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Parken am Meeresgrund
Was passiert, wenn der Staat Autos baut? Ob Ostblock oder Königreich: Fahrgemeinschaften zwischen Staat und Automobilindustrie enden meist an der Notrufsäule.
Die Regierung ist sich einig: Dieses Automobilunternehmen muss gerettet werden. Es sei für Arbeitsplätze und Wirtschaftsentwicklung des Landes von so grundlegender Bedeutung, dass man einen Bankrott einfach nicht zulassen könne.
Hier ist nicht von Opel 2009 die Rede. Wir schreiben das Jahr 1975. Der Name des Unternehmens lautete „British Leyland Motor Corporation“ (BLMC). Die waidwunden britischen Hersteller hatten sich darunter zu einem großen Modellfriedhof zusammengefunden. Und Harold Wilson, der britische Premierminister, eilte zur Rettung.
Es fing zunächst ganz harmlos an. Der „Rettungsplan“ umfasste im ersten Schritt eine Bürgschaft von 50 Millionen Pfund. Die Annahmen über zukünftige Verkaufszahlen, die dem Sanierungskonzept zugrunde gelegt worden waren, galten Branchenkennern allerdings von Anfang an als „exzessiv optimistisch“. Im Laufe der nächsten acht Jahre flossen schließlich fast zwei Milliarden Pfund in die staatlicher Regie unterstellten Fabriken. Das Ergebnis: Vom Geld blieb nichts übrig und von BLMC auch nichts. Die Milliarden flossen durch einen Einfüllstutzen, an dessen Ende leider der Tank vergessen worden war.
Der britische Bürger bezahlte fortan mit seinen Steuern Autos, die er freiwillig nicht mehr kaufen wollte. Fahrzeuge wie „Morris Marina“, „Austin Princess“, „Austin Ambassador“, „Mini Metro“ und „Triumph TR 7“ („Kohlenkasten mit Baskenmütze“) werden als abschreckende Beispiele in die Automobilgeschichte eingehen: So etwas kommt raus, wenn der Staat Autos baut. Die Verkaufskurven zeigten die Flugbahn eines Selbstmörders, der sich vom Dach stürzt. Die erschütterte Kundschaft sollte mit der vaterländischen Aufforderung „Buy british“ (kauf britisch) zurückgewonnen werden. Der Slogan kann den Verantwortlichen jedoch nur beim Besuch des örtlichen Sado-Maso- Clubs eingefallen sein.
Was sich nicht verkaufen ließ, ließ sich aber zumindest verschenken. Zum Beispiel in Rumänien. Daran erinnert sich Mihai Pacepa, der 1978 zum Stabschef von Nicolae Ceausescu aufstieg. Zur Beförderung bekam er vom Chef einen Jaguar. Das edle Stück aus der BLMC-Familie fiel jedoch selbst in Rumänien durch seine miserable Qualität auf. Und von der versteht Mihai Pacepa wirklich etwas. Der ehemalige Ostblock-Funktionär, der sich 1978 in die USA absetzte, war nämlich auch zuständig für den Aufbau der rumänischen Autoindustrie. In einem Beitrag für die Schweizer Weltwoche schreibt der heute Achtzigjährige: „Man sagt, Geschichte wiederholt sich nicht. Wenn Sie wie ich zwei Leben gelebt haben, haben Sie die Chance, die Wiederholung mit eigenen Augen zu sehen.“ Die gegenwärtige Übernahme von General Motors und die United Autoworkers erinnere ihn an Rumäniens katastrophales Missmanagement seiner Autowerke.
