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Lettland - „Wir wollen beim Euro auf jeden Fall dabei sein”

Beim Brüsseler Gipfel wird es nicht nur um den klammen EU-Haushalt, sondern auch um die massiven Staatsschulden der Währungsgemeinschaft gehen. Lettland scheint das alles wenig zu kümmern: 2014 will das Land trotz allem in den Euro. Daniels Pavluts, Wirtschaftsminister Lettlands, erklärt die Gründe im Cicero-Gespräch

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Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Herr Pavluts, Lettland hat zurzeit Wachstumsraten von mehr als fünf Prozent und gilt als Musterbeispiel für die wirtschaftliche Erholung eines Landes, das eine schwere Krise hinter sich hat. Trotzdem wollen die Letten in einem Jahr der dauerkriselnden Eurozone beitreten. Spinnen die Letten?
Nein, und ich muss auch Ihrer Einschätzung teilweise widersprechen. Die Regierungen der Eurozone sind dabei, das System der Gemeinschaftswährung zu reformieren, und ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Im Übrigen ist der Euro nach dem Dollar immer noch die wichtigste Reservewährung der Welt. So schlimm kann es daher nicht um ihn bestellt sein.

Lettlands Wirtschaftsminister Daniels PavlutsWelche Reformen des europäischen Währungssystems meinen Sie genau?
Die Einrichtung eines permanenten Rettungsschirms, die Stärkung der EZB, die Diskussionen über eine bessere Abstimmung der Finanzpolitik und die Einführung einer Bankenunion, das sind alles Schritte in die richtige Richtung. Man kann sich immer wünschen, dass noch weitreichendere Maßnahmen beschlossen und Anpassungen schneller durchgezogen werden, aber ich halte diese Diskussionen für absolut notwendig. Gestärkt werden wir als EU aus dieser Krise nur hervorgehen können, wenn an deren Ende ein stärker integriertes, föderales Europa steht. Aber wir dürfen uns dabei nicht zu viel Zeit lassen, weil Europa Gefahr läuft, seine derzeitige politische und wirtschaftliche Bedeutung in der Welt einzubüßen.

Warum ist es für Lettland so wichtig, der Eurozone beizutreten?
Nachdem wir Mitglied in der Nato und der EU geworden sind, ist dies der nächste logische Schritt. Wichtiger als der Beitritt ist für uns aber eigentlich die Tatsache, dass wir die Voraussetzungen geschaffen haben, Mitglied der Gemeinschaftswährung werden zu dürfen. Wir sind zurzeit eines der wenigen Länder in Europa, das die Maastrichtkriterien erfüllt. Kaum einer der Eurostaaten schafft das im Moment.

Das sind hauptsächlich politische Argumente. Was hat Lettland als Volkswirtschaft, was haben die lettischen Unternehmen davon?
Als Euromitglied mit hohen Wachstumsraten werden wir ein höheres Vertrauen der Märkte genießen. Das senkt die Transaktions- und Refinanzierungskosten der Unternehmen, aber auch des Staates. Schon im Zuge unserer Reformanstrengungen nach der Krise 2008 haben uns die Ratingagenturen bessere Noten gegeben, während die meisten anderen Länder abgewertet wurden.

Ein Risiko für Lettland sehen Sie durch den Beitritt zur Eurozone demnach nicht?
Wie es genau weitergeht in Europa, weiß keiner. Insofern gehen wir mit diesem Schritt in gewisser Weise eine Wette ein. Wir setzen dabei darauf, dass die Eurozone in welcher Konstellation auch immer fortbestehen wird als eine Gruppe von Ländern mit leistungsstarken, wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften, die gemeinsam eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft spielen werden. Und da möchten wir auf jeden Fall dabei sein.

Ist der Beitritt Lettlands zum Euro andersherum für die Gemeinschaftswährung ein Risiko?
Nein, warum?

Sie haben in der Krise 2008/2009 30 Prozent Ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eingebüßt, es gab Lohnkürzungen von bis zu 50 Prozent, und die Arbeitslosenquote ist noch immer die vierthöchste in der EU. Kritiker wie der US-Nobelpreisträger Paul Krugman bezweifeln, dass der jetzige Aufschwung und Ihre radikalen Sparanstrengungen nachhaltig sind.
Vor 2008 haben wir einen künstlichen Boom in Lettland erlebt, der infolge der Finanzkrise brutal und abrupt beendet wurde. Daraus haben wir gelernt. Neben unseren Sparanstrengungen verfolgen wir eine Wachstumsstrategie und fördern vor allem Investitionen in die produzierende Industrie, aber auch in Dienstleistungssektoren wie Tourismus, die Finanzindustrie und Unternehmensberatungen. Außerdem verstehen wir uns als Brücke, vor allem auch für deutsche Unternehmen, in den Osten. Das alles funktioniert aber nur, wenn Sie die Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität erhöhen. Sparen und gleichzeitig die Löhne erhöhen ist schwierig. Die sozialen Einschnitte, die wir vornehmen mussten, waren tatsächlich extrem hart. Aber gerade deswegen achten wir jetzt im Aufschwung darauf, dass das Wachstum gerecht verteilt wird.

Könnte Lettland also als Vorbild für andere Krisenländer innerhalb der Eurozone dienen?
Das will ich nicht beurteilen. Mein Eindruck ist, dass andere Länder dazu neigen, ihre Probleme in die Zukunft zu transferieren. Diese Möglichkeit hatten wir gar nicht, als unsere Volkswirtschaft zusammenbrach. Wenn harte Anpassungen unausweichlich sind, dann sollte man sie so schnell wie möglich vornehmen. An der Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit kommt ohnehin keiner vorbei, und ein Schuldenschnitt allein hilft nur bedingt. Bei der Durchsetzung der Reformen hatten wir es einfacher, weil sich die Letten nicht über Jahrzehnte an einen stetig wachsenden Wohlstand gewöhnt haben. Hinzu kommt, dass wir hier im Norden etwas introvertierter sind und die Erwartungen an den Staat auch aus historischen Gründen deutlich niedriger sind.

Das Gespräch führte Til Knipper.

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