumdung erreichen wollte. Das schaffte er.

Zeugenbefragungen der Musiker-Kollegen wurden bereits vor der Gerichtsverhandlung abgesagt. Das macht die Vorstellung, einen Deal zwischen Gericht und seinen Anwälten gehabt zu haben sehr nahe.

Geständnis für Gnade. Er gestand, warum nicht? Er widerlegt gleiches Recht für alle, Deutschland machts möglich. "Die Entscheidung zu seiner Aussage ist bei Ofarim in den vergangenen Tagen mehr und mehr gereift". Der wohl ent-scheidende Grund : "Es bestand die Gefahr, daß das nicht gerade glimpflich ausgeht. Für Ofarim stand Gefängnis im Raum". Das Gericht ist gerührt

Für 10.000 Euro neues Denken, neue Moral, Ethik, Rufmord? Dazu fehlt ihm der Charakter.