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US-Außenpolitik - Die Welt ist fassungslos

Eine Kette von Ereignissen lässt Länder von Europa bis Asien zweifeln, ob die USA überhaupt noch ihr zuverlässiger Partner sind. Aber die Amerikaner täten gut daran, die Sorgen ihrer Verbündeten ernst zu nehmen. Sonst könnten sie am Ende isoliert dastehen

Autoreninfo

William J. Dobson ist Autor des Buchs „The Dictator’s learning Curve – Inside the global Battle for Democracy“, das im Herbst auf Deutsch unter dem Titel „Diktatur 2.0“ bei Blessing erscheint.

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[[{"fid":"60231","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":871,"width":638,"style":"width: 140px; height: 191px; margin: 4px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Dezember-Ausgabe des Cicero. Wenn Sie keine Ausgabe des Magazins für politische Kultur mehr verpassen wollen, können Sie hier das Abonnement bestellen.

 

 

 

Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges haben selbst zwei eingefleischte Feinde wie die USA und die Sowjet­union gewusst, dass sie zusammenarbeiten mussten. Um die Kluft zu überbrücken, haben sich die beiden Supermächte, ungeachtet ihrer ideologischen Unterschiede, der Anfeindungen und des globalen Wettrüstens, auf die Formel geeinigt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Heute würden sich die Vereinigten Staaten glücklich schätzen, wenn ihre engsten Verbündeten ihnen überhaupt noch trauen würden.

Das Misstrauen hat einen neuen Tiefpunkt erreicht, seit bekannt wurde, dass die National Security Agency (NSA) seit mindestens 2002 das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hat. Natürlich ist das nur die Spitze des Eisbergs. Die Dokumente, die Edward Snowden veröffentlicht hat, offenbaren eine amerikanische Spionagebehörde mit einem unersättlichen Appetit auf Informationen. Sie bietet ein gigantisches Maß an technologischer Raffinesse auf, um Regierungen, Bürger und Organisationen auf der ganzen Welt zu überwachen, zu hacken und abzuhören – unabhängig davon, ob es sich um Freund oder Feind handelt.

Einem Bericht des britischen Guardian zufolge scheint die NSA seit Oktober 2008 die Telefongespräche von 35 Staats- und Regierungschefs abgehört zu haben. US-Regierungsbeamte sind offensichtlich „ermuntert“ worden, ihre Kontaktdaten der NSA anzuvertrauen, insbesondere die Telefonnummern „ausländischer Politiker oder führender Militärs“. Über 200 Telefonnummern habe die NSA allein von einem Beamten der US-Regierung erhalten und sie schnell für ihre geheimdienstlichen Zwecke ausgeschlachtet.

Die NSA-Enthüllungen kamen für die USA zu einem unglücklichen Zeitpunkt

Die Reaktion Deutschlands, einem der unerschütterlichsten Verbündeten Amerikas, war schnell und unverblümt. Außenminister Guido Westerwelle bestellte Amerikas Botschafter ein, und Kanzlerin Angela Merkel betonte, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA „gravierend erschüttert“ worden seien, dass „Vertrauen wieder aufgebaut werden müsse“ und „Worte allein nicht ausreichen werden“.

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Ähnlich reagierte Frankreichs Präsident François Hollande, als er durch einen Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde erfuhr, dass die NSA auch die Telefonate von Franzosen abgehört haben soll. Allein innerhalb eines Monats seien mehr als 70 Millionen Gespräche aufgezeichnet worden. Während der Überwachung wurden wohl Telefonate und Kurznachrichten gesammelt, wahrscheinlich auch von französischen Politikern und Wirtschaftsführern. Andere europäische Regierungschefs – die vermuten, dass auch sie Ziel der amerikanischen Geheimdienste waren – reagierten ähnlich wie Merkel und Hollande.

Die Empörung ist aber nicht allein auf Europa beschränkt: Bereits im September sagte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff wegen ähnlicher Anschuldigungen ihren Besuch in ­Washington ab.

Die NSA-Enthüllungen haben Amerikas Glaubwürdigkeit zu einer Zeit beschädigt, in der das Vertrauen in Washington nur noch eingeschränkt vorhanden ist. In den vergangenen zwölf Monaten hat es eine Reihe von Vorfällen gegeben, aufgrund derer die Weltgemeinschaft sich fragt, ob die USA überhaupt noch ein verlässlicher Partner sein können.

