- Hört den Weckruf!
Nach einem Urteil des obersten US-Gerichtshof dürfen amerikanische Gerichte nur noch in wenigen Ausnahmefällen gegen ausländische Staaten vorgehen. In dem jetzt entschiedenen Fall ging es um den Welfenschatz. Wahrscheinlich wäre die Sache nie vor US-Gerichten gelandet, wenn die einschlägigen Vereinbarungen rechtzeitig in deutsches Recht umgesetzt worden wären.
„Als Nation wären wir überrascht – und würden vielleicht sogar eine Gegenklage einleiten –, wenn ein Gericht in Deutschland über Ansprüche von Amerikanern entscheiden würde, dass sie Anspruch auf Hunderte von Millionen Dollar hätten, weil die Regierung der Vereinigten Staaten vor Jahren Menschenrechtsverletzungen begangen hat.“ Diese Worte aus dem Urteil des Supreme Court vom 3. Februar 2021 sind bemerkenswert. Dies nicht nur, weil sie den zahlreichen Spekulationen den Boden entziehen, die nach der Besetzung von drei der neu zu besetzenden Richterstellen durch Präsident Donald Trump Konjunktur hatten.
Gern wurde prophezeit, dass der Oberste Gerichtshof durch die so entstandene Zweidrittelmehrheit konservativer Richter nun „America First“ zur Grundlage der Rechtsprechung machen und damit internationale Beziehungen belasten würde. Doch mitnichten: Die neun Richter haben sogar einstimmig geurteilt – allein diese Einmütigkeit ist an sich schon bemerkenswert. Sie kamen zu der gemeinsamen Auffassung, dass es in der Regel Ausländern und ihren Erben nicht möglich ist, aufgrund von menschenrechtswidrigen Vermögensschäden andere Staaten vor US-Gerichten zu verklagen.
Keine Verletzung des Völkerrechts
Damit hat das Gericht klargestellt, dass solche Fälle nicht unter die Ausnahmetatbestände des Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA) von 1976 fallen. Die USA haben sich damit also nicht grundsätzlich von dem völkerrechtlichen Gedanken verabschiedet, dass Individuen keine Staaten verklagen können. Allerdings wurde klargestellt, dass es keine Verletzung des Völkerrechts sei, wenn ein Staat seine eigenen Bürger beraube – denn darin sind keine anderen Staaten involviert. Deshalb, so urteilte der Supreme Court, seien US-Gerichte unzuständig.
Dieses Urteil war ergangen, weil drei Nachfahren jüdischer Kunsthändler die Herausgabe des sogenannten Welfenschatzes von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verlangten. Die SPK untersteht der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters (CDU). Als Rechtsnachfolgerin der Berliner Museen gehört der SPK heute der mittelalterliche Kirchenschatz. Das Fürstenhaus der Welfen übertrug dessen Verwertung im Herbst 1929 an ein Konsortium. Die meisten Konsorten dürften Juden gewesen sein – ebenso wie die drei bevollmächtigten Vertreter des Konsortiums.
Der garantierte Mindestpreis, den das Konsortium zu zahlen hatte, lag bei 7,5 Millionen Reichsmark. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise konnten die Händler des Konsortiums bis 1932 aber nur 40 der 82 Kunstwerke verkaufen – viele in die USA – und dafür nur rund 1,5 Millionen Reichsmark erlösen. Zu jener Zeit trennte sich die Dresdner Bank von tausenden Kunstwerken, die sie als Sicherheit für die nach der Weltwirtschaftskrise häufig geplatzten Kredite erhalten hatte. Die Berliner Museen waren bereit, das sehr gemischte Kunstportfolio der Bankseite zu übernehmen, aber nur, wenn es um attraktive Kunstwerke vom freien Markt ergänzt würde. Und dazu zählte der Welfenschatz. Er würde eine ungeheure Bereicherung für die Berliner Museumslandschaft sein. Und so gelangten auf diesem Wege die verbleibenden 42 Stücke des Welfenschatzes trotz der komplexen Eigentümer- und Verkäuferstruktur in die Hand des Staates Preußen und – mit Zwischenstationen – in die heutige SPK.
