- „Internet bedeutet nicht gleich Häppchenjournalismus“
Das Ende der "Financial Times Deutschland" ist nicht nur für Verleger ein Warnsignal. Der Journalismus steckt in einer Identitätskrise. Im Interview erklärt der Journalismusexperte Michael Geffken, warum für die Print die Luft immer dünner wird, die Demoktratie aber auch ohne das gedruckte Wort auskommt
Die Financial Times Deutschland ist am Ende, die
Frankfurter Rundschau ist pleite, der Berliner Verlag streicht
Stellen, der Spiegel baut ab. Die deutsche Presse erlebt nach
Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit derzeit die größte
Entlassungswelle seit Bestehen der Bundesrepublik. Ist das der viel
beschworene Anfang vom Ende der klassischen Zeitung? Des
klassischen Printjournalismus?
Nein. Es ist ein Signal
dafür, dass die Veränderungen der Medienlandschaft tiefgreifender
sind, als viele das noch vor wenigen Monaten glauben wollten.
Der digitale Wandel schreitet voran. Noch immer aber
gibt es kein Geschäftsmodell, mit dem ein professioneller
redaktioneller Journalismus im Internet finanziert werden
könnte.
Stimmt. Für die klassischen Medienhäuser geht
es momentan darum, die abnehmenden Reichweiten und die sinkenden
Einnahmen sowohl im Bereich des Vertriebs als auch bei den
Werbeerlösen solange auszugleichen, bis noch klarer wird, wie sich
die Mediennutzung verändert. Es wird noch über einige Jahre im
Printgeschäft Geld verdient werden können, allerdings nicht mehr
mit den Renditen wie früher. Die Medienhäuser sollten die Zeit
nutzen, vieles auszuprobieren und mutiger als bisher zu sein. Ein
Geschäftsmodell, das sofort alle Probleme löst, kann ich allerdings
auch nicht anbieten. [gallery:20 Gründe, warum wir Tageszeitungen
brauchen]
Die Debatte wird mitunter geführt, als ginge es um eine
Glaubensfrage. Die Diskussion um das Leistungsschutzrecht zeigt
dies exemplarisch. Aber wird da nicht eine falsche Front aufgebaut?
Die Bruchstelle verläuft doch nicht zwischen Online und Print,
sondern auf inhaltlicher Ebene: Zwischen Qualität und
Infotainment.
In ihrer Behauptung steckt eine Polemik,
die eine Unterschätzung der Veränderungen der Mediennutzung zur
Ursache hat. Die von Ihnen behauptete Front zwischen Qualität und
Internethäppchen gibt es gar nicht. Natürlich bleibt
journalistische Qualität ganz wesentlich für den Erfolg, auf
welchen Trägermedien auch immer. Ich würde es für fatal halten,
Veränderungen im Leseverhalten ausschließlich negativ zu deuten.
Höchstwahrscheinlich ist es schon so, dass man zur gescheiten
Teilhabe am demokratischen Diskurs auch mal längere Texte lesen
muss. Aber von Vornherein zu sagen, Internet gleich
Häppchenjournalismus, wäre falsch.
Schon jetzt hat der Journalismus mit Einzug des
Internets das Nachrichten-Monopol und die Deutungshoheit verloren.
Dabei ist doch hochwertiger Journalismus konstitutiv für die
Demokratie.
Ja. Aber ist hochwertiger Journalismus nur
der, der ex cathedra verkündet, wie die Leser die Welt zu sehen
haben? Ich bin weit davon entfernt, naiver Befürworter eines wie
auch immer organisierten Bürgerjournalismus zu sein, aber eine
stärkere dialogische Orientierung von Journalisten und eine
stärkere Berücksichtigung von Nutzerreaktionen sollte es schon
geben. Journalisten sollten heute wissen, wen erreiche ich
überhaupt noch? In welchen Situationen erreiche ich ihn und auf
welchen Endgeräten? Kann man diese Fragen beantworten, ergeben sich
schnell neue Geschäftsmodelle. Gerade Tageszeitungen haben aus
meiner Sicht im Bereich der Vermarktung noch riesige
Potentiale.
Sie sehen den digitalen Wandel sehr
positiv.
Ich sehe ihn überhaupt nicht
kulturpessimistisch. Momentan erleben wir für Journalisten doch die
spannendste Zeit seit langem. Sorge macht mir allerdings ein
bisschen, dass die Grundlage für einen demokratischen Diskurs sehr
viel stärker zersplittert. Aber wenn das so ist, ist das so. Man
sollte das nicht moralisierend betrachten.
