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(picture alliance) „Rürup ist kein wirklicher Wissenschaftler."

Machtkampf beim DIW - Bert Rürups krumme Touren

Der Rentenexperte überschreitet als Kuratoriumschef beim Forschungsinstitut DIW seine Befugnisse und zieht persönliche Vorteile daraus

Bert Rürup ist ein rastloser Mensch. An Selbstbewusstsein mangelt es dem emeritierten Wirtschaftsprofessor und früheren Vorsitzenden der Wirtschaftsweisen nicht. Wenn er sich angegriffen fühlt, was neuerdings wieder häufiger der Fall ist, dann haut der 68-Jährige kräftig um sich. „Absurd“, „bösartig“, „kopflos“ nennt er Fragen nach eigenen materiellen Vorteilen durch sein Engagement beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das er nach jahrelangen Turbulenzen eigentlich befrieden sollte. Das Gegenteil hat er erreicht: Innerhalb des Instituts brodelt es, und der Widerstand gegen den allmächtigen Kuratoriumsvorsitzenden Rürup wächst. Kritische Fragen von außen bügelt dieser aber weiterhin unwirsch ab: „Was wollen Sie eigentlich?“

Und das ist noch harmlos. Internen Kritikern droht er nicht selten mit persönlichen Konsequenzen. Oft mit Erfolg: Die meisten kuschen. Noch.

Viele Jahre genoss der schlaksige, meist düster blickende Ökonom die Rolle als Rentenpapst der Republik. Er beriet verschiedenste Regierungen und wies Sozialkassen wie Finanzunternehmen den Weg. Kaum zählbar sind die Ämter, Aufgaben, Posten, die der umtriebige Professor in seinem Leben übernommen hat. Schon als junger Mitarbeiter im Planungsstab des Kanzleramts unter Helmut Schmidt warnte Rürup vor einem drohenden gigantischen Rentenloch. Aber keiner wollte auf ihn hören. Später beriet der Wirtschaftswissenschaftler mit SPD-Parteibuch auch die Kohl-Regierung: Für Norbert Blüm entwarf er maßgeblich den „demografischen Faktor“ als Kernstück seiner Rentenreform 1998 – und für dessen SPD-Nachfolger Walter Riester Kernelemente der rot-grünen Gegenreform. Weshalb nicht wenige Rürup für einen ziemlich wendigen Experten halten.

Auf dem Höhepunkt war der Politikweiser von 2000 bis 2009 Mitglied und Chef des Sachverständigenrats und leitete gleichzeitig den Sozialbeirat der Bundesregierung. Als Vorsitzender zweier weiterer „Rürup-Kommissionen“ entwickelte der Allzweckberater zudem die Blaupausen für weitere Umbauten am Renten- und Sozialsystem. Kein Wunder, dass sogar eine besondere Form der Altersvorsorge seinen Namen trägt: die „Rürup-Rente“.

Ein solcher Multiexperte konnte sich nach seiner Emeritierung natürlich nicht zur Ruhe setzen. Und so beschloss Rürup, sein Wissen nun ordentlich zu Geld zu machen. Vom Olymp der Lehre und Politikweisung ging er ausgerechnet zum hoch umstrittenen Finanzdienstleister AWD, der – wie die Versicherungen, deren Produkte Tausende AWD-Vertreter vertreiben – bis heute kräftig an den Reformen verdient, welche der neue „Chefökonom und Sonderberater“ einst mitentwickelt hatte. Ein Seitenwechsel, der Rürup nicht gut bekam: Den Doppelvorsitz im Sachverständigenrat und Sozialbeirat musste er auf Drängen der Opposition niederlegen, nachdem sein lukrativer Umstieg in die Wirtschaft bekannt wurde.