Der Einzelfall zählt
Die Dresdner Bank verhandelte den Ankauf des Schatzes. Dass er für den Preußischen Staat und preußische Museen vorgesehen war, wurde von den verhandelnden – jüdischen – Bankmitarbeitern nicht öffentlich gemacht. Die Kläger brachten in den USA nun vor, dass der damals noch bestehende Staat Preußen unter seinem Ministerpräsidenten Hermann Göring erheblichen Druck ausgeübt habe. Zweifelsfrei hatte es vor 1933 Judenverfolgung in Deutschland gegeben. Zweifelsfrei hatte der von Nationalsozialisten dominierte Staat direkt nach der Machtübernahme im Januar 1933 begonnen Juden zu schikanieren, unter Druck zu setzen und auszuplündern. Dies sollte in der völligen Entrechtung, Ausplünderung, Misshandlung und Ermordung von Juden auf Grundlage immer weiterer Unrechtsgesetze und willkürlicher Entscheidungen, beispielsweise durch die SS und schließlich in der Schaffung von Vernichtungslagern gipfeln. Das entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, jeden Einzelfall zu betrachten.
Aber der Supreme Court gelangt zu einer anderen Auffassung als die Kläger: „Die Erben bieten mehrere Gegenargumente an, aber keines kann den Text, den Kontext und die Geschichte der Enteignungsausnahme überwinden.“ Die SPK hat betont, dass sie stets berechtigten Anspruchstellern ihr Eigentum zurückerstattete. Der Welfenschatz-Fall aber, so Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung, liege anders, weil es sich beim Verkauf dies Schatzes 1935 eben nicht um einen NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkauf gehandelt hätte. Diese Ansicht, so Parzinger weiter, basiere auf jahrelanger sorgfältiger Provenienzforschung und werde durch die Empfehlung der Beratenden Kommission aus dem Jahr 2014 gestützt. Nun muss der U.S. District Court for the District of Columbia, an den der Supreme Court den Fall zurücküberwiesen hat, unter Beachtung von dessen Urteil neu über den Antrag der SPK auf Klageabweisung entscheiden.
Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass US-Gerichte darüber urteilen, ob deutsche Museen mögliche Raubkunst an die Erben deutscher Geschädigter herausgeben sollen? Die Antwort ist einfach: Die Bundesregierungen hätten seit 1998 bessere politische Entscheidungen treffen können. Nach zähen Verhandlungen unterschrieb die Bundesregierung 1998 zwar die so genannten „Washington Principles on Nazi-Confiscated Art“, die sie und die anderen 43 Signatarstaaten sowie 13 nichtstaatliche Organisationen anhalten, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden“. Für Streitfragen wurde die „Beratende Kommission“ bei der vom Bund getragenen Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste eingerichtet.
Klagen meist aussichtslos
Familien und Erben, deren geraubtes Eigentum sich heute in Privatbesitz befindet, haben ohnehin keine durchsetzbaren Rechtsansprüche; Klagen wären wegen der Einrede der Verjährung in den allermeisten Fällen aussichtslos. Befindet sich das Eigentum in staatlicher Hand, gilt vor Gericht dasselbe. Um dieser wenig gerechten Situation abzuhelfen, gibt es aber seit 2003 die genannte Beratende Kommission. Die Beratende Kommission kann jedoch nur Empfehlungen aussprechen. So lautete etwa eine Empfehlung aus dem Jahre 2016, dass die Hagemann-Stiftung die Erben des Musikalienhändlers Felix Hildesheimer mit 100.000 Euro entschädigt. Die Stiftung hat diese Empfehlung bis heute ignoriert. Kurz: Die Erben bekommen von der in Deutschland für sie zuständigen Einrichtung Recht, nur durchsetzen kann sie es nicht.
Staatliche Eigentümer von Raubkunst können aber auch rechtlichen Fragen ganz einfach ausweichen. So hat der Bürgermeister von Burladingen die Rückgabe eines zweifelsfrei vom NS-Staat beim jüdischen Kunsthändler Walter Westfeld beschlagnahmten Gemäldes rundheraus abgelehnt. Begründung: Die Washington Principles seien ja rechtlich nicht bindend. Die Existenz der Beratenden Kommission nutzt oft wenig, wenn Besitzer von Raubkunst an einer Klärung der Eigentumsverhältnisse kein Interesse haben.
