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Energiewende - „Die Hauptlast trägt der private Endverbraucher“

Der ehemalige Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, kritisiert politische Augenwischerei bei der Energiewende – und prognostiziert weitersteigende Strompreise

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Herr Kurth, als die schwarz-gelbe Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima eine abrupte Wende vollzog und die Abschaltung aller Atomkraftwerke in Deutschland bis zum Jahr 2022 beschloss, waren Sie noch Präsident der Bundesnetzagentur. Wie haben Sie diesen Schwenk wahrgenommen und beurteilt?
Es war ja bezeichnend, dass die entsprechende Kommission unter Vorsitz von Klaus Töpfer „Ethikkommission“ hieß. Ich habe damals schon gesagt, dass neben Ethik und Moral auch noch die Physik berücksichtigt werden sollte, ebenso wie der Marktmechanismus. Das ist eindeutig zu kurz gekommen. Das hat die Politik dann auch erkannt, als sie der Bundesnetzagentur den unangenehmeren Teil dieser Energiewende auftrug – sogar inklusive der Möglichkeit, dass meine Behörde damals ein Kernkraftwerk noch hätte reaktivieren können. Aber natürlich war klar, dass das politisch nicht gewünscht ist.

Wie hat die Bundesnetzagentur konkret reagiert?
Wir haben einen detaillierten Bericht vorgelegt, aus dem hervorging, dass es durchaus eng wird mit der Energieversorgung und der Netzstabilität, insbesondere im Süden Deutschlands, wenn der Winter extrem kalt wird und wenn über mehrere Wochen kein Wind bläst und die Sonne nur wenig scheint. Dieses Szenario ist ja tatsächlich eingetreten, nämlich im Februar 2012, als Strom unter anderem aus Österreich importiert werden musste.

Inzwischen sind seit dem Beschluss der Energiewende zwei Jahre vergangen. Wurde die Zeit sinnvoll genutzt, um das Projekt voranzubringen?
Man hat immerhin erkannt, dass ein paar Dinge dringend geändert werden müssen, insbesondere eine Beschleunigung des Netzausbaus. Und die Bundesländer haben mittlerweile eingesehen, dass die großen Leitungstrassen, die man braucht, um den Strom von Nord nach Süd zu bringen, zentral von der Bundesnetzagentur geplant werden sollten. Das ging am Anfang viel zu schleppend voran. Allerdings wird es – optimistisch gerechnet – immer noch fünf oder sechs Jahre dauern, bis diese großen Trassen stehen. Und da muss man noch hoffen, dass die Leute, die die Energiewende heute befürworten, sich nicht vor Ort gegen den Bau neuer Leitungstrassen engagieren.

Die Ethikkommission sprach in ihrem Gutachten ausdrücklich von der Energiewende als einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Wurde dieses Postulat bisher eingelöst?
Ich stelle fest, dass dieser Wunsch nach gesellschaftlichem Konsens inzwischen wieder dem üblichen Hickhack gewichen ist. Und das Rückführen der Fotovoltaik-Förderung ist absolut unzureichend, von Jahr zu Jahr werden hier die Zubauzahlen bei weitem übertroffen. Wir werden in zwei Jahren eine Kapazität zur Stromerzeugung aus Fotovoltaik haben, die theoretisch der Leistung von 52 Kernkraftwerken entspricht – in der Planung der Bundesnetzagentur war dieser Wert erst in zehn Jahren vorgesehen.

Was stört Sie daran?
Der entscheidende Nachteil ist, dass diese Solaranlagen im sonnenarmen Deutschland nur 800 Stunden im Jahr Strom erzeugen und gerade im Winter, wenn der größte Strombedarf herrscht, meistens nicht. Dennoch erhält die Fotovoltaik circa die Hälfte der Förderung von mittlerweile 20 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist der Politik bekannt, die sich trotzdem dem Druck der Solar-Lobby gebeugt hat. Selbst die marginalen Kürzungen ändern nichts daran, dass wir die unwirtschaftlichste und teuerste Form der Energiegewinnung bei der erneuerbaren Energie in Deutschland am weitesten in ganz Europa treiben.

Und daran ist die Solar-Lobby schuld?
Die CSU in Bayern zum Beispiel kämpft für die Fördersätze zugunsten der Solarenergie genauso hart wie für Agrarsubventionen. Denn es gibt viele Landwirte, die erzielen aus der Produktion erneuerbarer Energie mehr Einkommen als etwa mit ihren Milchkühen. Da wird es natürlich schwer, diese Anspruchshaltung zurückzudrängen. Mit der Ankündigung, die Förderung bei einer Obergrenze von 52 Gigawatt einzustellen, wird auch noch das genaue Gegenteil bewirkt, weil dann jeder die letzte Brachfläche an der polnischen Grenze noch schnell mit Fotovoltaikanlagen bestücken will, um in den Genuss der Fördergelder zu kommen. Dabei ist der Strom durch die EEG-Förderung für die Verbraucher inzwischen so teuer geworden, dass sich die Erzeugung solcher erneuerbaren Energie sogar ohne Fördermittel lohnen würde. Allerdings wird tunlichst verschwiegen, dass da ein Betrag von 200 Milliarden Euro bei den Verbrauchern hängen bleibt.

