- Kommunen vor griechischen Verhältnissen?
Der geplante Fiskalpakt soll Deutschland zum Sparen anhalten. Doch die Kommunen schlagen Alarm: Er könnte zulasten der Grundversorgung vor Ort gehen. Schon jetzt ist die Lage in vielen Gemeinden und Städten kaum tragbar
Die Stadtteilbibliothek in Essen-Stoppenberg ist eigentlich so etwas wie ein Erfolgsmodell. In den vergangenen Jahren sind die Ausleihezahlen gestiegen. Trotz Internet, trotz E-Book. Doch die Bücheroase in dem rot geputzten alten Rathaus steht vor dem Aus. Die Stadt will ein Fünftel ihrer Zweigstellen schließen.
Essen ist pleite, und in ganz NRW wurden den Stadtbibliotheken allein im vergangenen Jahr 53 Prozent ihrer Mittel gekürzt. Der Deutschen Bibliotheksverband schlug Alarm: Die Lage sei „ausgesprochen ernst“, die Spirale bewege sich „immer weiter nach unten“.
Was wie ein bildungspolitisches Horrorszenario klingt, ist nicht nur bei den Bibliotheken, sondern auch in anderen Bereichen der alltäglichen Daseinsvorsorge längst Realität. Da tropft es durch kaputte Schuldächer, da stehen Kliniken vor dem Exodus.
Wer sich das Drama in manchen deutschen Kommunen ansieht, kann vor dem Maßnahmenpaket, das bis 29. Juni durch den Bundestag gehen soll, nur staunen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll 700 Milliarden Euro umfassen. Deutschlands Anteil liegt bei 27 Prozent, haftet also mit rund 190 Milliarden Euro. Zugleich soll der an den ESM gekoppelte Fiskalpakt, der bereits in 25 von 27 EU-Ländern gebilligt wurde, die Vertragspartner zu eisernem Sparen und raschem Schuldenabbau verpflichten. Ein Kündigungsrecht ist nicht vorgesehen.
Was haben kaputte Einrichtungen in den Kommunen nun mit dem Rettungspaket gemein? Eine ganze Menge, wie der Deutsche Städtetag am Mittwoch in Kassel prophezeite. Denn insbesondere der Fiskalpakt könnte hierzulande zu Lasten der Allerschwächsten gehen: der Städte und Gemeinden. „Das Risiko, dass in Deutschland einzelne Länder ihre Defizite in die Kommunalhaushalte auslagern, wird sich durch den Pakt erhöhen“, sagte Hans Schaidinger, stellvertretender Präsident des Städtetags. Denn die Länder müssten nach bisherigen Plänen nur auf ihren eigenen Haushalt schauen. Defizite der Kommunen sollen dagegen länderübergreifend erfasst werden, ohne den einzelnen Ländern angelastet zu werden. Kurz gesagt: Die Bundesländer könnten sich zu Lasten der Kommunen höher verschulden. Ein reiner Rechentrick.
Der Städtetag wies auch darauf hin, dass das mit der flächendeckenden Kinderbetreuung 2013 wohl nicht klappen werde: der Rechtsanspruch werde nicht durchgängig zu erfüllen sein, hieß es. 30.000 Kita-Plätze fehlen demnach noch, der Bedarf steigt ständig. Es mangelt auch hier am lieben Geld.
In Oberhausen, der ärmsten Gemeinde Deutschlands, summieren sich die Schulden auf 1,8 Milliarden Euro. Dutzende Journalisten haben die Trostlosigkeit dort bereits beschrieben – vor allem aber, weil der Stadtkämmerer ein Deutsch-Grieche ist. Er heißt Apostolos Tsalastras. Und schon hämte es durch die Gazetten: Seht mal, die ärmste Stadt Deutschlands wird von einem Griechen verwaltet. Was für eine drollige Geschichte. Immer wieder aufgeschrieben, gesendet, und Tsalastras machte mit. Stellte sich vor die Currywurstbude, vor bröckelnde Fassaden. Schöne Bilder für die Fotografen und Kameraleute. Geholfen hat es weder ihm noch Oberhausen.
Im Anschluss an die lustige Metapher kommt man nicht umhin, vor einem erschreckenden Szenario zu warnen: Wenn die rigide Sparpolitik noch zunimmt, drohen immer mehr deutschen Kommunen griechische Verhältnisse. Sie müssen dann an allem kürzen: bei den städtischen Angestellten, bei der Infrastruktur.
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Der Städtetag fordert daher neben dem Fiskalpakt eine unabhängige nationale Institution, die die Einhaltung der Regeln überwacht. Schaidinger pocht darauf, dass die Kommunen an einem solchen „modifizierten Stabilitätsrat“, beteiligt werden. „Nur unregelmäßig als Gäste in einem Arbeitskreis dabei zu sein, wie das heute der Fall ist, reicht nicht aus.“
Regelmäßige Beteiligung, Regeleinhaltung – klingt das nicht bekannt? Erst am Dienstag hatte das Bundesverfassungsgericht gerügt, dass die Bundesregierung das Parlament nicht ausreichend und frühzeitig genug über den ESM informiert hatte. Hier werden offenbar Entscheidungen im Eiltempo durchgewunken, ohne die langfristigen Auswirkungen zu bedenken.
Der Protest der Städte und Kommunen wirft auch die Frage auf: Wie weit darf Austerität gehen, wenn damit gleichsam Investitionen verhindert werden? Denn nichts anderes sind Ausgaben für Bibliotheken, Schulen und Kindergärten. Es sind Investitionen, die erst weit in der Zukunft eine Rendite versprechen. Dann nämlich, wenn die „Kreditnehmer“ – also unsere Kinder – selbst als zahlungskräftige Steuerzahler zum sozialen Zusammenhalt beitragen.
Andersherum gilt: Wer heute in den Kommunen an Bildung geizt, muss morgen Sozialausgaben zahlen. Er spart den Kindern die Zukunft weg. So einfach ist das.
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