- Der Rechtsstaat siegt und hinterlässt viele Verlierer
Das Urteil im Verfahren um den Vergewaltigungsvorwurf ist verkündet, Jörg Kachelmann ist frei. Zurück bleibt eine gefestigte Justiz, eine kaputte Frau und ein Deutschland ohne Wettermann.
„In dubio pro reo”. Das Gericht zweifelt an der Schuld Jörg Kachelmanns. Und so ist Deutschlands einst beliebtester Wetterfrosch seit diesem Dienstag ein freier Mann. Es war der erwartete Freispruch. Der Vorsitzende Richter Michael Seidling stellte in seiner Urteilsbegründung klar, dass sich der Verdacht, Jörg Kachelmann habe seine Ex-Freundin mit einem Messer bedroht und vergewaltigt, „nicht verflüchtigt, aber abgeschwächt“ habe. Und er sprach aus, was das Problem bleiben wird nach diesem Prozess, der die ganze Republik und seine Medien über ein Jahr beschäftigte hat: „Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht: Ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenzielle rachsüchtige Lügnerin.“
Was bleibt also nach diesem Prozess? Weder Befriedigung der Rachegefühle einer Frau, der Jörg Kachelmann wehgetan hat, noch Klarheit darüber, was an jenem Abend in der Februarnacht 2010 wirklich geschah. Der deutsche Rechtstaat hat gesiegt. Damit ist er allerdings der einzige Gewinner auf weiter Flur.
Die Liste der Verlierer dagegen ist lang. Da wäre zunächst einmal Jörg Kachelmann selber. Seine Karriere als Fernsehmoderator hat ein jähes Ende gefunden. Dieser sieht seine Zukunft nun im Radio. Kachelmann hatte seinen ersten Wiederauftritt am Mikrofon vor einigen Wochen bei einem Radiosender in Aschaffenburg. Sein erster Arbeitsvertrag im neuen Leben gilt zunächst für ein Jahr. Dann ist da die Nebenklägerin. Sie war möglicherweise das Opfer einer Vergewaltigung, sicherlich aber ist sie das Opfer ihrer eigenen Liebe zu Kachelmann und eine Gejagte der Medien. Sie wird sich möglicherweise auf ein weiteres Gerichtsverfahren vorbereiten müssen. Auf ihr eigenes, wegen Falschaussage.
Darüber hinaus war dieser Prozess aber auch ein Fall, bei dem sich die deutschen Medien selbstkritische Fragen stellen müssen. Auf ihrem Kurs zwischen Aufklärung und Auflage, zwischen Chronistenpflicht und Quotenjagd geraten Journalisten immer häufiger in fremde Schützengräben, schießen zu früh oder verfehlen ihr Ziel.
Eine, die sich im Laufe des vergangenen Jahres offensichtlich verrannt hat, ist Alice Schwarzer. Ihr Werbeengagement für die Bildzeitung konnte ihr Image nicht so sehr ramponieren, wie ihre geschriebenen und verbalen Einlassungen zum Fall Kachelmann. Schwarzer machte zum Thema, was die Öffentlichkeit nichts anzugehen hat: Wie vielen Frauen habe Jörg Kachelmann Liebe, Ehe und Treue bis zum Ende seiner Tage versprochen? Das war zum Beispiel Gegenstand ihrer Gedanken in öffentlichen Prozessbetrachtungen. Der Mann, ein mieser Sklave seiner Geschlechtstriebe, die Frau als Vertreterin aller Unterdrückten, aller schwachen potentiellen Opfer.
Dieses Schwarz-Weiß-Denken ist anachronistisch, aber in emotionalen Situationen und angesichts ungeklärter Vorwürfe wie bei Kachelmann, dem IWF-Chef Strauß-Kahn oder Wikileaks-Gründer Julian Assange zählen plötzlich keine Fakten mehr. Dann treten bei vielen Menschen und in den Medien ureigene Instinkte hervor. Zwar können die Betroffenen Klagen, wenn offensichtlich Falsches über sie berichtet wird, gegen einseitige Berichterstattung oder vorverurteilende Kommentare sind sie aber machtlos. Es keine höhere Instanz, die über tendenziöse Berichterstattung wacht und viel zu wenig mediale Selbstkritik.
Unser Rechtssystem dagegen ist besser gewappnet. Es ist kompliziert, aber das ist es zu Recht. Richter, Verteidiger und Staatsanwälte müssen sich an Paragraphen halten, sie dürfen nicht auf ihr Bauchgefühl hören oder auf ihre Instinkte vertrauen. Es hat sich im Fall Kachelmann gezeigt, dass dies auch gut so ist.
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