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(picture alliance) Der Eurofighter zählt zu den besten Flugzeugen, die der Markt derzeit zu bieten hat. Doch der Export stagniert. Das Mehrzweckkampfflugzeug ist zu teuer

Sturzflug - Die tragische Geschichte des Eurofighters

Im Kalten Krieg brauchte Deutschland ein Jagdflugzeug. Lobbyisten und Politiker pumpten das Waffensystem zum teuersten Rüstungsprojekt der Bundesrepublik auf. Jetzt werden sie den Kampfjet nicht los

Es muss an der feilgebotenen Ware liegen, an der Kombination aus milliardenschwerer Hightech und tödlichem Kriegsgerät, dass es auf der Farnborough Fair in Südengland, der größten Flug- und Rüstungsmesse der Welt, nur so wimmelt von Männern, die auf dicke Hose machen. Breitbeinig stehen die Manager der Waffenkonzerne vor den VIP‑Chalets, Zigarre in der einen, Champagnerglas in der anderen Hand, und betrachten die Kampfjets, die über ihnen durch den Himmel brüllen. Und breitbeinig sitzen ihre Kunden, Generäle aus aller Welt, mit goldbehängten Schultern in den Golfbuggys, mit denen sie über die Flugfelder chauffiert werden. Das Geschehen im Security-gesicherten Pavillon des Kampfjets Eurofighter erinnert an diesem Morgen ein wenig an Action-Thriller aus den Neunzigern. An der Wand stehen, olivgrün aufgereiht, vier Piloten, die Brust herausgedrückt. Auf dem mannshohen Wandbildschirm läuft stumm ein Werbefilm, ein computeranimierter Eurofighter saust über digitale Wüsten und nimmt Fabrikhallen ins blinkende Fadenkreuz. Davor sitzt Enzo Casolini mit lakonischem Blick. Der hagere Italiener ist der CEO der Eurofighter GmbH und hält eine flammende Laudatio auf sein Waffensystem. Es sei schlichtweg, erklärt er, das „beste Flugzeug seiner Art“. In seinem Rücken lösen sich Bomben aus der Flügelhalterung und kreisen in Zeitlupe auf eine Halle zu. „Nirgendwo auf der Welt“, bilanziert Casolini, „werden Sie Vergleichbares finden.“ Flammen schlagen aus dem Wellblechdach, eine Explosion macht das Gebäude dem Wüstenboden gleich. Eine Machtdemonstration ganz im Sinne des Firmenslogans: „Eurofighter Typhoon – Nothing comes close.“

Wieder mal so ein Punkt, an dem der Eurofighter höher geredet wird, als er fliegen kann. Je trüber, je schwieriger die Zukunftsaussichten für das europäische Rüstungsprojekt, desto greller wird es in Szene gesetzt, wie schon so oft in seiner turbulenten Geschichte. Und Probleme hat das Vier-Nationen-Herstellerkonsortium aus Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien derzeit genug: Der europäische Rüstungsmarkt liegt als Folge der Finanzkrise am Boden, noch ist unklar, ob die klammen Staaten die letzte Tranche der Jets überhaupt abnehmen werden. Zum boomenden Exportgeschäft der Schwellenländer findet der Eurofighter ebenfalls keinen Zugang. Nach verlorenen Ausschreibungen von Singapur bis Japan scheiterte kürzlich auch der wichtigste angestrebte Rüstungsdeal des Konsortiums: der rund 20-Millarden- Dollar schwere Auftrag aus Indien für 126 Kampfjets, der dringend nötige Befreiungsschlag. Zu allem Überfluss verhinderte die Politik nun auch noch die geplante Fusion der beiden Rüstungsfirmen EADS und der britischen BAE Systems – unter dem Dach der beiden agniert die Eurofighter GmbH. Der Zusammenschluss hätte nicht nur den größten Waffenkonzern der Welt hervorgebracht, sondern auch ein krisenfesteres Umfeld für den Eurofighter. Stattdessen kämpft das Projekt inzwischen nicht mehr nur um sein Image. Bis 2018 ist die Produktion noch gesichert. Doch wenn nicht bald weitere Flugzeuge bestellt werden oder neue Kunden dazukommen, wird sie eingestellt. Dann wäre das größte Rüstungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik vorzeitig am Ende. 26 Milliarden Euro an Steuergeldern – und dann geht es nicht weiter. Der Absturz eines Supervogels.

