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() Ferdinand Piëch
Mit 70 am Ziel

Ferdinand Piëch wird im April 70 Jahre alt. Statt in den Ruhestand zu gehen, will er weiter an der Spitze des VW-Aufsichtsrates bleiben.

Der 19. April sollte eigentlich den Beginn des Ruhestandes von Ferdinand Piëch markieren. Zwei Tage nach seinem 70.Geburtstag würden 14 Jahre an der Spitze von Volkswagen zu Ende gehen. So war es geplant. In neun Jahren als Vorstandschef und in fünf Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender hatte er den größten Automobilkonzern Europas machtbewusst durch Höhen und Tiefen geführt. Im Jahr 2002 übergab der Manager den Vorstandsvorsitz an seinen Wunschnachfolger Bernd Pieschetsrieder, und in seiner im gleichen Jahr erschienenen „Auto.Biografie“ versprach Piëch: „Ich werde mich hüten, ins Tagesgeschäft einzugreifen. Wenn die Kassa stimmt und die große Linie passt, dann ist mein Job getan. Viel Zeit werde ich für meine Familie haben, ich freue mich aufs Hochseesegeln.“ Doch es kam anders. Statt einer Abschiedszeremonie wird die Hauptversammlung der Volkswagen AG am 19.April wohl eher einer Krönungsmesse ähneln. Denn der in Wolfsburg und aus seinem Salzburger Domizil heraus agierende Piëch hat in den vergangenen Monaten eine Offensive gestartet, die ihm nicht nur die Macht in Wolfsburg sichern soll, sondern auch seinen Familienclan der Porsche und Piëchs zu den Herren im Volkswagen-Konzern machen wird. Bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres dachte der mächtige Aufsichtsratsvorsitzende des Volkwagenkonzerns in einem Interview mit dem Wall Street Journal plötzlich laut darüber nach, ob der Vertrag mit Vorstandsboss Bernd Pischetsrieder verlängert werden sollte – ein glatter Misstrauensbeweis, dem im Herbst konsequenterweise der viel beachtete Abgang Pischetsrieders folgte. Piëch sägte damit den von ihm selbst ausgewählten Nachfolger ab. Obers­ter Lenker bei VW ist nun mit Martin Winterkorn ein enger Vertrauter Piëchs, und auch der mächtige Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh unterstützt „den Alten“, wie Piëch im Konzern ehrfurchtsvoll genannt wird. Parallel zur Vorstandsrochade vollzog sich der Einstieg der Porsche AG bei Volkswagen: Im September 2005 stockten die Stuttgarter ihren Anteil an VW von unter fünf auf rund 19 Prozent auf, im Dezember 2006 waren dann schon 27,4 Prozent erreicht. Und der Porsche-Aufsichtsrat, dem Piëch ebenfalls angehört, gab bereits grünes Licht für eine Aufstockung auf 29,9 Prozent. Die Interpretation der Branchenkenner ist eindeutig: Der Salzburger schickt sich an, das Lebenswerk seines Großvaters Ferdinand Porsche zu vollenden. Er wolle mit der Porsche AG und der Volkswagen AG jene Unternehmen vereinen, die das Automobil-Genie einst mit Hitlers Rückendeckung aufgebaut hatte. Läuft alles nach einem großen Masterplan Piëchs? Siegt das „System Piëch“ – die Vereinnahmung von Vorstand, Aufsichtsrat und Betriebsrat – auf der gesamten Linie? Die Vorstellung, in Wolfsburg regiere demnächst ein allmächtiger Industriemonarch, ist falsch. Denn auf den bestimmenden Eigentümer Porsche hat Piëch trotz seines Anteils von 13,2 Prozent an dem Sportwagenbauer nur indirekten Einfluss. Und jene Mitglieder des Familienclans Porsche-Piëch, die an den Schaltstellen der PS-Dynastie sitzen, reagieren dem Vernehmen nach ärgerlich, wenn im Zusammenhang mit dem Familiengeschäft ständig die Rolle von Ferdinand Piëch hervorgehoben wird. Vor allem die Porsches sind empfindlich. Man betont höflich, aber bestimmt, es sei die Porsche AG und nicht eine einzelne Person, die bei Volkswagen eingestiegen sei. Und alle Beteiligten schwören Stein und Bein, der Einstieg Porsches bei VW im September 2005 sei nicht die Idee Piëchs gewesen, sondern jene von Porsche-Boss Wendelin Wiedeking. „Die Idee hat Herr Wiedeking