Onlinemedien argumentieren ähnlich. Es heißt dann, wir
müssten damit leben, dass ganze Branchen und Berufe untergehen.
Müssen wir das tatsächlich?
Was ist die Alternative?
Wenn man sich mal die Entwicklung von Verkaufs- und Abozahlen
anschaut, dann gibt es eine klare Tendenz. Diese Abwärtsentwicklung
begann bereits zehn Jahre vor dem Internet. 1980 haben Zeitungen
und Zeitschriften gemeinsam beinahe 70 Prozent aller
Marketinggelder auf sich gezogen. Heute liegen sie bei 18 Prozent.
Tendenz fallend.
Wenn Zeitungen weniger werden, die heutigen Leitmedien
wegfallen, wenn die veröffentliche Meinung sich immer mehr
fragmentarisch zusammensetzt, letztlich gar nur aus Blogs und
Meinungsbeiträgen bestünde, fehlte dann nicht die Grundlage, auf
der eigentlich Meinungsbildung stattfinden sollte? Wie einen
öffentlichen Diskurs herstellen, wenn ein gemeinsames
Informationsfundament fehlt?
Ich mache jetzt mal den
Advocatus Diaboli und würde Sie auffordern, die empirischen
Grundlage für das, was Sie öffentliche Meinungen oder
demokratischen Diskurs nennen, beizubringen. Dann sind Sie ganz
schnell bei der Frage, was heißt denn eigentlich öffentlicher
Diskurs und Meinungen. Handlungstheoretisch betrachtet, haben Sie
natürlich recht. Habermas würde sagen, ja, das muss irgendwie
ausverhandelt werden und dazu gehört natürlich eine freie Presse.
Luhmann und die Systemtheorie hingegen würden sagen, die Medien
diskutieren sowieso nur mit sich selbst. Was Sie mit dem Begriff
demokratischer Diskurs benennen, ist letztlich eine Fiktion, eine
Fata Morgana. Bei einer Diskussion mit so vielen Unbekannten wäre
die Frage, ob die Demokratie nicht mehr funktioniert, wenn wir
keine Tageszeitungen mehr haben, nur spekulativ zu
beantworten. Ich würde die Frage völlig abtrennen wollen von dem
Trägermedium. Ob es gedruckte Zeitungen gibt oder nicht, ist
unerheblich.
Seite 2: Kaum eine Qualitätszeitung funktioniert nach normalen marktwirtschaftlichen Maßstäben
Bei aller Kritik und Selbstbezogenheit der Medien,
bieten sie aber doch eines: Orientierung. Was bedeutet es, wenn der
Journalismus seine Orientierungs- und Filterfunktion noch
mehr an Google und Algorithmen abgibt?
Es kann sein,
dass wir die dann Orientierungs- und Filterungsfunktion, die die
Medien erfüllen, in der Gesellschaft verlieren und dass es dann zu
mehr Orientierungslosigkeit und auch Desinformation kommt. Aber ich
halte das nicht für zwingend notwendig, weil ich auch hier – in
einem sehr systemischen Sinne – hoffe, dass wir in einer halbwegs
funktionierenden Demokratie zu einer Selbstregulierung – im
Zusammenspiel alter und neuer Medienkanäle – kommen, die das
Schreckensbild mit der Fragmentierung und all ihren
Folgeerscheinungen nicht wirksam werden lässt.
Klingt wie: Der Markt schrumpft sich gerade gesund und
bis ein Geschäftsmodell gefunden wurde, nehmen wir die
Selbstausbeutung in Kauf, die unter der Chiffre „online“ gerade
überall institutionalisiert wird.
Wenn wir uns
insgesamt die sogenannten Qualitätszeitungen anschauen, dann
stellen wir fest, dass kaum eine dieser Zeitungen nach normalen
marktwirtschaftlichen Maßstäben funktioniert: Die FAZ wird von
einer Stiftung getragen, die Welt ist über die ganzen Jahre ihres
Bestehens im Verlag quersubventioniert worden – mit Summen,
gegen die die Verluste der FTD Peanuts sind. Die TAZ basiert auf
Selbstausbeutung. Die Frankfurter Rundschau wurde lange
durchgeschleppt und ist jetzt am Ende, ebenso die FTD.
Durchschleppen und Quersubventionieren sind verlegerische
Entscheidungen, die aus sehr unterschiedlichen Gründen entstanden
sind; dies bedeutet aber, dass in all diesen Fällen kein
klassisches Geschäftsmodell mehr vorhanden war bzw. ist. Allein die
SZ und das Handelsblatt sind normal funktionierende
marktwirtschaftliche Betriebe. Das ist dann aber auch.[gallery:20
Gründe, warum wir Tageszeitungen brauchen]
Sind Zeitungen und Verlage auch ein bisschen selber
schuld?