Der Mann, bei dem dieses Projekt ursprünglich seinen Anfang nahm, trägt heute Rentnerweste und akkuraten Silberscheitel. Eberhard Eimler, General a. D., blickt in den Himmel über Rheinbach, seinem Wohnort im Bonner Hinterland. Als er Chef der Luftwaffe war, hieß die Hauptstadt noch Bonn, die Anschaffung des Eurofighters fiel in seine Amtszeit. „Ich wollte damals nur preisgünstig das Dach über Deutschland abdichten“, sagt er, und formt dabei ein Schirmchen mit den Händen. Im Kalten Krieg war mit russischen Luftangriffen zu rechnen, Eimler hielt die deutsche Abwehr für lückenhaft und bat Helmut Kohl 1983 um Unterstützung für ein neues Jagdflugzeug. Er bekam sie.

Noch mehr Begeisterung löste Eimlers Vorschlag bei der bayerischen Waffenschmiede MBB aus. Seit den Siebzigern hatte das Unternehmen, das später im EADS-Konzern aufging, an einem Flugzeug getüftelt, Arbeitstitel: Taktisches Kampfflugzeug, kurz: TKF. Es galt, sich vorausschauend Folgeaufträge für die in den Neunzigern auslaufende Tornado- Produktion zu sichern. Doch am damaligen SPD-Verteidigungsminister Hans Apel hatte sich die bayerische Lobby die Zähne ausgebissen. Gerade erst waren Phantom-Jäger aus den USA angeschafft worden, das neue Projekt schien Apel weder notwendig noch bezahlbar: „Das TKF wird es nicht geben.“

Seite 2: „Die Deutschen können aus dem Projekt nicht mehr aussteigen, Thatcher würde Kohl zu Tode prügeln“

Dann kam Kohl. Und mit ihm kam auch Franz Josef Strauß, CSU-Chef, Airbus- Aufsichtsrat und alter MBB-Amigo. Inzwischen hatten sich die Luftwaffen Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und Spaniens vorgenommen, gemeinsam mit Deutschland ein neues Kampfflugzeug zu planen, um Kosten zu sparen und größere Stückzahlen bauen zu können. „Jäger 90“ sollte es heißen – sprachlich eine perfekte Symbiose aus Fortschrittsglaube und dem Sound der Bonner Republik. Eimler hatte dafür plädiert, nur Karosserie und Elektronik neu fertigen zu lassen, aber Triebwerke und Radargeräte der USA zu nutzen, um „exotische, teure Lösungen“ zu vermeiden.

Dass aus Eimlers zweckmäßigem Anliegen 30 Jahre später der Luftferrari des Enzo Casolini wurde, ist nur durch die Gemengelage aus bayerischer Lobbyarbeit und europäischer Politik zu erklären, die rasch eine Eigendynamik entwickelte. Aus simpler Bedarfsdeckung wurde ein internationales Prestigeprojekt. Je mehr Industrielle und Politiker involviert wurden, erinnert sich Eimler, desto teurer und komplizierter wurde es.

Bereits 1985, Frankreich hat das Projekt inzwischen verlassen, soll jede Schraube von der europäischen Industrie neu erfunden werden. Mit den Anforderungen des Militärs hat das bald nichts mehr zu tun. 1987 kommt es trotz öffentlicher Proteste zu einer „unverbindlichen“ Festlegung der geplanten Stückzahlen: je 250 für die Bundesrepublik und Großbritannien, 160 für Italien, 100 für Spanien – das ist praktisch ein Kaufversprechen, Jahrzehnte vor der Serienreife des Produkts. Für die Rüstungsindustrie ist das normal, gar überlebensnotwendig – setzt aber gleichzeitig Marktmechanismen außer Kraft, die mancher bald schmerzlich vermisst. CDU-Verteidigungsexperte Willy Wimmer bilanziert damals trocken: „Die Abgeordneten hatten keine Chance, den Jäger 90 zu verhindern, nachdem sich die Exekutive mit Franz Josef Strauß und MBB einig war.“ Oder, wie das Branchenblatt Aviation Weekly einen britischen Industriellen zitiert: „Wir sind inzwischen zu weit, als dass die Deutschen noch aussteigen könnten. Maggie Thatcher würde Helmut Kohl zu Tode prügeln.“ Als Verteidigungsminister Manfred Wörner 1988 schließlich den Vertrag zur voraussichtlich sieben Milliarden D‑Mark teuren Entwicklung des Jäger 90 unterschreibt, war er „nicht in Hochstimmung“, wie er sich später erinnert.

