- Die Revolution und wie Nachahmer daran scheitern
In aller Welt basteln Medienhäuser an ihren Versionen von Wikileaks, um an brisantes Material zu gelangen. Die meisten müssen scheitern, weil sie es mit dem Quellenschutz nicht so genau nehmen oder weil sie grundlegende Prinzipien von Wikileaks verraten.
"Am Ende muss es tausend Wikileaks geben", hat Daniel Domscheit-Berg einmal gesagt. "Es hilft uns, wenn es mehrere wie uns gibt", meint auch Julian Assange. Der Ruf der beiden durch Wikileaks bekannt gewordenen Aktivisten wurde gehört. Er wurde nur leider falsch verstanden.
In aller Welt sind zuletzt neue Anlaufstellen für Whistleblower aufgetaucht. Doch gerade traditionelle Medienhäuser begehen bei dem Versuch, die Erfolge von Wikileaks nachzuahmen, grobe Fehler. Jüngstes Beispiel ist das Wall Street Journal, das am 5. Mai die Seite Safehouse freigeschaltet hat. Hier ruft die Zeitung aus dem Rupert-Murdoch-Imperium dazu auf, ihr "nachrichtlich relevante Verträge, Korrespondenzen, E-Mails, Finanzdaten oder Datenbank-Inhalte von Unternehmen, Behörden oder Non-Profit-Organisationen" zu übermitteln. Nur wenige Stunden später hatte der IT-Spezialist Jacob Appelbaum, der einst selbst für Wikileaks arbeitete, mehrere Ansätze entdeckt, die das Safehouse bedenklich wackeln und alles andere als "safe" erscheinen lassen.
Es sind vor allem technische und rechtliche Aspekte, die große Zweifel aufkommen lassen, ob das Wall Street Journal seine Quellen wirklich schützen kann. Oder will. Schon in den Nutzungsbedingungen von Safehouse steht, man behalte sich das Recht vor, alle Informationen über die Whistleblower ohne weitere Warnung an die Polizei oder an Dritte zu übergeben, wenn es rechtlich geboten sei - oder wenn es nötig ist, um die Rechte des Verlagshauses Dow Jones, in dem das WSJ erscheint, und die Interessen anderer zu schützen. Damit dürften die allermeisten potenziellen Informanten bereits gründlich abgeschreckt sein. Dass die Datenübertragung aus verschiedenen technischen Gründen keineswegs so sicher ist, wie die Zeitung behauptet, macht den Ansatz dann schließlich wertlos.
Besonders enttäuschend ist jedoch, dass Zeitungen wie das WSJ oder auch die WAZ-Gruppe, die ein eigenes Upload-Portal geschaffen hat, mit ihren Informanten-Ködern die grundlegenden Ideen hinter Wikileaks verraten.
Das wirklich revolutionäre an Wikileaks war - besonders in den Anfangsjahren vor den zigtausende Dokumente umfassenden "Megaleaks" aus Afghanistan und dem Irak - dass auf der Seite das gesamte Material veröffentlicht wurde. Wer sich für die "geleakten" Inhalte interessierte, konnte sich das Rohmaterial selbst ansehen. Der Leser wurde so zum Kontrolleur der Journalisten befördert, weil er nachvollziehen konnte, welche Informationen einer Meldung zugrunde lagen. Medienhäuser dagegen veröffentlichen in der Regel höchstens Auszüge aus Dokumenten und liefern dem Leser oder Zuschauer nur ihre eigene Deutung der Geschichte. So wird es auch beim Wall Street Journal sein und bei der WAZ-Gruppe, die nach eigenem Bekunden höchstens darüber nachdenkt, "ausgewählte Dokumente im Zusammenhang mit den Geschichten zu veröffentlichen."
Der zweite Grundpfeiler für den zwischenzeitlich überwältigenden Erfolg von Wikileaks war die Glaubwürdigkeit der Organisation. Das mag seltsam klingen, wenn man an deren fehlende Transparenz denkt, an die Schlammschlacht zwischen Domscheit-Berg und Assange und überhaupt an das exzentrische Benehmen des selbsternannten Gründers. Im Umfeld von Wikileaks gab es zudem schon früh Kritik am Umgang mit freiwilligen Helfern und an der angeblich schlechten Kommunikation mit Sympathisanten. Dennoch gelang es der Plattform lange Zeit, Hunderttausende Dollar an Spenden von Privatpersonen einzusammeln und sich so als unabhängig und nicht profitorientiert darzustellen. Einer Zeitung aus dem Murdoch-Imperium wird das niemals gelingen.
