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Auf dem Weg ins Krematorium / dpa

Der Bürgermeister von Bergamo über die Coronakrise - „Wir waren völlig naiv“ 

Die Provinz Bergamo im Norden Italiens ist einer der Hot Spots der Coronakrise. Das Virus kostete tausende, vor allem ältere Menschen das Leben. In einem Interview räumt der Bürgermeister der Stadt Bergamo zum ersten Mal Versäumnisse ein. 

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Er sagt, er habe hunderte von Leichnamen in andere Städte schicken müssen, weil das Krematorium in Bergamo nicht mehr hinterhergekommen sei mit dem Einäschern. 2.800 Tote seien es offiziell gewesen, doch die tatsächliche Zahl liege wohl um 6.000 höher. „Sie sind in vielen kleinen Urnen zurückgekommen“, und er und der Bischof hätten eine kleine Gedenkzeremonie abgehalten.

Es sind bewegende Worte, in denen der Bürgermeister von Bergamo, Giorgio Gori, in einem Interview mit dem Sender ntv beschreibt, was er in den vergangenen Wochen erlebt hat. Und man möchte dieses Interview ausschneiden und auf den so genannten „Hygiene-Demos“ an alle die Demonstranten verteilen, die ohne Mundschutz und ohne den Sicherheitsabstand einzuhalten auf die Straße gehen, um „gegen die Aufhebung ihrer Grundrechte“ in der Coronakrise zu demonstrieren. 

Italien als abschreckendes Beispiel 

Dieses Interview sollte sie daran erinnern, dass Deutschland Glück gehabt hat, verdammtes Glück. Denn wo stünde das Land heute, wenn Bund und Länder nicht geistesgegenwärtig reagiert und das öffentliche Leben im März von heute auf morgen lahmgelegt hätten? Kleiner Spoiler: Freigaben für Demos, deren Teilnehmer unter Grundrechten offenbar auch das Recht verstehen, sich selbst und andere anzustecken und kritische Journalisten zusammenzuschlagen, gäbe es wohl keine. Daran wird man wieder erinnert, wenn man das Interview liest.

Er habe das Virus völlig unterschätzt, räumt der Bürgermeister von Bergamo ein. Noch am 19. Februar habe er sich in Mailand das Spiel „Atlanta Bergamo gegen SC Valencia“ angeschaut – zusammen mit 45.000 Fußballfans. Aus Sorge um die Arbeitsplätze hätte er davor zurückgeschreckt, das öffentliche Leben lahmzulegen. Umso erschrockener sei er gewesen, als sich die Krankenhäuser „rasend schnell mit Schwerkranken füllten“ und selbst zu Virenschleudern wurden. „In unserer Naivität dachten wir, wir könnten unser Leben einfach so weiterleben.“ Heute danke er Deutschland dafür, dass es 47 Patienten behandelt habe. „Sie sind fast alle geheilt.“  

Das ganze Interview lesen Sie hier: https://www.n-tv.de/politik/Jeder-muss-sich-zu-seinen-Fehlern-bekennen-article21772052.html

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Christa Wallau | Fr., 15. Mai 2020 - 21:49

... der Stadt Bergamo.

Im hiesigen DRK-Krankenhaus hatten wir auch einen schwerst erkrankten Patienten aus Italien zur Behandlung, der vor kurzem geheilt entlassen u. in die Lombardei zurückgebracht wurde. Ein Artikel in unserer Lokalzeitung berichtete davon.
Zwischen Ignorieren der Gefahr (in Italien) und
einseitigem Überreagieren (bei uns) gibt es sicher einen besseren Umgang mit dem Virus, aber - ohne Frage - im Zweifelsfall ist das letztere dem ersten vorzuziehen. Die Menschen in Bergamo u. Umgebung haben einen hohen Preis bezahlt für ihre Leichtsinnigkeit.
Ich finde es gut, daß der Bürgermeister eindeutig zugibt, wie falsch er u. wohl auch die Ärzte die Gefahr eingeschätzt haben u. daß er sich bedankt dafür, daß Deutschland über 40 Italiener vor dem Tode bewahrt hat.
Ob es jetzt wohl öffentliche Vorwürfe oder Anklagen gegen die Verantwortlichen in Italien gibt? Oder nehmen die Menschen die Auswirkungen der Pandemie als schicksalhaft hin?
Das würde mich sehr interessieren.

Sie war im Februar 2020. Alles was zwischen Ende Januar und Mitte März versäumt, oder gegen jede Vernunft falsch gemacht wurde, wie der Export von Krankenhausmaterial, oder regierungsamtliche Verharmlosungen selbst gegen jeden Hausverstand, konnte nie wieder gut gemacht werden. Sehr viel Wirtschaftstätigkeit im Inland hätte nicht abgewürgt werden müssen, wenn man viel schneller reagiert hätte. Eine contact-tracing-app haben wir bis heute, 16. Mai, noch nicht. Für eine Tasse Kaffee im Strassencafe' der Bäckereifiliale muss man, seit gestern, sich mit Name, Adresse, Telefonnummer und Uhrzeit in eine ausliegende Liste eintragen. Das wird nicht lange funktionieren, oder die Leute verzichten auf den Konsum.

