- Ob es Frieden gibt, ist eine Frage des Wollens
Seit John Kerry zwischen Israelis und Palästinensern vermittelt, haben die USA in der Region viel erreicht. Doch für eine Zwei-Staaten-Lösung braucht es mehr als Shuttle-Diplomatie
Es war es bereits die zehnte Reise, die US-Außenminister John Kerry gleich zu Beginn dieses Jahres nach Israel und in die palästinensischen Gebiete unternahm – mit der immer gleichen Routine amerikanischer Shuttle-Diplomatie: Besuch bei Israels Premier Benjamin Netanjahu in Jerusalem, Besuch bei Palästinas Präsident Mahmud Abbas in Ramallah, Gespräche mit palästinensischen und israelischen Unterhändlern, vorsichtig optimistische Presseerklärungen: „Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem die Alternativen weniger werden, und die Alternativen echt und diffizil sind.“
Kerry hat viel erreicht
Ohne Frage: Sechs Monate, nachdem Kerry den Verhandlungsprozess nach dreijährigem Stillstand wiederbelebte, hat er mehr erreicht als Optimisten gehofft, Pessimisten ihm zugetraut und Gegner eines Ausgleichs befürchtet hatten. Kerrys immerhin 120 Mann starkes Team ist mit den kleinsten Details eines „Rahmenabkommens“ vertraut, das nichts weniger als Grenzziehungen, die Zukunft der Siedlungen, Landtausch, Jerusalem als Hauptstadt Israels und Palästinas, Wasserressourcen, die Souveränität über heilige muslimische, jüdische und nicht zuletzt auch christliche Stätten und vieles mehr regeln soll.
[gallery:Der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn]
Mit solcher Detailkenntnis sowie einem gehörigen Maß an politischer Kreativität und geduldiger Überzeugungsarbeit hat Kerry es geschafft, sogar Lob von Israels Außenminister Avigdor Liebermann, einem ausgesprochenen Hardliner, zu bekommen. Kerry bringe „uns dem Frieden näher denn je zuvor“, konstatierte Liebermann. Unmittelbar nach den Parlamentswahlen in Israel vor einem Jahr habe eine kleine Mehrheit israelischer Parlamentarier eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung noch abgelehnt, schreibt der „Economist“. Jetzt sind 85 von 120 Abgeordneten dafür.
Und die Palästinenser? Sie sollten doch ohnehin je schneller, desto besser ohne Besatzung in ihrem eigenen Staat leben wollen. Oder?
Nur ist es eine Illusion zu glauben, ein endgültiges Rahmenabkommen sei dann zu erreichen, wenn eine amerikanische Regierung endlich die notwendige Aufmerksamkeit und Entschlossenheit aufbringt, um sich in der Region zu engagieren.
Es sind die Israelis und die Palästinenser, die existenzielle politische Entscheidungen treffen müssen, wenn es zu einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung kommen soll. Um in der Gegenwart und Zukunft über sich selbst bestimmen zu können, müssen die Palästinenser auf einen nicht unerheblichen Teil ihrer Geschichte verzichten. Der Anspruch auf das historische Mandatsgebiet Palästina, das hunderttausende Flüchtlinge und deren Nachkommen in dritter und vierter Generation als ihre Heimat ansehen, wird mit einem Endstatus-Abkommen faktisch hinfällig. Das mag zwar seit über sechs Jahrzehnten Lebensrealität für die Palästinenser sein. Die Unterschrift unter ein Dokument zu setzen, das diese Realität auch festschreibt, erfordert von jedem palästinensischen Politiker mehr als nur Mut.
Umgekehrt fordern die Israelis nicht nur Sicherheitsgarantien, die Amerika ihnen auch zu gewähren bereit ist. Sie verlangen vor allem, dass die palästinensische Seite Israels Recht anerkennt, als Staat mit jüdischer Identität in dieser Region zu existieren.
Es geht um Psychologie
Es geht also nicht „nur“ um die Regelung von Rückzügen, Grenzen, Souveränität oder die Verteilung von Wasserressourcen - so schwierig das auch ist. Es geht vor allem auch um Psychologie. Um Emotionen. Nicht um die Empfindungen, die eine Versöhnung ermöglichen oder verhindern, wie oft angenommen wird. So weit dürfte man noch lange nicht sein. Es geht vielmehr um die Gefühle, die bei einer Scheidung hochkochen.
Die USA sind dabei nicht der Scheidungsrichter, der eine Trennung in zwei getrennte Haushalte verfügen kann. Sie sind – oder sollten – der Anwalt beider Seiten sein, dem nichts anderes übrig bleibt, als den Mandanten klar zu machen, dass sie nur zwei Optionen haben: Einzusehen, dass eine Trennung die beste Lösung ist und dass man selbst dabei mehr zu gewinnen als zu verlieren hat. Die Alternative wäre, weiterhin enorme Ressourcen in einen Streit zu stecken, der am Ende doch mit einer Trennung unter womöglich schlechteren Bedingungen, oder aber in der Verdammnis ewig dysfunktionaler Zweisamkeit enden kann.
Drei Beispiele verdeutlichen das. 1977 reiste Ägyptens Staatspräsident Anwar al Sadat nach Israel und sprach vor dem israelischen Parlament, der Knesset. Nicht nur wurde er von einer jubelnden Bevölkerung begrüßt. Mit dieser Geste überzeugte er selbst den grundmisstrauischen damaligen israelischen Premier Menachem Begin. Die USA spielten danach die wichtige Rolle eines Vermittlers. Aber es war die Entschlossenheit der beiden unmittelbar Beteiligten, die sie über alle Verhandlungsklippen in Camp David trug. Der israelisch-ägyptische Friede hält allen Widrigkeiten zum Trotz bis heute.
Den Friedensvertrag mit Jordanien mussten die USA gar nicht groß vermitteln. Beide Seiten hatten schon Jahrzehnte zuvor informelle Kontakte gepflegt. Die Parteien haben auch in Momenten akuter Krisen – zumal in Jordanien der wachsenden Kritik der Bevölkerung zum Trotz – immer wieder den strategischen und politischen Wert dieses Friedens betont. Auch dieser Frieden hat bis heute Bestand.
Umgekehrt hat sich kein US-Präsident so intensiv, engagiert, ressourcenreich und buchstäblich bis zur letzten Minute seiner Präsidentschaft um einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern bemüht wie Bill Clinton. Dennoch scheiterten im Sommer 2000 die Endstatus-Verhandlungen in Camp David. Und das zu einer Zeit, als die USA noch als „Hyperpower“ und nicht etwa als Weltmacht im Niedergang galten.
So ehrlich und verdienstvoll John Kerrys Anstrengung also auch sein mögen: Er sollte sich Rat bei guten Scheidungsanwälten holen. Die wissen: Alles Drohen, alles Zureden hilft nichts, so lange auch nur eine Seite nicht zum Einlenken bereit ist.
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