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Vielfach gewinnt man den Eindruck, dass die Energiewende am politischen Klein-Klein scheitern könnte. Insbesondere Wirtschafts- und Umweltministerium sprechen selten mit einer Stimme. Wäre die Bündelung der Kompetenzen in einem Bundes-Energieministerium sinnvoll?
Natürlich kann man das machen, aber alle Probleme werden auch durch ein Energieministerium nicht gelöst. Denn viele Reibungsverluste sind ja unserem Föderalismus geschuldet und den ständigen politischen Interventionen. Das sieht man an etlichen Gipfeltreffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, bei denen nur selten etwas Konkretes herauskommt.

Ein Thema, das Sie schon kurz erwähnten, ist die Versorgungssicherheit. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass es in Deutschland zu einem Blackout kommen könnte?
Stromausfälle hat es schon immer gegeben, auch lange vor der Energiewende. Die Frage ist, ob die Energiewende dazu beiträgt, unsere Infrastruktur anfälliger für Stromausfälle zu machen. Und das ist der Fall. Ganz einfach, weil die Volatilität der Stromversorgung zunimmt durch die wetterbedingt starken Schwankungen im Bereich der erneuerbaren Energien. Viele Fachleute, und zwar qualifizierte Ingenieure, haben die berechtigte Befürchtung, dass sich die daraus erwachsende Komplexität nicht mehr steuern lässt, wenn künftig noch mehr Strom aus Sonne und Wind in die Netze eingespeist wird.

Die Bundesnetzagentur wurde auch in diesem Winter wieder von der Regierung beauftragt, Kraftwerksbetreiber zu finden und zu bezahlen, die Reservekapazitäten bereithalten. Entspricht das noch marktwirtschaftlichen Grundsätzen?
Im nächsten Jahr hat die Bundesnetzagentur sogar die Möglichkeit, systemrelevante Kraftwerke zu definieren, bei denen sie anordnen kann, dass sie weiterlaufen müssen, auch wenn es für den Betreiber unrentabel ist. So etwas sind planwirtschaftliche Eingriffe, die am Ende zu Entschädigungszahlungen führen werden. Das wird noch große juristische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Die meisten Menschen ignorieren immer noch die Tatsache, dass die Grundlast der Energieversorgung zumindest in den nächsten 20 Jahren gerade nicht durch erneuerbare Energien produziert werden kann. Die Kernenergie wird in Deutschland daher auch nicht durch Erneuerbare, sondern durch ältere Braunkohlekraftwerke ersetzt, die den CO2-Ausstoß erhöhen.

Die EEG-Umlage trifft ja auch Geringverdiener, die mit ihrer Stromrechnung den Zuverdienst wohlhabender Landwirte mit Solarzellen auf dem Dach subventionieren. Findet da eine Umverteilung von unten nach oben statt?
Das ist so, daran stören sich auch viele Gewerkschafter. Weil die großen Stromverbraucher, also die Industriebetriebe, von der EEG-Umlage befreit sind, trägt die Hauptlast der private Endverbraucher. Die Verteilungswirkung durch das EEG ist größer als durch den gesamten Länderfinanzausgleich.

Wie wird sich der Strompreis in den nächs­ten Jahren entwickeln?
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass er weiter nach oben gehen wird. Dabei ist ja der Preis für die reine Erzeugung von Strom in den vergangenen zehn Jahren konstant geblieben, die Netzentgelte sind nach Einführung der Regulierung sogar stark gesunken. Die höheren Strompreise für den Endverbraucher resultieren allein aus Steuern, Abgaben und Umlagen, die von der Politik so gewollt sind.

Halten Sie die Energiewende in ihrer beschlossenen Form für umsetzbar?
So, wie es derzeit läuft, muss man das Projekt leider als permanenten Reparaturbetrieb bezeichnen. Ich bekomme selbst von Spitzenpolitikern aus der Bundesregierung zu hören, dass wir mit der Energiewende vor enormen Problemen stehen. Und im gleichen Atemzug heißt es dann von ihnen: Vor der nächsten Bundestagswahl werden wir die Energiewende aber nicht problematisieren, weil das die Wähler nicht honorieren würden. Es fehlt einfach der Mut, die Probleme öffentlich zu benennen – und dann eben auch gegen Widerstände zu beseitigen. Nach der Bundestagswahl im September werden die Karten wahrscheinlich neu gemischt. 

Matthias Kurth, 60, war als Chef der Bundesnetzagentur für funktionierenden Wettbewerb auf dem Strommarkt zuständig.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

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