Ja und nein. Medien sind eben keine rein am
Geschäftsmodell orientierten Betriebe, sondern immer auch von
verlegerischem Ethos geprägt gewesen. Es würde in Deutschland kein
Gedichtband ohne Querfinanzierung durch die Bestseller des Verlags
erscheinen. Und: Wenn Springer genug mit der Bild verdient, dann
kann er sich die Welt leisten.
Ist nicht vielleicht auch mehr Selbstkritik der Medien
von Nöten? Sind die Medien der Macht in den letzten Jahrzehnten
vielleicht zu nahe gekommen? So dass sich beim Leser der Eindruck
festgesetzt hat, Journalisten seien bessere Pressesprecher denn
Erzeuger einer kritischen Öffentlichkeit?
Die
Tatsache, dass viele einigermaßen leichten Herzens auf eine
Tageszeitung verzichten, hängt sicherlich auch damit zusammen. Die
Tageszeitungen selbst wurden teilweise zu Verlautbarungsorganen,
die Pressemitteilungen abdruckten und leicht umgeschrieben
Parteistatements publizierten. Die Orientierung an dpa-Meldungen im
Nachrichtenjournalismus hat entscheidend dazu beigetragen, dass
kaum Zeitungsleser nachwachsen. Für junge Leute ist diese Art
Journalismus schlicht irrelevant.
Insofern auch eine Chance, sich jetzt wieder zu
entkoppeln und durch Qualität auf sich aufmerksam zu
machen?
Richtig. Das muss aber schon während der
Ausbildung beginnen. Wir haben an der Leipzig School of Media
beispielsweise eine radikal andere Form der Volontärs-Fortbildung
entwickelt. Bezeichnend dafür, wie wenig aktiv die Medienhäuser
waren, ist die Tatsache, dass die Volontärs-Ausbildung heute noch
nach Vereinbarungen betrieben wird, die 20, 30 Jahre alt sind.
Wagen Sie doch mal einen Ausblick: Wie informieren wir
und wie werden wir in 20 Jahren informiert?
Ich
glaube, dass sich die Veränderungen der Kommunikation nicht so
dramatisch auf das Zusammenleben der Menschen auswirken werden, wie
man das vielleicht befürchten könnte. Bei der Einführung neuer
Medien hat es immer Katastrophenszenarien geben. Erinnern Sie sich
an die Zeit, als das Fernsehen aufkam? Für die Profession des
Journalismus wird es allerdings dramatische Veränderungen geben. In
fünf Jahren werden wir noch einen Gutteil der Tageszeitung haben,
jedoch mit erheblich geringeren Auflagen und Reichweiten. Und
deutlich teurer als bisher. In zehn bis fünfzehn Jahren wird es
dann ein kräftigeres Aussortieren geben, nur noch wenige gedruckte
Zeitungen, die dann nur zwei- bis dreimal die Woche erscheinen,
werden übrig bleiben. Viele Medienhäuser werden Geschäftsmodelle
finden, die es ihnen erlauben, weiterhin Journalismus zu betreiben
– mit kleineren Redaktionen und in vielen Fällen mit Abstrichen an
klassischer journalistischer Qualität.
Also muss ich mir doch einen anderen Job
suchen?
Nein. Überhaupt nicht. Ich empfinde diese Zeit
als extrem reizvoll und würde jedem neugierigen und aktiven jungen
Interessenten immer zum Journalismus raten. Zwei Dinge
vorausgesetzt: Erstens, er muss sich in einem gewissen Umfang für
Medientechnik und Informatik interessieren und zweitens, er muss
sich aus innerer Überzeugung von einem Sendungsbewusstsein
verabschieden. Wobei ich damit nicht meine, dass er nicht eine
feste ethische Position haben soll. Er muss sich aber vom
klassischen Bild des Journalisten als rasendem Reporter und auch
vom Rudolf-Augstein-Journalismus verabschieden.
Herr Geffken, vielen Dank für das Gespräch.
Michael Geffken ist Direktor und Geschätsführer der Leipzig School of Media. Bis 2010 war er Leiter der Journalistenfortbildung der VDZ Zeitschriften Akademie und Chefredakteur 'Print & more' - das Magazin der deutschen Zeitschriftenverleger. Zuvor Redakteur verschiedener Zeitungen und Zeitschriften
Das Interview führte Timo Stein
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