Als Amazon entschied, seine Server nicht mehr für Wikileaks zur Verfügung zu stellen und auch andere Unternehmen ihre Unterstützung verweigerten, legten Hunderte, wenn nicht Tausende Internetnutzer aus aller Welt sogenannte Mirrorseiten von Wikileaks an, um sicherzustellen, die dort zuletzt veröffentlichten diplomatischen Depeschen weiterhin im Netz verfügbar sein würden. Es war eine beeindruckende Solidaritätsbekundung. Sie resultierte aus dem Ruf als Trutzburg gegen Zensur, den sich die Enthüllungsplattform im Laufe der Jahre aufgebaut hatte.
Kein Zweifel, in den letzten Monaten haben Assange und seine verbliebenen Mitstreiter viel dafür getan, diesen Ruf nachhaltig zu schädigen. Doch eines kam man dem Australier, aber auch Daniel Domscheit-Berg und den vielen weniger prominenten Aktivisten nicht absprechen: Sie sind Idealisten. Sie mögen ausgeprägte Egos haben, aber in all ihren Interviews und Vorträgen wird immer wieder deutlich, dass sich diese Leute ganz den journalistischen Wächterprinzipien verschrieben haben.
Ein würdiger Nachfolger von Wikileaks sollte deshalb einen Idealzustand anstreben, den das Original selbst nie erreicht hat: Bedingungsloser Schutz von Informanten, Kampf gegen Zensur, Offenlegung der Rohdaten sowie die Bereitschaft, auf knackige, aber absehbar folgenlose Schlagzeilen der Kategorie "Teflon-Merkel" zu verzichten, wenn es wichtigere Themen gibt. Jeder Versuch, jetzt mit niedrigeren Standards ähnlich spektakuläre Scoops produzieren zu wollen, muss scheitern.
"Meine langfristige Vermutung ist, dass sich alle Medienhäuser diese Upload-Möglichkeiten selbst schaffen", sagt David Schraven, Leiter des WAZ-Recherche-Ressorts, und er könnte Recht behalten. Die Al Jazeera Transparency Unit http://www.ajtransparency.com/ hat im Januar ihren Betrieb aufgenommen und mit der Veröffentlichung von 1600 Dokumenten über israelisch-palästinensische Verhandlungen schon ihren ersten großen Scoop gelandet. In Indonesien gibt es eine entsprechende Plattform, in Brüssel haben einige Journalisten BrusselsLeaks, gegründet, um an brisante EU-Dokumente zu kommen. Greenleaks gibt es sogar schon zwei Mal. Die New York Times denkt ebenfalls darüber nach, eine eigene Upload-Möglichkeit für Informanten zu schaffen.
In Deutschland steht OpenLeaks in den Startlöchern. Informanten werden ihre Dokumente anonym und sicher auf openleaks.org hochladen und bestimmen können, welcher Medienpartner der Plattform den ersten Zugriff bekommt, um es zu sichten, zu bewerten und daraus eine Story zu machen. Sobald diese erschienen ist, wird das Material veröffentlicht und auch den anderen Medien und NGOs, die bei Openleaks mitmachen, zu Verfügung gestellt. Lehnt der ausgewählte Partner das Material ab, dürfen die anderen zugreifen.
OpenLeaks soll einerseits die technischen Stärken in Bezug auf Sicherheit und Quellenschutz von Wikileaks übernehmen, andererseits habe man nicht das Ziel, ein zweites "Cablegate" mit Tausenden von Dokumenten zu finden. Vielmehr hofft Daniel Domscheit-Berg, der das Projekt zusammen mit anderen Wikileaks-Aussteigern initiiert hat, Korruption und Fehlentwicklungen schon auf kommunaler Ebene aufdecken zu können. Auf die kleine Enthüllungen will sich Openleaks beschränken. Wikileaks sei auch ein seiner Größe gescheitert, sei durch die Macht, die man plötzlich in den Händen gehalten habe, korrumpiert worden, sagte Domscheit-Berg, ohne die Worte Wikileaks oder Assange ausdrücklich zu erwähnen. Eine solche Entwicklung solle bei OpenLeaks vermieden werden.Seit Ende Januar ist die Website zu erreichen, in Betrieb ist OpenLeaks allerdings noch immer nicht. Bei der re:publica in Berlin erklärte Domscheit-Berg, man brauche noch etwas Zeit. Die "digitale Babyklappe" soll erst eröffnet werden, wenn sie zuverlässig und sicher funktioniert. Das Wall Street Journal hätte sich ein Beispiel daran nehmen sollen.
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