gehabt, eindeutig. Mein Bruder hat das wohlwollend begleitet, aber sich stets der Stimme enthalten. Er war im Aufsichtsrat der Porsche AG sowohl bei der Beratung als auch bei der Abstimmung über die VW-Beteiligung abwesend“, betont Hans Michel Piëch, der Sprecher des Piëch-Zweiges innerhalb des Porsche-Piëch-Clans. Denn auch wenn Ferdinand Piëch, 1999 von einer internationalen Fachjury zum „Automanager des Jahrhunderts“ gekürt, meist als Einzelkämpfer beschrieben wird, so ist er doch in eine Großfamilie eingebettet, die sein mitunter exzentrisches Treiben kritisch beobachtet und zu kontrollieren sucht. Insgesamt besteht diese PS-Dynas­tie aus mehr als 60 Mitgliedern. Und das Zentrum des Clans liegt weder in Wolfsburg noch in Stuttgart – sondern seit mehr als sechzig Jahren in der österreichischen Provinz. 1942 näherte sich der Zweite Weltkrieg seinem Wendepunkt in Stalingrad. Das Volkswagenwerk produzierte unter der Leitung von Ferdinand Porsche und dessen Schwiegersohn Anton Piëch auf Hochdruck Kübel- und Schwimmwagen und diverse Rüstungs- und Waffenteile. Das familieneigene Porsche-Konstruktionsbüro in Stuttgart lieferte dazu unter der Leitung von Sohn Ferry Porsche die Pläne. Porsche senior sah offenbar voraus, dass die Sache für das Dritte Reich kein gutes Ende nehmen würde. Also kaufte er inmitten der Salzburger Bergwelt einen alten Bauernhof: das Schüttgut bei Zell am See. Hierher brachten Ferry Porsche und Anton Piëch ihre Frauen und Kinder in Sicherheit. Mit dabei: der damals fünfjährige Ferdinand Piëch, der in Abgrenzung zu seinem älteren Cousin „Butzi“ Ferdinand Alexander Porsche, dem späteren Designer des Porsche 911, nur „Burli“ gerufen wurde. Zwei Jahre später wurde auch das Porsche-Konstruktionsbüro, de facto die ausgelagerte VW-Entwicklungsabteilung, nach Österreich in Sicherheit gebracht: Gmünd in Kärnten lag nicht weit vom Schüttgut entfernt. Dieser Hof ist noch heute das geistige Zentrum der PS-Dynastie. Hier sind in einer kleinen Kapelle Ferdinand Porsche und seine Kinder begraben. „Burli“ verbrachte in Zell am See mehrere Jahre – die meisten davon ohne Vater. Der war zuerst im Wolfsburger VW-Werk tätig und geriet danach gemeinsam mit seinem Schwiegervater für fast zwei Jahre in französische Gefangenschaft. Nach dem Krieg und der Gefangenschaft war der alte Ferdinand Porsche ein gebrochener Mann, der nur mehr auf sein Ende wartete. Sohn Ferry schickte sich in Gmünd an, einen Sportwagen auf Basis des Käfers zu bauen. Gemeinsam mit seinem Schwager Anton Piëch und seiner Schwester Louise begann er zudem, einen VW-Import samt Vertrieb für Österreich aufzuziehen. Das Recht dazu war Teil eines Lizenzvertrages, den Porsche junior mit Volkswagen-Vorstand Heinrich Nordhoff abgeschlossen hatte. Diese Vereinbarung legte den Grundstein für den Reichtum der Familien Porsche und Piëch. Sie umfasste eine an Porsche zu zahlende Lizenzgebühr in Höhe von 0,1 Prozent des Bruttolistenpreises pro verkauftem Käfer (1950 waren das fünf D-Mark), ermöglichte die Nutzung von VW-Teilen für den Bau von Sportwagen sowie deren Vertrieb über das später weltweite VW-Vertriebsnetz, und sie garantierte dem PS-Clan den Alleinimport aller VW-Produkte für Österreich. 1949 kehrte Ferry Porsche nach Stuttgart zurück, um eine Sportwagen-Fabrik aufzubauen. Der Schwager sollte sich um den Fahrzeughandel in Österreich kümmern. 