1990 fällt die Mauer, der Warschauer Pakt bricht zusammen, der Bundeshaushalt ächzt unter der Wiedervereinigung. Eigentlich ein günstiger Moment, das Projekt abzublasen, dessen Grundlage die Gefahr aus dem Osten gewesen war. Tatsächlich fordern genau das auch immer mehr Mitglieder der Regierungsfraktionen, aber das Industrieargument, ein Ausstieg sei teurer als die Fertigstellung, hält sie vorerst im Zaum. Der Preis pro Flugzeug ist inzwischen von rund 65 auf 134 Millionen D‑Mark gestiegen.

Volker Rühe, ab 1992 Verteidigungsminister, bezweifelt, dass man „angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage diesen Supervogel braucht“, und urteilt dann: „Der Jäger 90 ist tot.“ Die Presse feiert seinen Widerstand gegen die Rüstungslobby – zu früh. Aus der Industrie und Großbritannien geht ein Kampagnensturm über Deutschland nieder, der Gefahren für Arbeitsmarkt, Hochtechnologie und wehrtechnische Potenz des Landes beschwört, und als sich die Ausstiegskosten als wirklich unerschwinglich entpuppen, knickt Rühe ein. Kleinlaut fordert er nun eine Sparversion des Jäger 90. Das Ergebnis: neuer Liefertermin, neuer Preis, neuer Name. Für 2002, fünf Jahre später als geplant, wird nun der „Eurofighter“ angekündigt – ein Name wie die Verheißung einer Vision, wie das Europa von übermorgen. Und der Supervogel, der nun nicht mehr zu stoppen ist, wird wieder großgeredet: „Die Luftwaffe braucht das neue Flugzeug dringend“, erklärt Rühe 1996. Ein Jahr später winkt der Bundestag den Produktionsvertrag durch. 620 der Kampfjets sollen nun für alle vier Partnerländer gebaut werden, davon 180 für Deutschland, das Stück für 128,7 Millionen Mark.

Seite 3: „Der Eurofighter ist in Europa konkurrenzlos und neben der F-22 das beste Flugzeug, das es momentan gibt“

Natürlich dauert am Ende alles länger als geplant. Erst 2004 wird das 1983 bei Kohl bestellte Flugzeug in Dienst genommen, von Eberhard Eimlers Nach- Nach-Nach-Nach-Nach-Nachfolger, Luftwaffeninspekteur Klaus-Peter Stieglitz, heute ein durchtrainierter Pensionär mit eisgrauem Stoppelhaar und Fliegerabzeichen am Jackett. Wenn Stieglitz von dem kalten Februarmorgen erzählt, an dem er 2005 bei Rostock das erste Mal den brandneuen Eurofighter getestet hat, bewegen sich seine buschigen Augenbrauen wie Eulenflügel. Stieglitz hat fast alle Kampfjets schon geflogen, von der MIG bis zur F‑16. Schon beim Einsteigen imponiert ihm das erhabene Sitzgefühl, das ungewohnt geräumige Cockpit. Nach allen Sicherheitschecks setzt der General die Sauerstoffmaske auf, der Techniker entfernt die Bremse unter dem Reifen, die Sonne scheint durch die offenen Hallentore, und Stieglitz rollt langsam auf die Startbahn. Er schaltet den Nachbrenner ein, gibt Gas, zieht den Steuerknüppel nach hinten. Er beschleunigt so rasch, dass er in den Sitz gepresst wird, innerhalb von zehn Sekunden hebt sich die Nase der Maschine, und sie donnert mit 250 Kilometer pro Stunde durch die Luft. Über die Bordbildschirme flimmern Zahlen und Graphen, Stieglitz beschleunigt auf 450 Kilometer pro Stunde, notfalls schaffen die Triebwerke doppelte Schallgeschwindigkeit. Er weiß noch, wie die Winterlandschaft aus den Seitenfenstern verschwindet, bis um ihn herum nur noch Himmel ist und sanftes Dröhnen in den Kopfhörern. Stieglitz entspannt total.

