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Sarah Wiener - Nieder mit den fettarmen Produkten!

Die Spitzenköchin Sarah Wiener empört sich über die Auswüchse der Lebensmittelherstellung: Butter gilt plötzlich als Killer, Milch wird sterilisiert und jedes Geschmackes beraubt. Sie fordert weniger Industrie und mehr Indidvidualität

Autoreninfo

Sarah Wiener ist österreichische Spitzenköchin und betreibt ein Lokal in Berlin. Sie schreibt Bücher über ihre Rezepte und tritt in Talkshows auf

So erreichen Sie Sarah Wiener:

Gut geschmeckt, Löwe Marguier! Ich stehe treu an Ihrer Seite, wenn es darum geht, simple Butter als Geschmacksbereicherung zu fördern und zu verteidigen. Die gute Butter verschwindet als Brotbelag, und was man uns an ihrer statt andrehen möchte, sind zum Beispiel das Kunstprodukt Margarine (schon bei seiner Erfindung für Kriegszeiten handelte es sich um ein nicht genieß- aber essbares Butter-Surrogat, das Soldaten wehrhaft halten sollte), und fettarme Joghurtcremes – allesamt schwerstverarbeitete Industrieprodukte, die uns Geschmack und Nutzen vorgaukeln wollen, wo aber in Wahrheit nichts ist außer Reproduzierbarkeit, Lagerfähigkeit und Gewinnmaximierung für Großkonzerne.

Da möchte ich auch gleich rufen: Nieder mir den fettarmen Produkten!

Fett stärkt Seele und Nerven


Eine Menschheitsgeschichte lang haben wir uns natürlich ernährt und uns evolutionär an natürliche Lebensmittel angepasst. Auch Fett braucht der Mensch: als wesentlichen Bestandteil gesunder Ernährung, aber auch als Geschmackstoff – für die Seele und die Nerven.

Doch kaum hatte die Industrie entdeckt, dass man mit Milchfett Essbares industriell aufpeppen und gesondert teuer verkaufen kann, wurde den Konsumenten weisgemacht, dass uns fettarme Molkereiprodukte besonders gut bekommen. Die wertvollen Fettsäuren, die unser Stoffwechsel seit Anbeginn der Milchwirtschaft kennt und nachhaltig verdaut, sollen plötzlich ungesund sein. Butter ist angeblich ein Killer.

Auch das Heilmittel Rohmilch, das man vor einigen Jahren als Vorzugsmilch in der Apotheke insbesondere Schwangeren, Kindern und Kranken als Medizin empfahl, wird nun als hochgefährlich dargestellt. Rohmilch zu verkaufen ist in Deutschland verboten. Das muss man sich mal (oder lieber nicht) auf der Zunge zergehen lassen!

Milch ist nur noch eine Leiche


Die gute, wunderbar sahnige Milch, die je nach Jahreszeit, nach Standort, Fütterung und Rasse der Kühe immer anders schmeckte und ihre Lebendigkeit dadurch unter Beweis stellte (auch dadurch, dass sie schnell sauer werden konnte), wurde durch eine weiße Flüssigkeit ersetzt, die tiefgekühlt, zentrifugiert, homogenisiert, pasteurisiert und desodoriert auf Norm getrimmt und haltbargemacht wurde. Erstaunlich, dass sie trotzdem immer noch unter ihrem alten Namen weiter vertrieben werden darf. Milch, das ist heute eine Leiche, die nicht mehr sauer wird, sondern höchstens fault, durch kälteresistente Keime. Aus einem Qualitätsprodukt ist zu Tode sterilisierte Nahrung geworden.

Auf einmal gab es gute und böse Bakterien und vermeintliche Heilsversprechen einer Agrarindustrie, die die Natur wie einen Werkzeugkasten behandelt und neben der Biodiversität auch sonst jeder Individualität den Garaus macht.

Auch die Butter ist nicht mehr, was sie sein könnte. Und doch: Bevor ich ein reines Kunstprodukt aus dem Chemielabor inklusive Farb- und Aromastoffen zu mir nehme, esse ich tatsächlich lieber industrialisiert hergestellte Butter. Die gute handgeschöpfte Almbutter ist ohnehin längst nicht mehr jedermanns Sache und hat auch, wie jedes vernünftige Lebensmittel, ein nahes Verfallsdatum. Besser geht‘s natürlich schon, aber nach unten scheint die Skala der normierten, standardisierten und stark verarbeiteten Nahrungsmittel offen. Geschmack wird anerzogen, manipuliert und in frühester Kindheit gebildet.

Die nächste Generation wird mit natürlichen Grundnahrungsmitteln wenig anfangen können und sich fremdfüttern lassen – fremdfüttern lassen müssen. Qualität benennen und einfordern kann aber nur, wer sie überhaupt je kennengelernt hat.

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