Diese Gefahr hat auch der Bundesrat gesehen, der schon 2002 anmahnte, dass eigene Verjährungsregeln für Raubkunst gefunden werden müssen. Die Bundesregierung hat darauf bis heute ebenso wenig reagiert wie auf einige Forderungen der FDP-Fraktion aus dem Jahre 2018 zum 20-jährigen Jahrestag der Verabschiedung der Washington Principles (Drucksache 19/5423). Deren kulturpolitischer Sprecher Hartmut Ebbing nennt einige der Forderungen: Der Bund müsse eine unabhängige Einrichtung, beispielsweise eine rechtsfähige Stiftung als Geschäftsstelle der Beratenden Kommission und des Zentrums Kulturgutverluste gründen. Dies würde die Beratende Kommission nicht nur in die Lage versetzen, aus eigenem Ermessen Fachgutachten beauftragen zu können, um die oft komplexen Vermögensentziehungsumstände durch Experten verschiedener Fachrichtungen untersuchen zu lassen. „Vor allem könnten die Entscheidungen der Kommission als Verwaltungsakt erlassen werden. Den können die Parteien dann durch unabhängige Gerichte überprüfen lassen“, so Ebbing.
Auch wenn nur ein verschwindend geringer Anteil der deutschen Museumsbestände unter Raubkunstverdacht steht, dürfte die Anzahl der NS-Raubkunststücke in staatlicher und privater Hand in Deutschland doch zu den höchsten unter allen Signatarstaaten der Washington Principles gehören. Gleiches gilt für Österreich, das von 1938 bis 1945 Teil des Deutschen Reichs war – mit denselben entsetzlichen Folgen für jene Bürger, die nach NS-Definition als Juden galten. Doch in Österreich wurden die Prinzipien der Grundlagen der Washington Principles in österreichisches Recht überführt.
Deutschland sollte Vorbild sein
Auch in anderen Staaten gibt es bereits eine solche rechtlich verlässliche Umsetzung. In Frankreich etwa werden die Empfehlungen dem Premierminister übermittelt, der daraufhin einen Erlass zur Rückgabe oder Entschädigung auf den Weg bringt.
Es hätte gar keine Notwendigkeit für die Erben geraubter Kunstwerke bestanden, für teuer Geld in den USA zu klagen, wenn die Washington Principles in deutsches Recht überführt worden wären und man der Mahnung des Bundesrates gefolgt wäre. Vor allem könnte das Land der Täter damit Vorbild sein für die vielen Staaten, in denen das Thema Raubkunst in den vergangenen Jahrzehnten nur eine marginale Rolle gespielt hat.
Zudem sind Gerichtsverfahren in Deutschland in der Regel sehr viel kostengünstiger als in den USA. Das liegt nicht zuletzt im Interesse des Steuerzahlers. Nicht nur das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste und die dort angesiedelte Beratende Kommission verfügen über einen hohen Grad an Expertise, sondern auch jene Juristen und Provenienzexperten deutscher Museen, die sich dort ohnehin intensiv mit diesen Fragen befassen. Bereits im Januar wurde in Cicero für die Schaffung nationalen Rechts bei der Behandlung der mit Raubkunst zusammenhängenden Fragen plädiert. Der Präsident der SPK Parzinger sagte heute dazu auf Anfrage von Cicero: „Ich würde begrüßen, wenn die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in Deutschland auf eine rechtliche Grundlage gestellt würde, dies würde einen wesentlichen Beitrag zur Rechtssicherheit leisten.“
Kulturpolitiker Ebbing sieht keine Alternative: „Wenn Deutschland seine moralischen Verpflichtungen ernstnimmt, dann müssen wir die Washington Principles selbstverständlich in nationales Recht umsetzen.“ Diese Forderungen sind in weiten Teilen des Kulturbetriebes ebenso Konsens wie unter Experten aus Politik und Recht. Doch auf die Frage an Kulturstaatsministerin Grütters, wie sie zur Mahnung des Bundesrates stehe, erläutert ein Sprecher zunächst den Umgang mit den Washington Principles in Deutschland seit 1999. Er weist auf die seitdem gefundenen „fairen und gerechten“ Lösungen in rund 20.000 Fällen hin. Die derzeitigen Regularien könnten nicht allein auf rechtlichen Maßgaben beruhen, sondern könnten auch Unklarheiten sowie moralisch-ethische Aspekte berücksichtigen. „Dieser Ansatz hat sich bewährt“, so der Sprecher. Das dürfte man als ein klares „weiter so!“ interpretieren.
