- Schwarzwald goes Silicon Valley
Der Klingelanlagenhersteller S. Siedle & Söhne hat in Deutschland einen Marktanteil von etwa 50 Prozent. Gabriele Siedle ist die erste Frau an der Spitze des Unternehmens. Nun kämpft sie mit neuer Konkurrenz aus dem Silicon Valley
Der gebürstete Edelstahl am Klingelschild war Gabriele Siedles erste eigene Innovation im Unternehmen. Siedle, das Schwarzwälder Traditionsunternehmen für Gebäudekommunikation, konnte bis dahin nur Kunststoff. Aber Ende der Neunziger sah sie es an vielen Türen silbern schimmern und glaubte, das sei die Zukunft. Und irgendwann glaubte es auch ihr Mann, der Firmenpatriarch Horst Siedle. Heute steht in der Produktionshalle in Furtwangen ein riesiger Laser, der die individuell gefertigten Kombinationen aus Klingelschild, Briefkasten und Kamera aus den Stahlplatten herausbrennt. Die Serie „Siedle Steel“, seit 2000 auf dem Markt, ist einer der Umsatztreiber des Unternehmens.
Gabriele Siedle ist die erste Frau auf dem Chefsessel des Unternehmens, nachdem ihr Mann die Führung nach einer schweren Krankheit 2005 abgeben musste. Sie hat ihren eigenen Ton gefunden. Die ehemalige Direktorin der Dresdner Bank in Baden-Baden setzt dort, wo Horst Siedle drei Ausrufezeichen gemacht hätte, eher mal ein Fragezeichen. Meist in schwarz gekleidet, verlangt sie mit leisem, aber bestimmtem Ton von ihren mehr als 550 Mitarbeitern eher Eigenverantwortung und Flexibilität als Gefolgschaft.
In Deutschland hat Siedle einen Marktanteil von etwa 50 Prozent. 2011 erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 83,5 Millionen Euro. Wahrscheinlich hat jeder in seinem Leben schon mehrfach einen der charakteristischen Klingelknöpfe gedrückt. Das erste Modell mit dem treffenden Namen Portavox erschien schon 1935 auf dem Markt. In den achtziger Jahren revolutionierte Horst Siedle die Branche, indem er Design und Technologie an die Türschwelle brachte. Er stellte die gesamte Produktion seines Unternehmens auf Kunststoff um, und Chefdesigner Eberhard Meurer, heute eine Ikone des Industriedesigns, lieferte das charakteristisch reduzierte Erscheinungsbild dazu.
Gabriele Siedle führt ihre Gäste auch gern zuerst in die Ahnengalerie des Hauses, das sie hier nur „die Villa“ nennen und das Elternhaus für Generationen von Siedles war. Da hängt Salomon Siedle in Öl, der im 18. Jahrhundert aus der kleinen Gießerei eine Fabrik für Zahnräder und Uhrengewichte machte und so den Weg in die Industrialisierung wies. Daneben Robert Siedle, der das Unternehmen um die Jahrhundertwende zum Elektrohersteller und Produzenten von Telefonen machte.
Jetzt steht Siedle vor einer neuen Herausforderung. Denn die Zeiten sind für das erfolgsverwöhnte Unternehmen härter geworden. 2008 musste die erstmals Kurzarbeit anmelden, Kündigungen konnten aber im Sinn der Unternehmensstatuten vermieden werden, und heute ist Siedle wieder auf Erfolgskurs. „Damals haben die Mitarbeiter gemerkt, dass der Erfolg nicht gottgegeben ist“, sagt Gabriele Siedle, und dass man sich auf grundlegende Veränderungen einstellen müsse.
Software wird auch bei Klingelanlagen immer wichtiger. Deshalb kann man Siedles Komfortanlagen nun mit einer Smartphone- App steuern. Kam die Konkurrenz früher aus der eigenen Branche, so sind es heute Apple und Microsoft, die selbst an die Türschwelle drängen.
Gabriele Siedle weiß, dass man als kleines Schwarzwälder Familienunternehmen nicht auf Dauer mit dem Silicon Valley konkurrieren kann. Die Chefin setzt auf Kooperationen mit Softwareunternehmen in aller Welt. Inspirationen für neue Produkte holt sie sich regelmäßig bei von Siedle veranstalteten Symposien mit jungen Industriedesignern. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass allen in Furtwangen bewusst ist, wie wichtig es ist, alte Stärken nicht zu vernachlässigen: Kundennähe und Service. Bei Siedle kann man trotz immer ausgefeilterer Produktpalette heute noch Ersatzteile für Anlagen aus den siebziger Jahren liefern. Viele alte Anlagen lassen sich mit neuen Modellen kombinieren.
Damit bei allem Wandel Siedle bleibt, was es ist, hat das Ehepaar Siedle eine Stiftung gegründet, in deren Besitz das Unternehmen übergehen wird. Denn die achte Generation, bestehend aus Horst Siedles Tochter aus erster Ehe, zeigt kein Interesse, in die Firma einzusteigen. Die Stiftung soll sicherstellen, dass die Werte des Unternehmens auch in Zukunft Bestand haben: Arbeitsplatzerhalt geht vor Gewinnmaximierung, und über allem steht die Unabhängigkeit der Firma.
Die 62 Jahre alte Gabriele Siedle blickt zuversichtlich auf die Ölschinken mit den Ahnen, die im seltsamen Kontrast zum modernen Design des Konferenzraums stehen: „Eigentlich haben alle Siedles tiefe Veränderungen gestalten müssen.“ So bleibt sie der Tradition treu.
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