Doch Neuunternehmer Rürup, der Ende 2009 mit dem schillernden AWDGründer Carsten Maschmeyer eine eigene Beratungsfirma gründete, suchte nach neuen Herausforderungen. Und fand sie beim Berliner DIW. Das größte unabhängige Wirtschaftsforschungsinstitut, das seit Jahrzehnten die Politik mit Prognosen, Gutachten und Daten versorgt, war unter ihrem damaligen Präsidenten Klaus Zimmermann in den Jahren zuvor mächtig ins Gerede gekommen. Dem ehrgeizigen Arbeitsmarktforscher, der das DIW seit 2000 leitete, wurden autokratischer Führungsstil und Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen, vor allem aber eine Abkehr von der früheren „linken“, stark keynesianischen und damit SPD- und gewerkschaftsnahen Ausrichtung.

Die Auseinandersetzung im und um das Institut, die aktuell wieder hochkocht, spitzte sich zu, als Zimmermann 2004 für die Entlassung des Chefkonjunkturforschers Gustav Horn sorgte – zu einer Zeit, als er selber Gerhard Schröder und dessen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bei den Hartz-Reformen unterstützte und damit aus Sicht seiner Kritiker das DIW in neoliberalen Verruf brachte. Horn durfte zwar alsbald beim DGB ein eigenes Forschungsinstitut gründen. Seine Gegner werfen Zimmermann dennoch bis heute vor, den „letzten Keynesianer“ unter den ansonsten streng angebotsorientierten, CDU-, FDP- und unternehmensfreundlichen Wirtschaftsinstituten beseitigt zu haben. Und betrieben nun seine Ablösung. Anfang 2010 beriefen Bundesregierung und Berliner Senat als Hauptfinanziers des Instituts Rürup zum Vorsitzenden des DIW-Kuratoriums. Als Oberaufseher sollte er den eher politisch-persönlichen als wissenschaftlich begründeten Führungs- und Richtungskampf beenden.

Bevor er jedoch diese heikle Mission übernahm, verlangte Rürup, dass die Satzung des DIW geändert werde, um ihm in allen entscheidenden strittigen Fragen das letzte Wort zu geben – eine in Wissenschaftseinrichtungen völlig unübliche Konstruktion. Dort bestimmen normalerweise die Präsidenten und Direktoren, gestützt auf einen Wissenschaftlichen Beirat, Richtung und Schwerpunkte der Forschungsarbeit und suchen die Führungskräfte aus. Die Aufsichtsgremien segnen die Vorgaben lediglich ab und beschließen das Budget.

Doch beim DIW war schon immer alles ein wenig anders. Bis Zimmermann kam, bestimmte selbst der Betriebsrat in Wissenschaftsfragen mit, beim Personal hatte er ein Vetorecht. Zu den Mitgliedern des Trägervereins gehören neben Ministerienvertretern auch SPD und Gewerkschaften. Zimmermann, der das Institut – auch im Auftrag des Wissenschaftsrats – unabhängiger und breiter aufstellen wollte, kündigte die Vereinbarung mit dem Betriebsrat und schuf sich damit die ersten Feinde. Zum endgültigen Eklat kam es, als dem DIW dann auch noch von der rot-grünen Regierung die Beteiligung an den Gemeinschaftsgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute entzogen wurde. Ein zwar finanziell nicht bedeutender, aber für die Reputation als Beratungsinstanz der Politik wichtiger Auftrag, den stattdessen Horns neues Gewerkschaftsinstitut bekam.

In einem offenen Brief an das Kuratorium warfen Horns Vorgänger Heiner Flassbeck, der 1998 unter Oskar Lafontaine kurzzeitig Staatssekretär im Bundesfinanzministerium geworden war, und andere frühere Mitarbeiter des DIW Zimmermann daraufhin vor, aus einer „kritischen Institution“ eine unbedeutende Einrichtung gemacht und „ein keynesianisches Institut auf neoklassisch angehauchten Mainstream getrimmt“ zu haben. Und forderten den neuen Vorsitzenden Rürup unverhohlen zum Handeln auf: Diese „forschungspolitische Fehlleistung ersten Ranges“ sei „eindeutig dem Präsidenten zuzurechnen“.

Orchestriert wurde der Frontalangriff durch einen an einige Medien lancierten Bericht des Berliner Landesrechnungshofs. Darin wurde Zimmermann beschuldigt, im DIW seien sieben Millionen Euro aus den Zuwendungen von Bund und Senat falsch verwendet worden. Auch wenn sich die Vorwürfe bald als weitgehend haltlos erwiesen, verstärkten sie den Druck auf den DIW-Chef.