Überfälliger Schritt
Doch selbst wenn die Bundesregierung den Schritt der Umsetzung in nationales Recht umsetzt, dürfte nicht jedes deutsche Landgericht über die entsprechende Expertise verfügen. Insofern wäre die Regierung gut beraten, einige wenige spezialisierte und bundesweit zuständige Kammern an Landgerichten und Oberlandesgerichten zu schaffen. Ein solches Vorbild gibt es beispielsweise mit den Pressekammern bereits.
Doch dafür müsste die Bundesregierung diesen schon lange überfälligen Schritt eben umsetzen. Vor dem Supreme Court ist es für Deutschland, für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die deutsche Kulturlandschaft noch einmal gut ausgegangen. Dass sich das oberste Gericht der USA jedoch überhaupt mit diesem 2014 von der Beratenden Kommission abschlägig beschiedenen Fall befassen musste, ist misslich. Wann, wenn nicht jetzt, will man auf diesen Weckruf reagieren?
Ein beherztes Handeln in nächster Zukunft wäre ein großer Gewinn für die Glaubwürdigkeit des moralischen Impetus deutschen Regierungshandelns im Umgang mit Verbrechen des NS-Regimes und damit für die Glaubwürdigkeit deutscher Gedenkkultur.
Wie wichtig das wäre, zeigt eine der ersten Amtshandlungen des neuen US-Außenministers Antony Blinken. Er sagte in seiner Video-Botschaft zum Holocaustgedenktag am 27. Januar: „Jeden Tag, den ich als Außenminister diene, werde ich die Erinnerung an meinen Stiefvater und seine Familie (die als Juden ermordet wurden, Anm. d. Red.) und an die sechs Millionen jüdischen Menschen und Millionen andere, die während des Holocaust getötet wurden, in mir tragen. Ich werde mich daran erinnern, dass die Macht einer Nation nicht nur an der Größe ihres Militärs oder ihrer Wirtschaft gemessen wird, sondern auch an den moralischen Entscheidungen, die sie trifft.“
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US-amerikanisches Pathos, ist es wirklich der Maßstab? Wir wissen doch alle, wie echt dies ist. Nur die deutschen Moralisten glauben wirklich an die Moral. Der Artikel ist insgesamt recht schwach, er findet keine guten Argumente für ein anderen Vorgehen als das übliche. Gerade der vorliegende Fall belegt dies gut.
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes halte ich für absolut richtig. Geschädigte sollen dort ihr Recht einklagen, wo das Unrecht stattgefunden hat. Ggfls. muss die deutsche Regierung unter Druck gesetzt werden, entsprechend den Empfehlungen hier die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Aber mal ein anderer Gedanke. Wie lange will man noch klagen wegen dieses unmenschlichen Unrechts vor inzwischen 76 Jahren und davor? Ich weis. Recht muss dem Unrecht nicht weichen. Nur sind doch längst keine persönlich betroffenen Überlebenden mehr da, lassen sich viele Vorgänge nicht mehr rechtssicher nachvollziehen. Wenn klagen dann hier in DE.
Insofern braucht Maas den USA keinen demokratischen Marshal Plan überbringen. Diese Entscheidung ist mehr als demokratisch. Man mischt sich eben nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates ein. Das amerikanische Rechtssystem schützt sich gerade davor den Obermoralisten zu spielen. Warum? Sie haben selbst genug "Schweinereien" begangen.