- Exklusiv für Xing-Leser: Tom Buhrows Revolutiönchen
Der Noch-WDR-Intendant und interimsmäßige ARD-Vorsitzende Tom Buhrow fordert einen grundlegenden Reformprozess für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem. Was ist davon zu halten?
„Ich werde etwas tun, was in der medienpolitischen Debatte absolut unüblich ist: Ich werde einfach sagen, was ich denke“, leitete WDR-Intendant Tom Buhrow jüngst seine Rede vor dem Übersee-Club in Hamburg ein. Klingt zugegeben ein bisschen nach einem Ort, wo sich betuchte Männer älteren Semesters bei Cognac und Zigarre treffen, um übers Segeln zu philosophieren.
Tatsächlich handelt es sich um einen Verein, der 1922 auf Initiative des Bankiers Max Warburg zur Förderung des Austauschs von Wirtschaft und Wissenschaft gegründet wurde. Im Prinzip würde aber beides passen, wenn es um den Zustand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland geht. Denn der erlebt gerade Zeiten, die sich wunderbar mit Metaphern aus der Seefahrt beschreiben lassen; stürmische Zeiten nämlich.
Schiffbruch hat zuletzt etwa der RBB wegen seiner Intendantin Patricia Schlesinger erlitten, die daraufhin, ebenso wie weitere Protagonisten dieses Skandals, über die Planke musste. Außerdem meutern immer mehr Gebührenzahler immer lauter und eindringlicher, weil sie genug haben vom grüngefärbten Angebot von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Und gleichzeitig scheint der Kompass irgendwie zu spinnen, weshalb niemand beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk so richtig zu wissen scheint, wohin die Reise eigentlich gehen soll. Niemand, außer der alte und neue ARD-Kapitän Tom Buhrow vielleicht. Dieser ist noch bis Ende des Jahres im Amt. Dann wandert der ARD-Vorsitz zum SWR, und Kai Gniffke übernimmt.
Buhrow will keine Denkverbote
Tom Buhrows Rede vor dem Übersee-Club hatte es in sich. Wer mag, kann diese in gekürzter Form bei den Kollegen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen. Kurz zusammengefasst, fordert Buhrow eine weitgehende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems und hat dafür freilich auch erste Gedankenansätze, die er, wie er betonte, als Privatmann, nicht als ARD-Vorsitzender zum Besten gab, was freilich nur Alibi ist. Schließlich redet Tom Buhrow bei solchen Veranstaltungen ja, weil er WDR-Intendant und nach dem Schlesinger-Skandal vorübergehend auch der alte und neue ARD-Vorsitzende ist, nicht obwohl.
Buhrow jedenfalls will erkannt haben, dass es mit Blick auf die Diskussion um den RBB-Skandal längst nicht mehr um „Einzelthemen“ geht, sondern um eine „Grundsatzdebatte“, der sich das System stellen müsse. Buhrow fordert beispielsweise einen Runden Tisch in Deutschland, „der die großen, grundsätzlichen Fragen beantwortet“. Außerdem einen „Generationenvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, da dieser in einigen Jahren nicht mehr derart gewünscht sei, wie er heute existiert, glaubt Buhrow. Ein „gedanklicher Neuanfang“ müsse her, „ohne die typischen Selbstverteidigungsreflexe“ und „ohne Denkverbote“, sagte er.
„Ich setze voraus, dass wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundsätzlich schätzen. Aber jetzt geht es um nichts Geringeres als um die Frage: Was wollen wir von einem gemeinnützigen Rundfunk im 21. Jahrhundert? Wieviel gemeinnützigen Rundfunk wollen wir? Aber auch, im Umkehrschluss: Was wollen wir nicht? Oder nicht mehr?“
Konkurrenz und Druck haben zugenommen
Die Debatte um eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist freilich nicht neu, schwelt seit Jahren und ploppt punktuell immer wieder auf. Meist begleitet von den üblichen Empörungsschleudern wie Jan Böhmermann, die bei jedem Reformvorschlag gleich die Abschaffung der Pressefreiheit herbeireden – und, ohne das zu sagen, herbe Einschnitte beim Gehalt und letztlich einen gewissen Bedeutungsverlust fürchten. Eine Debatte, die immer auch von Beobachtern und Teilhabern mit dem richtigen Hinweis versehen wird, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht selbst reformieren kann.