1952 starb Anton Piëch jedoch überraschend. Die Geschwister Ferry und Louise fassten daraufhin einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Entschluss: Louise sollte den österreichischen Zweig des Unternehmens weiterführen. Eine Frau? Und das noch dazu im Autogeschäft? Mit viel Ehrgeiz, Elan, Mut und Fachwissen – schließlich wurde im Hause Porsche-Piëch auch am Mittagstisch über nichts anderes gesprochen als über Autos – erkämpfte sich Louise Piëch ihren Platz in der Männerwelt. Sie hieß bald nur mehr „die Chefin“ und baute die Porsche Holding mit Sitz in Salzburg auf, die heute mit einem Umsatz von rund elf Milliarden Euro und 17000 Mitarbeitern in 15 Ländern Europas größter Autohändler ist. Bis zu ihrem Tod war sie die Grande Dame beider Familienzweige und Unternehmen. Ferdinand Piëch wurde von seiner strengen Mutter stark geprägt. Als gegen Kriegsende ihre Kinder und die ihres Brudes Ferry gemeinsam auf dem Schüttgut lebten, durfte sich immer dasjenige Kind neben die Chefin setzen, das durch besondere Leistungen geglänzt hatte. Kein Wunder, dass der kleine Burli früh im ständigen Wettbewerb mit seinen Vettern namens Porsche lebte. Schon als Vierjähriger fertigte er erste technische Zeichnungen an und legte vom Beifahrersitz aus die Gänge in Großvaters Käfer ein. Andererseits kämpfte er mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche, und nach dem Tod des Vaters versagte er in der Schule. Seine Mutter schickte ihn daraufhin zur Abhärtung ins Internat Zuoz im Schweizer Engadin. Piëch fing sich, machte Abitur und studierte anschließend an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich erfolgreich Maschinenbau. Schon in seiner Diplomarbeit zeigte er, wohin sein beruflicher Weg führen würde: Die Abschlussarbeit beschäftigte sich mit der Entwicklung eines Formel-1-Motors. 1963 trat Piëch in die Entwicklungsabteilung der Porsche-Autofabrik in Stuttgart ein und frönte seiner Liebe zum Rennsport. Er entwickelte den zwölf­zylindrigen Porsche 917 und war Teamchef beim ersten Porsche-Sieg beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans. Sein Hang zum teuren Rennsport brachte ihn aber immer wieder in Konflikt mit seinem Onkel, dem Firmenchef Ferry Porsche, und seinem Cousin, dem Produktionschef ­Peter Porsche. Gegen Ende des Jahrzehnts arteten die Auseinandersetzungen und Rivalitäten in einen „Stuttgarter Erbfolge­streit“ (Piëch) aus. Kein Wunder: Ferry und Louise hatten die Anteile an beiden Unternehmen – die Porsche-Autofabrik in Stuttgart und das Porsche-Handelshaus in Salzburg – in zehn gleich große Portionen aufgeteilt. Sie behielten jeweils nur ein Stück des Kuchens, die restlichen verteilten sie an ihre je vier Kinder. „Zu viele große und kleine Chefs“, wie Ferdinand Piëch später einräumte. Der große Krach war programmiert. Nachdem alle Vermittlungsversuche gescheitert waren, fassten die zehn Mitglieder der zweiten und dritten Generation der PS-Dynastie den radikalen Beschluss, sich alle aus dem aktiven Management zurückzu­ziehen. Seitdem führen die Porsches und Piëchs ihre Unternehmen über die streng paritätisch besetzten Aufsichtsräte. Während sich einige Familienmitglieder anschickten, von ihren Anteilen zu leben, sagte sich Ferdinand Piëch zumindest beruflich vom Auto-Clan los. Nach einem kurzen Intermezzo als selbstständiger Konstrukteur ging er 1972 zu Audi. Dort war er ab 1975 Technikvorstand, 1983 wurde er stellvertretender Vorsitzender des Audi-Vorstandes, 1988 übernahm er die Leitung. Piëch machte die Beamtenkarosse Audi zu einer schnittigen Marke und führte den Allradantrieb („Quattro“) ein, dessen Prinzip sein Großvater Ferdinand Porsche schon im Jahr 1900 erfunden hatte. Schnell war der kantige Österreicher als künftiger Vorstandsvorsitzender der Konzernmutter Volkswagen im Gespräch. Dann kam das Jahr 1992: Ausgehend von einem Kurssturz des Dollars im Jahr 1987 war die Porsche AG in eine schwere Krise geraten, die sich 1992 zu einem existenziellen Problem auswuchs. Ein Sanierer musste her! Der Wunschkandidat, BMW-Technikvorstand Wolfgang Reitzle, kam nicht aus seinem Vertrag in Bayern und musste schweren Herzens ablehnen. Daraufhin warf der PS-Clan seine 1971 getroffene Entscheidung über Bord und bekniete Ferdinand Piëch, er solle doch den Karren in Stuttgart aus dem Dreck ziehen. Piëch erinnerte sich aber an frühere Streitereien und lehnte dankend ab. Sein Ziel war Wolfsburg. Allerdings blieb er den Familienunternehmen über seine Aufsichtsratsposten bei der Porsche AG und der Porsche Holding, an der er mit zehn Prozent beteiligt ist, verbunden. 