Anfang 2011 war es so weit: Entnervt von den ständigen internen und öffentlichen Attacken, aber auch weil er sich von Rürup entmachtet fühlte, gab Zimmermann auf. Seine Gegner triumphierten, nicht wenige der 180 Mitarbeiter atmeten auf, weil sie auf ein Ende der lähmenden Kämpfe hofften. Sie sollten sich täuschen.

Denn das DIW stand nun erst einmal führungslos da. Als Interimsleiter setzte Rürup – ohne das notwendige Berufungsverfahren – den altgedienten DIW-Sozialforscher Gert Wagner ein, der sich aber schon bald als überfordert erwies und die Führung nur zu gern dem Kuratoriumsvorsitzenden überließ. Ein neuer Präsident sollte erst nach der laufenden, regelmäßigen und langwierigen Prüfung des Instituts durch die Leibniz-Gemeinschaft ausgewählt werden. Die befindet als Dachgesellschaft von gut 80 Forschungseinrichtungen in Deutschland in einem strengen Evaluierungsverfahren darüber, ob diese weiterhin Geld vom Bund und den Ländern erhalten, ohne das die meisten gar nicht weiterexistieren könnten.

Rürup achtet aber nicht nur auf das Wohl und die Zukunft des DIW, sondern auch auf sein eigenes. Obwohl der Vorsitz des Kuratoriums des pro Jahr mit 20 Millionen Euro aus Steuergeldern finanzierten Instituts eine ehrenamtliche Aufgabe ist, verlangte er eine Aufwandsentschädigung – mit der interessanten Begründung, er leite im Wesentlichen das Institut und sei dadurch zeitlich stark belastet.

Aus demselben Grund fliegt er in der teuren Business Class zu den DIW-Sitzungen ein, weil ihm das erlaubt, flexibler zu buchen. Da die Reisekostenrichtlinie des Bundes jedoch nur Economy-Flüge erlaubt, man Rürup aber nicht verärgern wollte, versuchte der Vorstand 2009 eine Ausnahmeregelung beim Berliner Senat als federführender Behörde zu beantragen, auch wenn das „auf keine große Gegenliebe beim Senat“ stoßen werde, wie es in einer internen DIW-Mail heißt, die Cicero vorliegt. Nach einer schriftlichen Ablehnung des Senats könne man „Herrn Rürup ggf. überzeugen, doch Economy zu fliegen“, hoffte der Mail-Verfasser.

Vergebens. Schließlich erstattete der Freundeskreis des DIW, ein Verein von Privatunternehmen, die die Arbeit des Instituts unterstützen, Rürup eine Zeit lang die Mehrkosten. Heute trägt er sie nach eigener Aussage selber.

Eine Aufwandsentschädigung lehnten Bund und Land als Geldgeber ebenfalls ab, obwohl sich auch der neue Vorstand dafür starkmachte. Schließlich sind die staatlichen Zuwendungen für die Forschung und Beratung gedacht.

Aber auch ohne Entlohnung übt Rürup seit Zimmermanns Abgang die eigentliche Macht am DIW aus und lenkt es in seine Richtung. Er berief eigenmächtig mehrere neue Leiter der zehn Abteilungen und krempelt das Institut auch intern um. So soll die von Wissenschaftlern und der Leibniz-Gemeinschaft hoch anerkannte Sektion „Entwicklung und Sicherheit“ aufgelöst werden und deren Leiter Tilman Brück gehen. Forschung in diesem Bereich, etwa zur Armutsbekämpfung oder zu politischen Reformen in Entwicklungsländern, halte er für „randständig“, schrieb Rürup in einem Brief an den DIW-Vorstand, der Cicero vorliegt.

