- Wo bleiben die Rentenzahler?
Gipfel gibt es immer dann, wenn keine wirklich konkreten Ergebnisse zu erwarten sind: Klimagipfel, Energiegipfel. Am Dienstag gibt es den zweiten Demografiegipfel. Sogar Zwischenergebnisse soll es geben. Trotzdem dämpfen die Beteiligten die Erwartungen. Dabei drängt das Thema
Grob vereinfacht kann man es so beschreiben: In Deutschland leben die Menschen durchschnittlich immer gesünder und immer länger. Gleichzeitig werden aber immer weniger Kinder geboren. Mehr noch: Es sterben mehr Menschen, als neue geboren werden. Und das heißt: Deutschland schrumpft (zumindest ohne Zuwanderung) und wird immer älter. In Zahlen ausgedrückt: 1990 lag der Anteil der über 65-Jährigen noch bei 15 Prozent, 2011 waren es bereits 21 Prozent – so hoch wie in keinem anderen EU-Staat, Tendenz weiter steigend. 2011 wurden 663.000 Kinder geboren, das waren 15.000 weniger als 2010 und der Tiefstand seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Als demografischer Wandel wird das gemeinhin bezeichnet, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Wochenende gefordert, diese Entwicklung nicht immer als Problem, sondern als Chance zu sehen.
Aber egal, ob nun das Glas halb voll oder halb leer ist, die Herausforderungen, die hinter den Zahlen stecken, liegen auf der Hand. Wenn immer mehr Menschen immer älter werden und die Bevölkerungszahl gleichzeitig sinkt, heißt das, dass immer weniger Menschen mit ihren Steuern und Sozialabgaben die Leistungen des Staates, insbesondere für ältere, aber auch jüngere Menschen finanzieren müssen. Das betrifft das Rentensystem, aber auch Wohnungs- und Straßenbau, Bildung oder medizinische Versorgung. Dieses Ungleichgewicht betrifft nahezu jeden Lebensbereich, allerdings, und das kommt als zusätzliche Herausforderung hinzu, nicht jede Region gleichermaßen.
Sieben Bundesländer verzeichneten 2011 eine Bevölkerungszunahme: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein. Im Rest war die Zahl rückläufig. Das Statistische Bundesamt schätzt, dass Deutschland bis 2030 mehr als vier Millionen Einwohner verlieren wird, bis 2050 sollen es sogar rund 14 Millionen sein. Dann dürften weniger als 70 Millionen Menschen in der Bundesrepublik leben.
Neu ist diese Entwicklung nicht. Jedoch ist die politische Lösung nicht einfach, weil die verschiedensten Politikfelder betroffen sind – und auch die verschiedensten föderalen Ebenen. Die Bundesregierung hat es zunächst einmal mit Demografiegipfeln versucht. Davon gab es im vergangenen Herbst den ersten. Neun Arbeitsgruppen mit diversen Unterarbeitsgruppen wurden gebildet. An der Spitze steht jeweils ein Kabinettsmitglied. An diesem Dienstag sollen nun erste Zwischenergebnisse präsentiert werden. Im federführenden Bundesinnenministerium warnt man aber vor allzu hohen Erwartungen.
Beim Deutschen Städte- und Gemeindebund will man sich mit dem Gipfel nicht zufriedengeben. „Der Demografiegipfel ist ein notwendiger Zwischenschritt, aber er liefert keinen Durchbruch für die zahlreichen Herausforderungen“, sagte Vizepräsident Roland Schäfer dem Tagesspiegel. Eine der Fragen laute: Wie geht es mit der Entwicklung im ländlichen Raum weiter? „Dabei geht es auch um den Ausbau der Breitbandverbindungen. Da hat sich zwar etwas getan, aber längst noch nicht genug. Eine ordentliche digitale Infrastruktur ist eine Frage der Daseinsvorsorge, und da steht der Bund in der Pflicht, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen“, forderte Schäfer.
Für die Lösung des Problems, oder wie es Angela Merkel wohl sagen würde, für die Bewältigung der Herausforderung, sind unterschiedliche Ansätze notwendig, und jeder nimmt unterschiedliche Perspektiven ein. FDP-Chef Philipp Rösler forderte am Montag beispielsweise mehr Zuwanderung von Fachkräften, um dem Bevölkerungsschwund entgegenzuwirken. Vor allem nutzt er das Thema, um ein paar Wahlkampfpunkte gegenüber dem eigenen Koalitionspartner zu sammeln. „Der Demografiegipfel der Regierung am Dienstag bietet eine ideale Möglichkeit auch für die Union, ganz konkret zu liefern“, sagte Rösler. Die FDP plädiere weiter für ein System der gesteuerten Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.
Andere wie der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, fordern, deutlich mehr Ältere zu beschäftigen. Die deutsche Wirtschaft könne den demografischen Wandel nur bewältigen, wenn ältere Arbeitnehmer besser und länger ins Berufsleben einbezogen würden, sagte Hüther. Ältere Mitarbeiter hätten oft mehr Erfahrung und Wissen. „Um das zu nutzen, müssen wir sie aber kontinuierlich weiterbilden – über das gesamte Arbeitsleben.“
Und so werden am heutigen Dienstag nicht nur verschiedene Zwischenergebnisse präsentiert, sondern auch unterschiedliche Forderungen, die sich daraus ableiten. Mit diesen kann sich dann die nächste Bundesregierung auseinandersetzen. Auch eine Herausforderung. Oder eine Chance.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.