1993 wurde Piëch schließlich Vorstandsvorsitzender von Volkswagen. Er übernahm damit jenes Unternehmen, mit dem seine Familie nicht nur historisch eng verbunden ist. Die Porsche Holding eroberte nach dem Fall des Eisernen Vorhanges für VW die Absatzmärkte in Mittel- und Osteuropa. Unter Piëch wurde auch die jahrzehntelange Zusammenarbeit von VW mit dem Entwicklungszentrum der Porsche AG in Weissach verstärkt. So entwickelte Porsche entsprechend der von Piëch erfundenen Plattform-Strategie einen Sportwagen, der mit leicht unterschiedlichem Design für Volkswagen als Touareg, für Audi als Q5 und für Porsche als Cayenne vom Band läuft. Diese Art der Zusammenarbeit ist insbesondere für den Luxushersteller aus Stuttgart von großer Bedeutung. Die hohen ­Kosten für die Entwicklung neuer Modelle kann der kleinste unabhängige Autoproduzent der Welt alleine nicht stemmen. Darin liegt auch der Sinn der Übernahme von VW durch Porsche: Hätten „Heuschrecken“ die Kontrolle bei Volkswagen übernommen, wäre auch die Unabhängigkeit der Porsche AG bedroht gewesen. Die Gefahr einer möglichen Übernahme von VW durch Finanzinvestoren hatte zuletzt deutlich zugenommen, denn mit dem bevorstehenden Fall des VW-Gesetzes verliert das Land Niedersachsen seinen bestimmenden Einfluss. Durch den Einstieg als größter Aktionär sichert der PS-Clan daher auch die Zukunft der eigenen Unternehmen Porsche AG und Porsche Holding. Für die Geschicke der Stuttgarter Sportwagenschmiede ist in der Familie heute vor allem Wolfgang Porsche verantwortlich. Der promovierte Betriebswirt ist seit vielen Jahren der Sprecher des Porsche-Zweiges, er erwarb 2003 den Familiensitz in Zell am See und wurde Ende Januar 2007 zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden der Porsche AG gewählt. Sein Gegenüber im Familienclan ist Hans Michel Piëch. Der Anwalt sitzt im Aufsichtsrat der Porsche AG und bestimmt als Vorsitzender im Gesellschafterausschuss die Entwicklung der Porsche Holding. Die beiden Mitglieder der dritten Generation agieren erfolgreich als Bindeglieder zwischen den zahlreichen Clan-Mitgliedern und den Managements in Stuttgart und Salzburg. Bei ihnen und nicht bei Ferdinand Piëch laufen die wirtschaftlichen Fäden des austroschwäbischen PS-Imperiums zusammen. Für eine zentrale Stellung innerhalb der Familie hat sich der geniale Techniker und Manager im Laufe seines Lebens mit zu vielen Verwandten zerstritten. Noch haben Wolfgang Porsche und Hans Michel Piëch in Stutt­gart und Salzburg das Sagen. Die nächste Generation, die vierte der PS-Dynastie, wird aber schon eingebunden – vor allem in der Gestalt der fast gleichaltrigen Cousins Oliver Porsche und Florian Piëch. Sie sollen die beiden Familienzweige zusammenhalten, die sich in der jüngeren Vergangenheit nicht immer besonders gut verstanden haben und deren Beziehungen untereinander auch aufgrund der Größe immer lockerer werden. Anders als ihre Vorgänger werden sie aber nicht zwei Familienunternehmen zu führen haben – sondern drei. Denn mit ihrem vier Milliarden Euro schweren Einstieg in Wolfsburg macht die PS-Dynastie VW vom korporatistischen Großkonzern der besonderen Art, in dem Politik und Gewerkschaften über Jahrzehnte den Kurs bestimmten, zum größten Familienunternehmen der Republik. Ferdinand Piëch ist das Symbol für dieses Zusammenwachsen. Als Vorsitzender des VW-Aufsichtsrats will er das Gelingen der Annäherung noch einige Jahre überwachen. Und niemand zweifelt daran, dass er sich regelmäßig ins Tagesgeschäft einmischen wird.

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