Anders als bei anderen Kampfjets muss er den Kurs nicht nachsteuern, einmal per Joystick programmiert, fliegt der Eurofighter wie auf Schienen. Etwa 5000 Meter über den glitzernden Flüssen des Havellands fliegt Stieglitz aerodynamische Manöver. Als er eine Stunde später landet, ist er beeindruckt. Ergonomie, Triebwerke, Cockpit, Radar, Manövrierbarkeit: „Der Eurofighter“, bilanziert er, „ist in Europa konkurrenzlos und neben der F‑22 das beste Flugzeug, das es momentan auf der Welt gibt.“

Doch große Teile der Welt sehen das immer wieder anders. Zuerst, weil den Eurofighter heftige Kinderkrankheiten plagen: Triebwerke zünden nicht, Tankanzeigen fallen aus, Bordkanonen klemmen, Computerbildschirme streiken während des Fluges. Und durch das fieberhafte Nachbessern in den Fabrikhallen steigen die Kosten derart, dass London und Rom versuchen, die bestellte Fliegerzahl zu reduzieren. Mit den nachbestellten Systemen hat sich der Preis von 1998 nun mehr als verdoppelt: Auf 138,5 Millionen Euro und über 80 000 Euro pro Flugstunde. Der Eurofighter, schreibt Rüdiger Wolff, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, 2008 „in tiefster Sorge“ an seine europäischen Amtskollegen, sei in einer „kritischen Lage“.

Kritisch steht es bald auch um das von EADS versprochene „sehr gute Exportpotenzial“ des Eurofighters. Schlimm genug, dass der Eurofighter in Fernost keinen einzigen Käufer findet. Indonesien, Malaysia und Vietnam bestellen lieber die russischen Suchois, Japan, Singapur und Südkorea kaufen bei der pazifischen Schutzmacht USA, Thailand kommt gar mit den Schweden ins Geschäft.

Kurios auch, dass dort, wo schließlich erfolgreich Exportverträge geschlossen wurden, schnell Ungereimtheiten auftauchen. Nachdem 2003 Österreich 18 Eurofighter bestellt hatte, stolpert ein Untersuchungsausschuss über dubiose Geldflüsse zwischen EADS-Lobby und einem Luftwaffenfunktionär, über den späteren Beratervertrag des damaligen Verteidigungsministers sowie mehrere Millionen Euro, die von EADS an die PR-Firma des Ex-Generalsekretärs der damaligen Regierungspartei FPÖ geflossen sein sollen. Auch der zweite Exporterfolg stinkt. 2005 bestellte Saudi-Arabien 72 Eurofighter. Dem EADS-Partner BAE Systems wurde später vorgeworfen, Mitglieder des saudischen Königshauses geschmiert zu haben. Für eine Millionenzahlung wurde das Verfahren schließlich eingestellt.

Seite 4: Warum sich die Inder für den kostengünstigeren Eurofighter- Konkurrenten entschieden

Am peinlichsten sind jedoch die Schlappen vor der eigenen Türe. Aus erhofften Deals mit den Nato-Partnern Griechenland, Norwegen oder den Niederlanden wird nie etwas, seit vergangenem Jahr scheint auch der lukrative Auftrag für 22 Flugzeuge in der Schweiz verloren. Laut einem an die Presse durchgesickerten Auswertungsbericht genügten den Eidgenossen die technischen Anforderungen nicht. Und der Schweizer Luftwaffenchef Markus Gygax erklärte dem Branchenblatt Shownews später: „Selbst wenn wir den Eurofighter gewollt hätten, wir hätten ihn uns nicht leisten können.“

Das alles wäre im Rückblick egal gewesen, hätten die Eurofighter-Verantwortlichen den Indien-Deal erfolgreich über die Bühne gebracht. 126 neue Kampfflugzeuge für insgesamt rund 20 Milliarden US‑Dollar wollen die Inder in ihre Luftstreitkräfte eingliedern – Ausschreibungen dieser Größe sind in der Branche ein Jahrhundertereignis. Kein Wunder, dass es ab 2009 zum Showdown fast aller großen Hersteller kommt, zwischen den traditionellen Lieferanten USA und Russland ebenso wie zwischen den Westeuropäern mit ihren drei konkurrierenden Modellen Eurofighter, der französischen Rafale und der Gripen aus Schweden.

