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(picture Alliance) Brennendes Haus "Europa"

Euro-Rettung - Fürchtet euch nicht vor dem ESM

Kein Rettungsinstrument wird mehr geschmäht als der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Von links und rechts formiert sich radikaler Widerstand, dabei ist der dauerhafte Rettungsschirm für die Krisenbewältigung unabdingbar. Ein Plädoyer 

Der dauerhafte Rettungsschirm ESM ist eine Zäsur. Bis Juni 2013 löst er sukzessive die vorübergehende EFSF (Europäische Finanzstabilisierungfazilität) ab, die bisher Irland, Portugal und Spanien mit Krediten versorgt hat. Zuletzt hat die EFSF ein Hilfsgesuch von Zypern erhalten. Um den vorübergehenden Rettungsschirm wird die Luft langsam dünn. Die Milliarden gehen aus.     

Noch bevor Bundestag und Bundesrat den ESM ratifiziert haben, wird er von links uns rechts in die Zange genommen. Die ehemalige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, als Vertreterin von  „Mehr Demokratie e.V.“ hat bereits Verfassungsbeschwerde gegen ESM und Fiskalpakt angekündigt, ebenso die Linksfraktion im Bundestag. Die Beteiligten monieren den Verfall demokratischer Verfahren in der EU. Dieser Klage haben sich nun die Euro-Rebellen Frank Schäffler und Burkhard Hirsch (beide FDP) angeschlossen.

Die Personen, die jetzt nach mehr Demokratie in Europa rufen, wirken jedoch wie Innenausstatter, die ein brennendes Haus einrichten wollen und nun darum kämpfen, dass der Löschzug mittendrin seine Rettungsarbeiten einstellt. Benötigen die europäischen Institutionen dann überhaupt noch schicke Designermöbel, sprich Demokratisierung, wenn sie schlicht nicht mehr wirksam handeln können? Sicher muss es mittel- bis langfristiges Ziel sein, das Europäische Parlament zu stärken, um so ein demokratischeres Europa aufzubauen.

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Der ESM sollte zum 1. Juli in Kraft treten. Zuvor wird er noch vom Bundesverfassungsgericht geprüft. Der Rettungsschirm kann erst seine Arbeit aufnehmen, wenn 90 Prozent des Stammkapitals von 700 Milliarden Euro gezeichnet ist. Deutschland allein steuert gut 27 Prozent bei, so dass ohne die Bundesrepublik der ESM das operative Geschäft definitiv nicht beginnen kann.

Deutschland allein geht nun mit einem Risiko von 190 Milliarden Euro das größte unter allen beteiligten Mitgliedern des ESM ein. Im Idealfall werden diese Hilfsmilliarden nie abgerufen. Leider ist die Europäische Union meilenweit vom Idealzustand entfernt.

 Auf der folgenden Seite: Zwischen Klischee und Wirklichkeit

Die Motive der Gegner sind durchaus unterschiedliche: Geht es der einen Seite darum, das hart erarbeitete deutsche Geld vor den Südeuropäern zu schützen, so geht es  der anderen darum, demokratischere Strukturen nach Europa zu tragen. Die Szenarien, die beide Seiten um den ESM-Vertrag entwerfen, sind überzeichnet und teilweise schlicht gegen die Fakten.

Erstes gängiges Klischee ist die überbordende Machtfülle, mit der die Gremien des dauerhaften Rettungsschirms ausgestattet sein sollen. So gebe es keine Kontrolle des europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente über die Rechtshandlungen des ESM. Hinzu kommt, dass die Mitglieder dieser Gremien keiner Gerichtsbarkeit unterworfen seien und umfassende Immunität genössen. Richtig ist, dass das europäische Parlament tatsächlich nicht als Kontrollinstanz in den ESM hineinwirkt. Anders sieht es jedoch schon bei den nationalen Legislativorganen aus, die in Begleitgesetzen Einfluss auf die Regierungen nehmen können und Auskunftsrechte beim jeweiligen Finanzminister erhalten. Bei Defiziten zu diesen Begleitgesetzen wird im Zweifel Karlsruhe abhelfen.

Zweitens bestimmt der ESM-Vertrag, dass bei Streitigkeiten zwischen den Gremien des ESM und einem oder mehreren Mitgliedsstaaten der Europäische Gerichtshof angerufen werden kann, so dass hier eine unabhängige Gerichtsbarkeit als Kontrollinstanz gegeben ist. Die eingeräumte Immunität von Mitarbeitern des ESM kann der so genannte Gouverneursrat, indem die Finanzminister der Euro-Staaten mit jeweils einem Stellvertreter sitzen, wieder aufheben. Zudem wird keine Entscheidung ohne die Zustimmung der großen Länder wie Deutschland oder Frankreich getroffen. Das hindert den ESM daran, sich zu verselbstständigen.

Das dritte etablierte Klischee ist die Verteufelung der Transferunion. Aus dem Regierungslager monierte der Euro-Rebell Frank Schäffler, „mit den jüngsten Entscheidungen in Brüssel wird erneut klar, alles geht in Richtung Vergemeinschaftung der Schulden in Europa.“ In der Tat, die Zeichen deuten darauf hin, dass in der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit vielen Jahrzehnten die Mitgliedsstaaten der Europäische Union zwangsweise zu einer Schicksalsgemeinschaft verpflichtet werden. Denn entweder zerfällt die Europäische Union und es zieht eine Renationalisierung in Europa ein oder der große Wurf zu mehr europäischer Integration gelingt. Krisen haben diese Integration in Europa seit jeher beschleunigt.

Die Regierungen in Europa tanzen auf dem Vulkan und sehen direkt in den feuerbrünstigen Abgrund. Sie müssen die schwierige Gemengelage aus effektiver Krisenbewältigung und verfassungsrechtlicher Zusammenarbeit von Parlament und Regierung lösen. Das ist eine Mammutaufgabe, die auch Regierungen an den Rand ihrer Einflussmöglichkeiten treiben kann.

Der permanente Rettungsschirm ist unabdingbar, um die kriselnden südeuropäischen Staaten vor dem restlosen wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. Der ESM muss die schlimmsten Feuer versuchen zu löschen und Ruhe in die krisengebeutelten Euro-Staaten bringen. Letztlich erkauft er ihnen Zeit, sich zu stabilisieren und sich vor den Angriffen der Finanzmärkte zu schützen. Ein Halt auf freier Strecke ist denkbar ungeeignet, um der Krise zu begegnen. Sie spitzt sich täglich zu. Der Ausgang ist offen.

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