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Online-Zugriff - Schadet die Geheimdienstaffäre Obama?

Der US-Geheimdienst NSA soll massenhaft auf Daten von Internetdiensten wie Facebook, Google oder Skype zugegriffen haben. Wie gefährlich kann die Affäre für Präsident Barack Obama werden?

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Der amerikanische Präsident Barack Obama hat am Freitagabend das geheime Überwachungsprogramm der US-Geheimdienste verteidigt. Das Sammeln von Telefondaten und die Auswertung von Internetkommunikation erfolgten unter „sehr strenger Aufsicht“ des Parlaments und von Bundesgerichten, sagte er im kalifornischen San José. „Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben“, sagte Obama. Die Programme seien vom Kongress gebilligt und seit 2006 mit überparteilicher Zustimmung mehrfach erneuert worden. Das Ausmaß der Datenüberwachung, von dem die „Washington Post“ und der „Guardian“ berichten, wird Menschen, die in den USA leben und die Methoden der Terrorabwehr dort verfolgen, allerdings kaum sonderlich überraschen.

US-Dienste, das ist ein offenes Geheimnis, greifen seit Jahren in großem Umfang Telefonverbindungsdaten, Informationen sozialer Netzwerke, Emails und interne Firmenkommunikation ab. Als Blankovollmacht nutzen sie Abhörgesetze, die der Kongress nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 ausgeweitet hat. Telefongesellschaften und Internetkonzerne kooperieren mit den Geheimdiensten, wollen sich in der Öffentlichkeit aber in der Regel nicht dazu bekennen, weil sie ihren Nutzern offiziell Datenschutz versprechen.

Was ist neu an den Vorwürfen?

Die „Washington Post“ und der „Guardian“ haben Unterlagen zu einem geheimen Datensammelprogramm namens „Prism“ veröffentlicht. Sie bekamen sie offenbar von einem Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes NSA zugespielt. Darunter sind Kopien von Abhöranweisungen und eine 41 Folien umfassende Präsentation über das „Prism“-Programm. Es soll seit 2007 existieren. Regierungsvertreter haben nun dessen Existenz bestätigt. Laut „Washington Post“ kann sich der NSA direkt bei den Servern der Kommunikationsgiganten Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, PalTalk, AOL, Skype, YouTube und Apple bedienen. Die Firmen widersprachen vehement. Sie hätten keinerlei Daten über das Maß hinaus, zu dem sie gesetzlich verpflichtet seien, zur Verfügung gestellt.

Nach den Medienberichten hat die US-Regierung über die Geheimdienste Zugang zu Videos, Fotos, E-Mails, Dokumenten und Kontaktdaten. Sie überwache Chats, Videokonferenzen und Clouddienste. Ihre Analysten seien so in der Lage, die Bewegungen und Verbindungen von Personen über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen. Auch in der Zeit vor „Prism“ hatte es immer wieder Hinweise gegeben, dass die Dienste das Internet systematisch überwachen, um Informationen über Terrorpläne aufzufangen. In jedem Jahr seit 9/11 haben die Behörden sich gerühmt, Anschläge vereitelt zu haben. Meist war dabei von überwachter Internetkommunikation die Rede.

Was ist der rechtliche Rahmen?

Geheimdienstkoordinator James Clapper, aber auch Mitglieder der Geheimdienstausschüsse im Kongress wie die als liberal geltende Senatorin Dianne Feinstein betonen, die Überwachungsprogramme basierten auf den nach 2001 beschlossenen Sicherheitsgesetzen und seien legal. Vize-Regierungssprecher Josh Earnest, der den Präsidenten gerade auf einer Reise durch Kalifornien begleitet, bei der Obama am Freitagabend den neuen chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Palm Springs treffen wollte, sagte, die geheimen Überwachungsprogramme seien „ein wertvolles Mittel zur Verhinderung von Terroranschlägen“.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist unangenehm für Präsident Obama. Beim Treffen mit Xi Jinping wollte er angeblich illegale chinesische Hackerangriffe auf Internetseiten in den USA ansprechen. Nun ist klar, dass die USA ebenfalls ausländische Firmen ausspähen. Erklärungsbedürftig für ausländische Partner ist zudem die Unterscheidung, dass die Datenschutzrechte nur für US-Bürger und in den USA ansässige Firmen gelten, nicht aber für Ausländer und ausländische Konzerne. Geheimdienstkoordinator Clapper versichert, von der Überwachung seien nur Ausländer betroffen. Die könnten sich nicht auf Schutzrechte berufen.