Walter Claassen | Fr., 15. Mai 2020 - 23:44

Das ist - mit Verlaub - eine merkwürdige Vermischung von einem interessanten Bericht und einem ziemlich rotzigen Kommentar.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 16. Mai 2020 - 07:27

Späte Einsicht ist besser, als keine Einsicht. Weltweit waren die Länder nicht vorbereitet. Wer sein Gesundheitssystem gut oder schlecht organisiert hat, kann ich nicht beurteilen. Für mich ist erstmal mein eigenes Land entscheidend. Seit 2013 hätte man sich vorbereiten können, hätte solche Analysen, wie sie Herr Kohn angestellt hat schon längst haben können. Abgestufte und konkrete Pandemiepläne und "sichere" Modellberechnungen für Pandemiefälle hätten geholfen, nebst Studien zu Maßnahmen wie "Shutdowns" und "Lockdowns". Nichts ist bei uns passiert. Das Virus kam, ja hat "alle" überfordert, weil wuchtig und neu, das gestehe ich jedem zu, in der allerersten Phase vielleicht auch über zu reagieren, falsch zu liegen, Fehler zu machen. Das schreiben hier einige Kommentatoren auch. Sich keine "umfassenden" Analysen mit pro und kontra von Fachwelt und Wissenschaft in der konkreten Entscheidungsphase einzuholen? Das ist Politikversagen. Kritiker sind Verharmloser/Leugner/Spinner/Verschwörer.

Zunächst Grundsätzliches: In modernen Gesellschaften steht das Individuum im Zentrum. Viele glauben immer noch auf das Individuum komme es nicht an, sondern auf irgendein Kollektiv, deren Erhaltung mit dem Leben von Einzelnen bezahlt werden könnte. Nein, es gibt in dieser Situation nichts Höheres oder Überindividuelles. Jeder Tote ist einer zuviel.

Vielleicht ist es ebenso hilfreich, wenn man sich immer wieder die ungeheure Infektionsdynamik des Virus vor Augen hält. Hier kommt das Gesundheitssystem in´s Spiel. Es soll die Lebenserhaltung des einzelnen Individuums (Gleichbehandlung) ermöglichen. Damit das Krankenhaus-System (Intensivbetten) nicht zusammenbricht, brauchte es gesellschaftliche Gebote und Verbote (Verhaltensvorschriften), die die Politik aufstellt und auch mit Gewalt durchsetzen muss. Sie muss schnell entscheiden angesichts der Infektionsdynamik. Dabei lässt sie sich von Experten beraten, denn es gibt keine Erfahrungen auf die man zurückgreifen könnte.

Hatte ich doch fast vergessen, dass die Bundesregierung 2013 schon mal über mögliche Pandemiebekämpfung sprach, aber dann untätig blieb. Aber wird werden ja von dem aufmerksamen Foristen permanent daran erinnert.
2013, war das nicht das Jahr in dem auch die AfD entstand? Ich nehme an, die hat dann ständig darauf gedrängt, dass solche Pläne verfolgt wurden . Komisch, habe ich gar nicht mitbekommen. Ich hatte immer den Eindruck, die sprachen nur über Migration - da muss ich wohl gepennt haben.
Ich hätte wohl schon früher mein neues Aluhütchen tragen sollen. Obwohl: Ich zweifele schon...vielleicht sollte ich mich zukünftig mit Motorradhelm vor den Bildschirm setzen, wenn es um Corona geht - wegen des Rundumschutzes. Aber wenn ich jetzt im Rahmen der Zwangsimpfung einen Chip verpasst bekomme, profitieren vielleicht auch meine kognitiven Fähigkeiten davon! Wann passiert das noch mal? Am 15. Mai? Aber das war ja gestern. ...Irgendwie klappt das mit der Totalüberwachung noch nicht so...

Urban Will | Sa., 16. Mai 2020 - 09:54

Herr Gori spricht über die Zeit um und vor dem 19.02.
Man wusste nicht einmal, wie er sagt, dass das Virus seit Dezember in der Gegend war.

Wieso war man naiv?
Unwissen und Naivität sind nicht dasselbe.

Auch in D existierte Corona zu dieser Zeit nur im Fernsehen. Die Stadien waren noch im März gefüllt, man schüttelte sich die Hände, vollgepackte Flugzeuge waren am Himmel, etc.
Wir hatten und haben mit Sicherheit viel mehr Infizierte als bekannt.

Wieso wird nicht einmal laut überlegt, ob es noch andere Gründe für die vielen Toten in Bergamo und Umgebung gab?
Im Zusammen mit Legionellen und schweren Lungenschäden gab es da schon früher Probleme.
Coronainfektionen im Zusammenhang mit Legionellen könnten die Ursache sein für viele Tote.

Und wenn Zahlen über Einäscherungen um über 100% schwanken, dann frage ich mich – mit Verlaub – eh, was ich mit all den Zahlen, die von da kamen wirklich anfangen kann und soll.

Romuald Veselic | Sa., 16. Mai 2020 - 12:08

ist jeder der General.
Die globalen Lieferketten wurden unterbrochen.
Was sich in Pandemiekrise, als Nachteil/Achillesferse, der in so prima existierendem Globaldorf entpuppte. Denn der tödliche Nebeneffekt der allumfassenden Globalwirtschaft, ist eben die aktuelle Seuche. Womit die Open Society Fantasten u. World/Cosmo Bon Hommes nie gerechnet hatten. Das Polit-Prinzip, der stets das Gute/Beste, als Monstranz vor sich trägt, wurde zu Fata Morgana. In ihrer Überheblichkeit/Arroganz wurde vergessen, dass das (unsere) Gute, nicht mit dem (fremden) Guten abgegolten wird. Sowie Ebola als pandemische Endstation abgehackt wurde, beschränkt auf Tropisch-Afrika. Sogar Versicherung Global Player rechneten in ihren Risikoanalysen nicht damit.
Mit besten Grüßen,
Euer Wuhanski