Das ist Aufgabe der Politik auf Landesebene, weil dieses System föderalistisch organisiert ist. Das einzige, was die Anstalten selbst tun können, ist, das Programm zu verändern, neue Inhalte zu entwickeln, was ihnen mal besser, mal schlechter gelingt, oder beispielsweise Personal abzubauen. Dadurch würden sie aber wiederum den Zorn der Belegschaft auf sich ziehen und sich letztlich selbst schwächen in einer Welt, in der Konkurrenz und Druck gleichermaßen zugenommen haben. Schon all den neuen Verbreitungswegen wie YouTube oder Spotify geschuldet.
Ein Relikt aus längst vergangenen Tagen
Es ist diese Gemengelage, die dazu führt, dass viel diskutiert wird über eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Deutschland, das, würde man es heute neu erfinden, sicherlich deutlich kleiner und damit auch günstiger wäre. Außerdem stärker nachrichtlich ausgerichtet. Wahrscheinlich würde man davon absehen, Großveranstaltungen wie die Fußball-WM der Männer einzukaufen. Und ganz sicher käme niemand auf die Idee, so etwas wie den „Tatort“ zu erfinden, sondern würde derlei Unterhaltungskram den privaten Sendern und Streaming-Anbietern überlassen. Letztere können das nämlich deutlich besser, sagt die anekdotische Evidenz.
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Man muss es so klar sagen: Unser öffentlich-rechtliches Rundfunksystem ist ein Relikt aus längst vergangenen Tagen, als es noch keine Privatsender gab und auch kein Internet, als Menschen noch Zeitung lasen, um sich zu informieren, und abends für ein Best-of des Weltgeschehens die „Tagesschau“ einschalteten, statt dafür durch den eigenen Facebook- und Twitter-Feed zu scrollen oder sich den Nahostkonflikt auf TikTok, überspitzt formuliert, teilweise vortanzen zu lassen.
Stattdessen ist der Stand der Dinge dieser: Es reicht schon, dass SWR-Intendant Kai Gniffke laut über eine engere Kooperation zwischen Saarländischem Rundfunk und Südwestrundfunk nachdenkt, oder anzubringen, ob eine Fusion von ARD und ZDF nicht sinnvoll wäre, um einen Sturm der Entrüstung auszulösen. Und wehe, irgendwer fordert, zum Beispiel eine Rundfunkanstalt zu verkleinern. Dann ist man gleich AfD. Die Beißreflexe sind gelernt. Schließlich lebt es sich gut im System.
Vor diesem Hintergrund ist es daher ehrenwert, dass sich der 64-jährige Tom Buhrow, dessen Rentnerdasein in greifbare Nähe gerückt ist, aus der Deckung wagt und Tacheles redet. Mal weniger, wenn er im Übersee-Club sagt, dass auch „das Saarland eine besondere Geschichte und eigene Interessen“ habe. Mal mehr, wenn er sagt: „Es ist ja nicht so, als ob es in der ARD keine Fusionen gegeben hätte.“ Und mal einfach nur realistisch, wenn er feststellt: „Wenn man den Beitrag reduzieren will, muss man den Umfang unseres Angebots reduzieren. Und das bedeutet jede Menge Konflikte.“
Frage, was du für den ÖR tun kannst
Wenn es nach dem Autor dieser Zeilen geht, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine wichtige und richtige Institution. Gleichwohl ist sonnenklar, das ist ja auch Buhrows Kernbotschaft, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht einfach weitermachen können wie bisher. Buhrows Revolutiönchen im Übersee-Club in Hamburg ist entsprechend richtig. Er hat nämlich Recht, wenn er feststellt: „Wir müssen aus dem bisherigen System ausbrechen.“ Wenn er sagt, dass ein Gesellschaftsvertrag hermuss, eventuell mit Hilfe eines Runden Tisches. Wenn er sagt: „Es darf an diesem Runden Tisch keine Tabus, keine Denkverbote geben.“ Und wenn er mahnt, dass man erst ein Ziel brauche, dann „Zeit, um es zu erreichen“.
Wenn es um die Zukunft von ARD, ZDF und Deutschlandradio geht, stehen gleichwohl alle Beteiligten in der Verantwortung, vom Volontär bis zum Rundfunkrat, von München bis Schwerin, vom BR bis zum NDR. Nicht erst morgen, sondern gestern und vorgestern schon. Frei nach John F. Kennedy: Frage nicht, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk für dich tun kann, sondern, was du für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tun kannst. Zu pathetisch am Ende? Vielleicht. Aber besser ein bisschen drüber an dieser Stelle, bevor die Debatte wieder hinten runterfällt.
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