Anders als beim Vertrag mit Saudi-Arabien hatten in Indien die Deutschen die Federführung. Grund genug für die Bundeswehr, den Herstellern freundlich auszuhelfen. Und das durchaus auch aus Eigeninteresse: Die Anzahl der letzten, noch an Deutschland zu liefernden Eurofighter soll laut Koalitionsvertrag mit künftigen Exporten verrechnet werden – im Erfolgsfall also eine enorme Ersparnis für den Verteidigungshaushalt. Dafür verlegte die Bundeswehr 2009 mit einem Millionenaufwand gleich vier Jets samt Tankflugzeugen, Begleitpersonal und Technik nach Indien, um auf der „Aero India 2009“ der Bieterschlacht neuen Schwung zu verleihen. Sogar die Bundeskanzlerin griff in die staatliche Verkaufsförderung ein: Ende vergangenen Jahres rühmte sie in einem Brief an Indiens Premier Manmohan Singh das Flugzeug in höchsten Tönen und bot Indien an, als „fünfte Partnernation“ in das Herstellerkonsortium einzusteigen.

Doch Anfang 2012 entscheiden sich die Inder für den kostengünstigeren Eurofighter- Konkurrenten Rafale des französischen Dassault-Konzerns. Frankreich, damals noch unter Präsident Nicolas Sarkozy, hatte sich aggressiv für den Export des bislang noch an kein Land verkauften französischen Kampfjets eingesetzt. Ob die Franzosen einen Preisnachlass gewährten oder den Rüstungsexport geschickt mit anderen Deals koppelten, lässt sich nur vermuten. Immerhin waren französische Unternehmen zuvor schon mit Neu-Delhi über die Lieferung von Atomkraftwerken und konventionellen U-Booten handelseinig geworden.

Dass der Vier-Nationen-Kampfjet – wie zuvor schon in der Schweiz – zu teuer angeboten wurde, mag beim Hersteller EADS niemand hören. Und ob der Preis wirklich den Ausschlag gab, bleibt vorerst das Geheimnis der Inder. Kein Geheimnis ist dagegen, dass der einst als reines Jagdflugzeug begonnene Eurofighter auch acht Jahre nach seiner Inbetriebnahme weit davon entfernt ist, ein modernes Mehrzweckkampfflugzeug zu sein. Denn bisher sind seine Fähigkeiten, Bodenziele zu bekämpfen, äußerst beschränkt, erst langsam wird nachgerüstet. So schafften es die Briten nur mit massivem finanziellen Aufwand, ihre Maschinen für die demonstrative Bekämpfung von Bodenzielen in Libyen fit zu machen.

Die Arbeiten an der Weiterentwicklung des Eurofighters zu einem Jagdbomber laufen zwar in den beteiligten Nationen auf Hochtouren, doch „work in progress“ ist gegenüber potenziellen Kunden ein schwaches Verkaufsargument. Denn in den zwei Jahrzehnten seit Ende des Kalten Krieges hat sich herausgestellt, dass es zwar immer noch Bedarf an Jagdflugzeugen gibt, die die Luftüberlegenheit sichern. Strategisch weitaus wichtiger sind aber Kampfjets, die Ziele am Boden angreifen können – möglichst exakt und ohne Kollateralschäden.

Seite 5: In den kommenden zwei Jahrzehnten werden weltweit 800 neue Kampfjets verkauft. 200 davon sollen Eurofighter sein

Auf der Messe in Farnborough gucken die beiden Testpiloten vor dem Eurofighter- Stand etwas betrübt, als General Juniti Saito, Chef der brasilianischen Luftwaffe, vorbeimarschiert, ohne auch nur ein einziges Mal sein schlohweiß gescheiteltes Haupt zu wenden. Der 69-Jährige wird von seinem Stab eskortiert, Offiziere mit Sonnenbrillen, mächtigen Schnurrbärten und braun gebrannten Glatzen. Seit Jahren plant Brasilien, 36 neue Kampfflugzeuge zu kaufen, kann sich aber für kein Modell entscheiden.Wo Juniti Saito auftaucht, blinken deshalb Dollarzeichen in den Augen der Waffenhersteller. Das Ziel der Delegation steht funkelnd in der Sonne: Es ist die schwedische Gripen, das Discountangebot unter den Kampfjets. Technisch gilt er seiner Konkurrenz als weit unterlegen, doch insbesondere Flugstunden und Wartung sind im Vergleich spottbillig, die Gripen ist das Prinzip Ikea auf dem Flugzeugmarkt, der Anti-Eurofighter. Südafrika fliegt sie schon, Tschechien, Thailand, Ungarn, bald auch die Schweiz.