Da wäre Präsident Obamas wankelmütige und unentschlossene Antwort auf Baschar al Assads Einsatz chemischer Waffen. In der Vergangenheit hatte Obama immer wieder betont, dass mit dem Gebrauch solcher Waffen eine „rote Linie“ überschritten sei. Und was tat der US-Präsident, als diese Linie tatsächlich überschritten worden war? Erst bereitet er einen Raketenangriff auf Damaskus vor, dann gibt er den Plan eines Militärschlags unerwartet auf, um auf die russische Initiative zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen einzuschwenken. Was immer man von dieser Vereinbarung halten mag – die Tatsache, dass Obama seinen eigenen Versprechen keine Taten folgen ließ, hat Verbündete wie Südkorea, Japan, Israel und Taiwan verunsichert, die sich auf Amerikas Verteidigungszusagen verlassen.

Fassungslos und besorgt ist man im Ausland auch über den Zustand des amerikanischen Regierungsapparats, der sich bei der jüngsten Haushaltssperre und der Verletzung der Schuldengrenze in seinem ganzen Ausmaß offenbarte. Wegen der Haushaltssperre sagte Obama eine wichtige Reise nach Asien ab, wo er am asiatisch‑pazifischen Wirtschaftsgipfel APEC hätte teilnehmen sollen. Das war die dritte Absage einer Reise in diese Region, und sie weckt Zweifel an der Ernsthaftigkeit der USA in ihren Beziehungen zum asiatisch-pazifischen Raum – zumal es der Obama-Regierung nicht gelungen ist, irgendeinen bedeutenden Schritt zu unternehmen, der ihre „pivot“ nach Asien auch politisch untermauern würde. In der Region fragt man sich: Wie können die USA ihre Führung in Asien erneuern, wenn der Präsident nicht einmal in der Lage ist, sich in seine Air Force One zu setzen und die Region zu besuchen? Die asiatischen Staaten werden nicht auf die USA warten – schon gar nicht, wenn China parat steht.

Die Vereinigten Staaten werden immer mehr als die unberechenbare Macht wahrgenommen, die unerwartet von einer Richtung in die andere taumelt. Nach zwölf Jahren Krieg wirken die USA erschöpft, unsicher und gespalten. Angesichts einer Innenpolitik, die in Unordnung geraten ist, und einer Außenpolitik, die keine klare Linie erkennen lässt, werden Washingtons Verbündete immer wieder überrascht: Man weiß einfach nicht, was als Nächstes zu erwarten ist.

Die nun enthüllten Details amerikanischer Spionagetätigkeit gegen enge Freunde und Verbündete kommen zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Wie können diese ausländischen Mächte in enger Abstimmung mit den USA arbeiten, wenn Washington jede ihrer Bewegungen genau beobachtet? Warum sollten diese Verbündeten ihre Ressourcen oder gar das Leben ihrer Bürger und Soldaten aufs Spiel setzen – sei es im Irak, in Afghanistan, Libyen oder in einem der nächsten Krisengebiete in der Welt –, wenn sie ihrem wichtigsten Partner nicht vertrauen können? Wenn die USA sie in dieser Art und Weise ausspähten, sind sie dann überhaupt noch Verbündete?

Der Lauschangriff war „wenig ergiebig“

Natürlich haben die Obama-Regierung und ihre Verteidiger schnell darauf hingewiesen, dass es gute Gründe dafür gibt, warum die NSA so viele ausländische Daten sammelt. Am Anfang dieser Geheimdienstoperation stand die Terrorbekämpfung. Es ist eine Tatsache, dass – unter anderen – europäische Hauptstädte Brutstätten für islamistischen Terrorismus waren. Also sollte es niemanden überraschen, dass die USA ihr Äußerstes unternahmen, um sich diesen Bedrohungen so effektiv wie möglich zu stellen.