Vor allem aber setzte Rürup durch, dass sich die Mitarbeiter des DIW nicht mehr so sehr – wie unter Zimmermann – auf die Forschung konzentrieren sollen, sondern wie ehedem auf Beratung. So wie er es ja selber immer gehalten hat. „Rürup ist kein wirklicher Wissenschaftler. Er könnte am DIW nicht einmal Abteilungsleiter werden“, ätzt einer seiner Widersacher im Institut, der wie alle nicht namentlich zitiert werden möchte. Zu groß ist die Angst vor dem allmächtigen Oberchef.

Auch im Wissenschaftlichen Beirat beklagen manche eine Rückverwandlung des DIW in ein reines Gewerkschafts- und SPD-Institut. „Die SPD hofft, erst recht nach dem Präsidentenwechsel in Frankreich, auf eine Regierung unter ihrer Führung nach der Bundestagswahl. Dann braucht sie so ein Institut und möchte deshalb schon jetzt die Weichen dafür stellen“, sagt einer der professoralen Berater. Rürup hält die Anschuldigungen selbstredend für abwegig. Es gebe „keine rechten oder linken Wirtschaftsmodelle“, die Unterscheidung in angebots- und nachfrageorientierte Ansätze sei „sehr deutsch“. Bei der Bezahlung seiner Flüge sei „alles sauber“. Und der Vorwurf, er bestimme im Institut „nach Gutsherrenart“, der sei – natürlich – „absurd“ und „bösartig“. Noch Fragen?

Selbst an der Spitze der Leibniz-Gemeinschaft verfolgt man die Entwicklung am DIW mit großer Sorge. Rürup betreibe ein „böses, politisches Spiel“, er überziehe seine Funktion und bestimme selbst die Suche nach einem neuen Präsidenten. „Dabei hat der Kuratoriumsvorsitzende damit eigentlich gar nichts zu tun“, heißt es dort.

Die Wissenschaftsgemeinschaft sieht aber ihre Hände gebunden, solange die Geldgeber stillhalten. Und die, namentlich das FDP-geführte Bundeswirtschaftsministerium von Philipp Rösler, dessen Staatssekretär Bernhard Heitzer im Kuratorium sitzt, scheinen sich mit der Rückverwandlung des DIW in eine Denkfabrik der SPD und der Gewerkschaften abgefunden zu haben. „Da gibt es eine stille Absprache: Eines der sechs führenden Wirtschaftsinstitute fällt halt der SPD zu“, sagten Insider dem Cicero. „Union und FDP ist das nicht so wichtig.“

Rürup steht dennoch kräftig unter Druck: Weil er alle Macht an sich gerissen hat, fand er bislang keinen neuen Präsidenten für das DIW. Zwar benannte eine Findungskommission unter seiner Leitung fünf Kandidaten, die Mitte Juli ihre Vorstellungen für die künftige Arbeit des Instituts vortragen sollen. Keiner von ihnen erfüllt jedoch die von Rürup selbst gesetzte Bedingung, ein ausgewiesener, angesehener Makroökonom zu sein. Einzig die Münchner Wirtschaftsprofessorin Dalia Marin, die Rürup als Überraschungskandidatin präsentierte, ist wissenschaftlich breit anerkannt. Ihr Nachteil: Die gebürtige Österreicherin beschäftigt sich vor allem mit Außenwirtschaft. Die ist aber bislang kein Schwerpunkt des DIW. Das soll sich nach Rürups Willen allerdings ändern.

Am 18. Juli soll nun endgültig die Entscheidung über die Zimmermann-Nachfolge fallen. Sollte es dann keine überzeugende Lösung geben, frohlocken Rürups Gegner im Institut, „müsste er am besten selber gehen“.

Auch als Privatunternehmer steht der einstige Multiexperte unter Druck. Die MaschmeyerRürup AG ist praktisch konkursreif: 2010 verbuchte sie einen Fehlbetrag von 2,2 Millionen Euro, bei Verbindlichkeiten von 3,8 Millionen Euro. „Trotz der bestehenden bilanziellen Überschuldung“, heißt es im Jahresabschluss, werde die Beratungsgesellschaft weitergeführt, weil Mitinhaber Maschmeyer für den Großteil der Kredite geradestehe. Kein Ruhmesblatt für einen, der zeigen wollte, wie man in der Finanzbranche richtig Geld verdienen kann.
 

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