Die Brasilianer legen die Köpfe schief, betrachten kritisch das Fahrwerk, zücken ihre Handykameras, Saitos Hand streicht zärtlich über den Seitenflügel. Ob sie sich nicht auch mal den Eurofighter anschauen wollen? „Pah“, macht Saitos Adjutant, winkt ab und schiebt sich ein neues Kaugummi in den Mund.

Dabei kommt es in Zukunft auf die Schwellenländer an. Denn während die Rüstungsbudgets der Nato-Partnerstaaten schrumpfen, boomt der Markt in der Ferne: Um 22 Prozent will Brasilien seinen Verteidigungshaushalt bis 2015 erhöhen, Indien stockt auf 27 Prozent auf, Saudi-Arabien um fast 40 Prozent. Prognosen erkennen für die kommenden zwei Jahrzehnte eine Nachfrage nach 800 neuen Kampfflugzeugen. 200 Stück davon will die Eurofighter GmbH verkaufen, das ist das erklärte Ziel. Mindestens sechs Kampagnen führt sie dafür gerade rund um den Globus, von Malaysia bis Katar, nicht ohne Aussicht. Der Eurofighter mag vielen zu teuer sein, doch noch immer gilt er der europäischen Konkurrenz als technisch überlegen. Die Indien-Erfahrung hat das Team Eurofighter wach gerüttelt. Regierungen und Industrie arbeiten an allen Fronten, um nicht endgültig abgehängt zu werden. Längst fällige Upgrades wie der elektronische AESA-Radar sollen nun eilig integriert werden, und bei EADS rollen inzwischen Köpfe. Diverse Wechsel im Vorstand der Rüstungssparte „Cassidian“ wurden angekündigt, Spartenchef Stefan Zoller ging bereits, auch wegen der Eurofighter-Pleiten, heißt es. Weitere Rückschläge kann sich das Konsortium auch nicht leisten, denn aus Übersee drängen bereits Kampfflugzeuge der nächsten Generation auf den Markt, allen voran die amerikanische F‑35, die laut einer Studie des britischen Institute of Strategic Studies bald den europäischen Flugzeugmarkt beherrschen soll. Und schon Ende der Dekade könnte die russisch-indische Suchoi T‑50 exportfähig sein und den Mitbewerbern gefährlich werden. Die Uhr tickt, das Zeitfenster schließt sich allmählich.

Das alles kümmert Bob Smith nicht, als er in Farnborough Ausschau nach seinem Baby hält. Der Eurofighter-Chefingenieur bei BAE Systems sieht aus wie Rod Stewart mit seiner Matte und der getönten Brille. Er zeigt auf den schwarzen Punkt, der am Horizont aus den Wolken bricht, rasch näher kommt, erst zum Keil wird und schließlich zum rasenden Dreieck mit blinkendem Bauch. Erst klingt der Eurofighter wie ein angezündetes Deospray, dann wie der tiefe Bass eines Flammenwerfers, die Erschütterung kitzelt unangenehm in den Backenzähnen. Über den Köpfen der Zuschauer dreht er eine qualmende Kurve. „Wenn Sie sehen könnten, wie Kunden gucken, nachdem sie das erste Mal den Eurofighter geflogen sind“, ruft Bob Smith. „Diese Gesichter!“ Er blickt mit leichtem Pathos in den Himmel. „Ich nenne es das Eurofighter-Lächeln.“ Über die Jahre haben sich die Mitarbeiter des Eurofighter-Projekts offenbar angewöhnt, immer dann ein fast schon demonstratives Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, wenn es heftig kriselt. Bob Smith ist da keine Ausnahme. Über ihm dreht sich der Kampfjet jetzt mehrmals um die eigene Achse, um dann senkrecht aufzusteigen, bis die rot flammenden Triebwerke wie zwei Zigarettenstummel im Nebel verschwinden. „Ganz ehrlich“, sagt das Eurofighter- Pressefräulein neben ihm, „wenn ich da drinsäße: Ich würde kotzen.“

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