Zunächst kaufte Rumänien von Renault die Lizenz für den antiquierten Renault 12. „Ceausescu entschied sich für Renault, weil es ein Staatsunternehmen war“, erläutert Pacepa. „Gut genug für die Idioten“, habe Ceausescu befunden, der von seinem Volk keine sehr hohe Meinung gehabt habe. Der erste Prototyp war dem Chef aber trotzdem zu komfortabel: „Zu luxuriös für die Idioten.“ Daraufhin wurde von Bürokraten und Autogewerkschaft „unnötiger Luxus“ eliminiert. Das spartanische Resultat hatte nicht einmal mehr einen zweiten Außenspiegel. Ceausescu befand: „Perfekt für die Idioten.“
Der Conductor besaß zwar keinen Führerschein, wollte die Welt aber mit rumänischen Autos überschwemmen. Doch das auf den Namen „Dacia“ getaufte Mobil war im Westen so gut wie unverkäuflich. Übertroffen wurde der „Dacia“ nur noch vom Kleinwagen „Oltcit“. Sämtliche Einzelteile mussten in 166 rumänischen Fabriken gefertigt werden, weshalb sie so gut wie nie zu einem fertigen Automobil zusammenfanden. Das Projekt verschlang Milliarden, doch es wurden nur knapp 1,5 Prozent der geplanten Produktion hergestellt.
Im übrigen Ostblock waren die Anordnungen der Führer ähnlich sachkundig. In der DDR wurden zwei Fahrzeuge gebaut, deren wesentliche Technik noch auf Zweitakt-Vorkriegskonstruktionen von DKW zurückging. Versuche der ostdeutschen Techniker, moderne Nachfolger herauszubringen, wurden vom Politbüro und dem ZK unterbunden. So fuhr man bis zum bitteren Ende mit einem Trabant umher, dessen Crashverhalten dem eines Alibert-Toilettenschrankes gleichkam. Als der VW-Golf in den achtziger Jahren im Westen zum Bestseller avancierte, brachte die DDR den Wartburg mit „Armaturenverkleidung mit Holzmaserung“ und „Malimo Cord Bezugstoff“ auf Weltniveau.
Doch nicht nur Diktatoren, Zentralkomitees und semisozialistische Parteiführer haben sich am Auto verhoben. Auch Margaret Thatcher, Ikone aller Wirtschaftsliberalen, musste während ihrer Amtszeit Benzingeld bezahlen. Von ihrem Labour-Vorgänger hatte sie das Projekt „DeLorean“ geerbt. John Zachary DeLorean, ein charismatischer ehemaliger Vizepräsident von General Motors, sammelte für die Produktion seines eigenen Sportwagens „DMC 12“ viele Millionen ein: Die Bank of America gehörte ebenso zu den Investoren wie die Showgröße Sammy Davis Junior.
Dann machte er sich auf die kreative Suche nach Staatsknete: Großbritannien ließ sich zu einem Dollar-Kredit in dreistelliger Millionenhöhe hinreißen. Einzige Bedingung: Die Fabrik musste in Belfast gebaut werden, mit einem Eingang für Katholiken auf der einen Seite und einem für Protestanten auf der anderen. Eine Sportwagenfabrik als friedenstherapeutische Werkstatt wollte dann selbst Frau Thatcher nicht killen und verlängerte die Kreditlinie. Sein Ende besorgte der DeLorean-Sportwagen schließlich selbst, denn er erwies sich aufgrund lausiger Qualität und Fahreigenschaften als Flop.
DeLorean hatte eine gewaltige Geldvernichtungsmaschine angeworfen“, schrieben die Wirtschaftskommentatoren. „Ich werde alles tun, um die Fabrik zu retten“, versprach DeLorean. Und da geriet Märchenprinz DeLorean an einen Schneemann. Ein V-Mann des FBI bot ihm ein Kokain-Geschäft an, das er einfach nicht ablehnen konnte. Bei der Übergabe eines Koffers Kokain im Wert von 24 Millionen Dollar wurde der Automanager auf dem Flughafen von Los Angeles verhaftet. Die Episode dürfte als wohl originellster Rettungsversuch in die Geschichte der Autopleiten eingehen. Die wutschnaubende Margaret Thatcher wollte nicht mehr so gerne an die gemeinsame Geisterfahrt erinnert werden und ließ die Presswerkzeuge der DeLorean-Fabrik in der irischen See versenken. Dies mag als Trost für heutige Akteure gelten: Am Meeresgrund ist noch viel Platz für weitere Milliarden.
Foto: Picture Alliance
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