 

 

 

Das ist ein berechtigter Vorwurf. In vielen Bereichen der Terrorabwehr und Sicherheitspolitik agiert Obama nicht liberaler und transparenter als Bush, sondern hat dessen Praxis verschärft. Er lässt mehr Drohnenangriffe zur Tötung von Terrorverdächtigen fliegen. Er hat das Abfischen von Daten nicht reduziert, wie man am Beispiel des „Prism“-Programms sieht, das gegen Ende der zweiten Amtszeit Bushs begonnen wurde. Und er hat den Kampf gegen das „Leaken“ geheimer Informationen an Medien ausgeweitet. Eben erst wurde bekannt, dass die Ermittler bei der Untersuchung der so genannten „AP-Affäre“ die Telefonverbindungsdaten von 20 Reportern der Nachrichtenagentur über mehrere Monate abgeschöpft haben, ohne die AP darüber zu informieren. Ziel war, herauszufinden, welcher Staatsangestellte der AP die als geheim eingestuften Informationen gab, wie 2012 ein im Jemen geplanter Anschlag auf ein US-Flugzeug vereitelt wurde. Die Veröffentlichung erschwere die künftige Terrorabwehr, hieß es.

Hinzu kommt eine besondere amerikanische Interpretation der Pflichten eines Politikers, der in ein Amt gelangt. Er soll die Interessen dieses Amtes über seine persönlichen Überzeugungen stellen. Ein eindrückliches Beispiel sind Gegner der Todesstrafe, die zum Gouverneur eines Staates gewählt werden, der die Todesstrafe praktiziert. Sie versprechen in der Regel, im Amt nichts zu unternehmen, um Exekutionen zu verhindern; denn die Todesstrafe sei geltendes Recht in dem Staat ist, den sie nun regieren. Nach dem selben Muster verteidigt Obama, seit er Präsident ist, alle Rechte und Privilegien des Amtes, selbst wenn sie umstritten sind und er die jeweilige Praxis unter seinem Vorgänger Bush kritisiert hatte. Früher nannte er Tötungsbefehle gegen mutmaßliche Terroristen ohne richterliche Kontrolle fragwürdig und ebenso eine ausgedehnte Bespitzelung ohne Aufsichtsinstanz. Seit er Präsident ist, verteidigt er diese Praktiken mit dem Hinweis, das gehöre zu seinen Vollmachten als Oberbefehlshaber.

Schadet diese Haltung Obama politisch in den USA?

Darauf deutet bisher wenig hin. Amerika hat zwar hochaktive Bürgerrechtsbewegungen. Möglicherweise sind sie auch bereit, die Praxis, nachdem sie nun offiziell bestätigt wurde, gerichtlich überprüfen zu lassen. Ihre Empörung über die potenzielle Verletzung des Datenschutzes wird nach allem Anschein aber nur von einer Minderheit der US-Gesellschaft weit links von der Mitte geteilt. Die Mehrheit hält das Ziel der Terrorabwehr für wichtiger. Die meisten Bürger glauben offenbar nicht, dass sie persönlich ausgeforscht werden. Im Zweifel schenken sie den Beteuerungen Glauben, dass nur Ausländer mit bösen Absichten Ziel der Überwachung seien. Obama verärgert mit seiner Haltung zwar einige linke Demokraten, die eine Abkehr von Bush erhofft hatten. Politisch gefährlich für ihn würde aber wohl nur der umgekehrte Vorwurf: Wenn die Republikaner ihn als „weich“ in der Terrorabwehr hinstellen könnten und als einen Mann, der individuelle Datenschutzrechte über das Interesse der USA stellt, ihre Bürger mit allen verfügbaren Mitteln vor Anschlägen zu schützen.

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