Kurz und Bündig - Immanuel Wallerstein: Die Barbarei der anderen

In heutigen Kriegen üben Truppen die Funktion einer Weltpolizei aus – wenn man dem amerikanischen Präsidenten oder etwa dem liberalen Philosophen Michael Walzer glaubt.  Auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas verstand so manchen Krieg der 90er Jahre als moralisch akzeptable Aktion im Vorgriff auf eine künftige überstaatliche Ordnung. Die Rhetorik, um Kriege zu rechtfertigen, hat sich seit dem 16.

In heutigen Kriegen üben Truppen die Funktion einer Weltpolizei aus – wenn man dem amerikanischen Präsidenten oder etwa dem liberalen Philosophen Michael Walzer glaubt.  Auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas verstand so manchen Krieg der 90er Jahre als moralisch akzeptable Aktion im Vorgriff auf eine künftige überstaatliche Ordnung. Die Rhetorik, um Kriege zu rechtfertigen, hat sich seit dem 16. Jahrhundert nicht wesentlich geändert – so die These von Immanuel Wallersteins Buch über «Die Barbarei der anderen». Dem liegt eine zweite, unausgesprochene These zugrunde: dass nämlich damalige und heutige Kriege, von der Conquista bis zu diversen Irak-Kriegen, hinter aller Rhetorik auch denselben Zwecken gehorcht haben – Bereicherung, Territorialdenken, Imperialismus. Wallerstein zitiert aus der wenig bekannten Schrift des spanischen Humanisten Juan Ginés de Sepúlveda (1490–1573). Zu den «gerechten Gründen für den Krieg gegen die Indios» zählt Sepúlveda etwa die barbarischen Sitten der Urbevölkerung, vor denen diese selbst zu erretten sei, am besten mittels Missionierung. Die Spanier hätten eine moralische Verpflichtung, «dem Schaden und dem großen Unheil vorzubeugen, das (die Indios) einer großen Anzahl unschuldiger Menschen, die jedes Jahr den Götzen geopfert wurden, bereitet haben – und das diejenigen, die noch nicht unter das spanische Joch gebracht wurden, auch heute noch bereiten». Sepúlveda versucht, kurz gesagt, den spanischen Eroberungskrieg als «militärische Intervention» zu verkaufen. Und es ist – auf gruselige Weise – komisch, aus einem frühneuzeitlichen Mund schon von hilfsbedürftigen Unschuldigen zu hören. Denn bis heute gilt die Rettung Dritter als das stärkste moralische Argument, um die eigenen Truppen zu motivieren, bei einer anderen Bevölkerung «Kollateralschäden» zu riskieren. Ohne Zweifel hat Wallerstein mit Sepúlvedas Schrift eine interessante Quelle aufgetan. Für den tatsächlichen Beweis, dass dieselbe Rhetorik seither ungebrochen fortdauerte, müsste mehr Material beigeschafft werden. Aber geschenkt. Befremdlicher ist der altmodische, vulgärmarxistische Ideologie-Begriff, dessen Echo in diesem Büchlein immer wieder nachklingt. Gerne spricht der 1930 geborene Sozialwissenschaftler von «den Mächtigen», die offenbar irgendwo im Hintergrund agieren, und wirft die Frage auf, «wie, von wem und zu welchem Zweck diese Ideen ursprünglich entwickelt wurden». Allzu konkret verfolgt wird diese Frage nicht – vielleicht weil die dann nahe liegende Antwort, dass sich eine Handvoll «Mächtiger» mit Priestern, Philosophen, Verlegern und Journalisten zusammengesetzt hätten, um Legitimationslügen in aller Welt zu verbreiten, doch zu naiv ausfallen müsste. Mag sein, dass gedankliche Unschärfen wie diese einem formalen Umstand geschuldet sind: Das Buch geht auf eine Serie von Abendvorträgen zurück. Als solche mögen sie anregend gewesen sein; in der schriftlichen Fassung können sie nicht ganz überzeugen.   

 

Immanuel Wallerstein
Die Barbarei der anderen. Europäischer Universalismus
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Pelzer.
Wagenbach, Berlin 2007. 112 S., 10,90 €

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