Aber es gibt noch eine weitere Erklärung: Fast jede Regierung spioniert in irgendeiner Weise – auch bei ihren engsten Verbündeten. Viele der Staaten, die jetzt schockiert über die Aktivitäten der NSA sind, spionieren ihrerseits in den USA und bei ihren europäischen Nachbarn. Zweifellos fürchten einige, dass Snowden schon bald Material über ihre eigenen geheimdienstlichen Unternehmungen offenbaren wird.

Das Problem indessen sind das Ausmaß der globalen Überwachung durch Amerika und die Tatsache, dass kein anderes Land über eine Signalaufklärung verfügt, also eine ähnliche Fähigkeit wie die USA besitzt, Informationen zu sammeln, zu dekodieren und zu analysieren. Viele der Snowden-Enthüllungen haben ein Ausmaß und Möglichkeiten der amerikanischen Geheimdienstmethoden offengelegt, die bislang unbekannt waren. Das allein schon schürt die Sorge der Staats- und Regierungschefs, die fürchten, die NSA habe ihre Telefongespräche abgehört.

Die USA und insbesondere die Obama-Regierung sollten sich aber noch ganz andere Sorgen machen: Ein internes Regierungspapier, das Snowden im vergangenen Monat dem Guardian zukommen ließ, hat auch gezeigt, dass der Lauschangriff auf ausländische Regierungschefs und Beamte „wenig Ergiebiges“ erbracht hat. Hier stellt sich die Frage: Warum riskiert man eine Beschädigung der Beziehungen wegen eines Programms, das fast keine nützlichen geheimdienstlichen Erkenntnisse bringt?

Leider ist die Erklärung dafür keine gute. Sie lautet: Weil sie es können. Nach dem ersten Schock, der auf die Anschläge vom 11. September 2001 folgte, haben die USA eine Maschinerie für eine kraftvolle Terrorbekämpfung errichtet, die reich ausgestattet war mit den Instrumenten und der Technologie, einen weiteren großen Angriff zu verhindern. Dass sich die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit nach einem Angriff wie dem vom 11. September in Richtung Sicherheit verschoben hat, ist nicht weiter verwunderlich – das war in den USA nicht anders als in den meisten anderen Demokratien. Der Unterschied beim Kampf gegen den Terror besteht darin, dass Washing­ton nie zu seiner früheren Balance zurückgefunden hat.

Die technischen Möglichkeiten haben ihre eigene Logik entwickelt. Weil die amerikanischen Geheimdienste die Möglichkeit haben, Millionen ausländischer Telefongespräche abzuhören, tun sie es auch. Die Verlockung, die Technik zu nutzen, die sie entwickelt haben, ist zu groß, um ihr zu widerstehen. Es ist völlig offensichtlich, dass die US-Regierung es auch mehr als zehn Jahre nach 9/11 nicht geschafft hat, die Geheimdienstapparate wieder einer klaren Kontrolle zu unterstellen. Das Ergebnis war eine politische und diplomatische Peinlichkeit. Immerhin hat das Weiße Haus zugegeben, dass das Pendel zu weit ausgeschlagen ist.

Obama muss die Sorgen der Vebündeten ernst nehmen

Solche Versicherungen werden vielen Verbündeten Amerikas aber nicht ausreichen. Aus diesem Grund werden Deutschland und die USA trotz aller derzeitigen Widerstände ein Anti-Spionage-Abkommen abschließen. Die Alliierten der USA, nicht nur in Europa, werden klare Auskunft über den Vertrauensbruch Washingtons verlangen.

Es ist entscheidend, wie die USA mit der Empörung über die NSA-Überwachung umgehen werden. Beziehungen mögen verletzt worden sein, aber dies könnte die Obama-Regierung zum Anlass nehmen, den Glauben der Menschen an die Supermacht wiederherzustellen. Barack Obama kann nicht garantieren, dass er in Zukunft Haushaltssperren verhindern kann oder Konflikte mit Baschar al Assad. Aber er kann sich ehrlich bemühen zu zeigen, wie ernst er die Sorgen der Verbündeten nimmt. Versäumt er das, wird es nicht nur um verletzte Gefühle oder bittere Worte auf Seiten der Verbündeten gehen. Es werden auch die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit der USA mit ihren Partnern erheblich eingeschränkt. Bleiben die USA eine unberechenbare Macht, laufen sie Gefahr, allein dazustehen. Für Amerikas Verbündete gilt dann ebenfalls das Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

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