- Ein Blog verändert Tunesien
Lina Ben Mhenni ist eine der mutigsten Bloggerinnen der Welt. Sie hat die tunesische Revolution medial begleitet und von dort berichtet, wo keine Presse erlaubt war. Dafür hat die Deutsche Welle ihren Blog „A tunesian girl“ ausgezeichnet. Ihr Kampf aber geht weiter.
Ihre Hände sind zu Fäusten geballt. Sie zittern. An ihrem zierlichen Handgelenk baumelt eine Kamera. Ihr Blick ist starr auf den Boden gerichtet. Vor der 28-Jährigen liegt ein lebloser Körper. Es ist ein junger Mann, der den Streitkräften des Ben-Ali-Regimes zum Opfer gefallen ist. Neben ihm knien seine Eltern. Lina Ben Mhenni steigen Tränen in die Augen. Langsam greift sie zu ihrer Kamera. Tränen der Wut laufen über ihre Wangen. Sie fokussiert mit dem Objektiv den leblosen Körper des Mannes. Plötzlich lässt sie die Kamera sinken. „Ich wollte gar nicht fotografieren“, erzählt die tunesische Bloggerin, „aber die Eltern des jungen Mannes haben mich gebeten, Aufnahmen zu machen und der Welt vom Unrecht in Tunesien zu berichten.“
Seit sich am 17. Dezember 2010 der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi im zentraltunesischen Sidi Bouzid in Brand gesteckt hat, hat sie gefilmt, fotografiert und die Welt über die Missstände in ihrer Heimat informiert. Fast stündlich hat sie ihre Blogeinträge erneuert, getwittert und ihren Facebook-Status aktualisiert und damit die Flamme der Revolution angefacht. Und Ben Mhenni hat mitdemonstriert und Freiheit für Tunesien gefordert.
2007, lange vor den ersten Unruhen, hatte die junge Frau bereits mit dem Bloggen begonnen. Anfangs schreibt sie über Kultur, aber bald schon kritisiert sie in ihren Beiträgen die strenge Zensur des Ben-Ali-Regimes. Das bleibt nicht ohne Folgen – auch ihr Blog wird zensiert. Und: „Ich wurde häufig von Polizisten in Zivil auf der Straße verfolgt“, sagt Lina Ben Mhenni. Im April 2010 folgt die nächste Stufe der Unterdrückung: Polizisten des Regimes brechen bei ihren Eltern ein und stehlen Mhennis Computer. Auch die ersten Kapitel ihrer Doktorarbeit gehen dabei für immer verloren.
Bereits zuvor war Ben Mhennis Freund Opfer der Staatsgewalt geworden. Im Herbst 2009 wird er von der Staatspolizei verhaftet. Niemand weiß, wo er ist, ob er noch lebt. Ben Mhenni ist verzweifelt und startet im Internet eine internationale Suchkampagne. Die Staatspolizei warnt sie, wenn sie nicht aufhöre, müsse sie teuer dafür bezahlen. Sie lässt sich nicht einschüchtern und bloggt weiter. Nach 20 Tagen gibt es endlich eine Nachricht. Die Staatspolizei besucht die Eltern ihres Freundes und teilt ihnen mit, ihr Sohn sei verhaftet worden, weil er sich betrunken auf der Straße aufgehalten habe. „Er war nicht betrunken, sondern wurde festgenommen, weil er einem französischen Radiosender ein kritisches Interview gegeben hat“, widerspricht Lina Ben Mhenni der offiziellen Version. Ohne eine anwaltliche Vertretung wird ihr Freund zu vier Monaten Haft verurteilt; nach zwei Monaten kommt er frei, gezeichnet von der Folter und mit mehreren gebrochenen Rippen.
Lina Ben Mhenni fährt sich mit ihrer blassen Hand durch das schwarze, dichte Haar. Augenringe bestimmen ihr Gesicht. Der jahrelange Kampf gegen Ben Alis Regime hat sie gezeichnet. „Ich nehme die Kraft aus der Liebe zu meinem Land, ich wäre bereit, für Tunesien zu sterben“, versichert die junge Frau.
Was es heißt, stark zu sein, hat die Tunesierin schon einmal zeigen müssen. „Ich war sehr krank, so sehr, dass die Ärzte und meine Eltern dachten, dass ich es nicht schaffen würde.“ Aus dieser Erfahrung heraus habe sie gelernt, stark zu sein. Damals hat ihre Mutter ihr eine Niere gespendet und Ben Mhenni so eine zweite Chance zum Leben gegeben. „Diese zweite Chance verpflichtet mich, für mein Land zu kämpfen, für Tunesien und auch für mich selbst.“
Seit Beginn der „Jasminrevolution“ hat sich Ben Mhennis Leben vollkommen verändert. Früher unterrichtete die zierliche Frau als Dozentin für Linguistik an der Universität Tunis. Dafür hat sie heute nur Zeit, wenn sie nicht wieder einmal von Konferenz zu Konferenz reist, um über die Cyberrevolution zu berichten. Allein im Juni führten ihre Reisen sie nach Paris, Berlin, zurück nach Paris und schließlich nach Bonn. Auf ihrem Blog berichtet sie, wie einsam sie sich häufig auf diesen Reisen fühlt und wie sie sich nichts sehnlicher wünscht, als einen ruhigen Tag zu Hause in Tunis zu verbringen. Denn selbst die Abende im Hotel hat Ben Mhenni nicht tatenlos verbracht, sondern an ihrem ersten Buch geschrieben. In ihrer Streitschrift „Vernetzt euch!“ fordert sie die Leser auf, politisch aktiv zu werden: „Ich will, dass die Welt sich verändert. Sie wird sich aber nur verändern, wenn die Informationen in Umlauf kommen, wenn die Wahrheit verbreitet wird, wenn wir uns vernetzen.“
Ben Mhenni kämpft auch nach Ben Alis Sturz für Transparenz und Demokratie. Über Onlineforen unterstützt sie Blogger in Jemen, Syrien oder Libyen. Sie glaubt an ein gutes Ende der arabischen Revolutionen: „Ich weiß, dass die Blogger ihren Kampf für Freiheit und Würde fortführen werden. Wenn man gegen die Diktatur kämpft, kann man keinen Schritt zurück machen, man muss es bis zum Ende durchziehen.“
Auch der Kampf in Tunesien sei noch lange nicht beendet: „Wir sind erst am Anfang, der Weg zur Demokratie in Tunesien ist noch sehr lang.“ Die Wahlen, die für den 23. Oktober geplant sind, seien ein erster Schritt in die richtige Richtung.
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