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(Picture Alliance) "Die „Rösser des Schicksals“ taugten nicht dafür, dass die Völker sie reiten!"

Böse Schulden - Schon früher verpfändete man die Zukunft

Wie lebe ich mit meinen Schulden? Wir haben drei berühmte Schriftsteller gefragt – und einen Theologen. Die vierte Antwort gibt der Autor und Filmemacher Alexander Kluge

Ein Mangel an verschwenderischem Geist

Die Verfügung über die Gegenwart war den Regierungen Europas im 1. Weltkrieg abhanden gekommen. Die „Rösser des Schicksals“ taugten nicht dafür, dass die Völker sie reiten. In dieser Hinsicht erwies sich Bismarcks Bild, man müsse das deutsche Volk nur in den Sattel setzen, reiten werde es können, als leere Metapher. Umgekehrt war viel Zukunft zu verpfänden. Die Sehnsucht, der elenden Gegenwart zu entkommen, also die Hoffnung, das Vertrauen, das die Menschen hegten, und die so strukturierte Zukunft, war ein Rohstoff.

Von dieser Zugriffsmöglichkeit machte aber der politisch-moralisch korrekte Reichskanzler Brüning, auch wenn sie unter dem verheerenden Eindruck des Schwarzen Freitags von 1929 nahelag, nach seinem Amtsantritt im Jahre 1930 keinen Gebrauch. Der Marxist Karl Korsch behauptete später: Hätte Brüning zu Lasten des deutschen Volkes in den Jahren ab 1933 die Güter der Nation verschwendet und die Zukunft mit Hitler unbezahlbar gemacht, wären von 1939 bis 1945 große Ersparnisse möglich gewesen; ein Rest der Hoffnungen von 1918 wäre übrig geblieben. So war gerade die Verlässlichkeit eines integren Mannes und seine Bindung an den Realismus der reichs- und preußischen Tradition (in katholischer Übersetzung) der Schlüssel zur einer verwüsten Zukunft. Brüning hatte, was Keynes lehrte, nicht gekannt.

Generosität Alexanders

Von Alexander dem Großen ist bekannt, dass er die gehorteten Schätze des Darius über den Orbis ausstreute. So – ähnlich den Vorschlägen des britischen Ökonomen Keynes – begründete er ein 300 Jahre währendes Wirtschafts- und Kulturwunder: den Hellenismus.

Die Ehre der Börse

Es gab den Lucca-Pistoia-Aktienstreit, der auf einen Vorgang in der (habsburgisch regierten) Toskana im Jahr 1843 zurückging. Eine Eisenbahnlinie sollte von Lucca zur Stadt Pistoia gebaut werden. Aktien wurden ausgegeben für eine Laufzeit von 99 Jahren. Die Bahnstrecke wurde nicht fertiggestellt. Die Gesellschaft geriet in Insolvenz. Mit der Ausgabe der Aktien war eine bedingte staatliche Garantie verbunden, die nur galt, wenn der Bau in zwei Jahren abgeschlossen wäre. Das Bankhaus Goldschmidt & Co. hatte Aktien an Kunden verkauft, ohne den Hinweis auf die Begrenzung der Staatsgarantie. Das führte zum Rechtsstreit.

Über diesen Konflikt verstritt sich der später berühmte Max Weber mit seinem Doktorvater. Er bestritt nämlich in einer Replik auf dessen Prozessgutachten, dass das Bankhaus ein Recht habe, sich gegen die Klagen der Kunden überhaupt zu wehren. Die Börse besitze eine Ehre. Werde diese verletzt durch eine Bank, verliere diese ihre Eigenschaft als Rechtssubjekt. So wie in einer Ehrenangelegenheit ein Mann die Satisfaktionsfähigkeit verlieren könne. An dieser Stelle des selbstverschuldeten Ehrverlustes höre das Argumentieren auf.

Alexander Kluge wurde bekannt als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films.

 

Teil 1: Ein Theologe antwortet: Wie lebe ich mit meinen Schulden?

Teil 2: Schriftstellerin vs. Ökonom: „Haltet Euch an Diktaturen, die zahlen pünktlich“

Teil 3: Schulden: Geschichte schreiben auch Verlierer

Teil 4: Böses Schuldenmachen: Schon früher verpfändete man die Zukunft

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