- „Eigentlich will ich kein Gentleman sein“
Niemand rollt das „R“ so schön wie er: Max Raabe. Der schwanenhalsige Bariton in Frack und Fliege sang sich mit seinen Couplets im Stile der 1920er Jahre bereits in den Olymp der New Yorker Carnegie Hall. Im Interview spricht er über sein verborgenes Talent als Exzentrik-Tänzer und erklärt, warum er Enten nicht arbeitslos machen will
Herr Raabe, Ihr neues Album ist eine einzige Ode an das
schöne Geschlecht und die Liebe. Welche Eigenschaft schätzen Sie an
Frauen besonders?
Mit ihnen ist es, wie mit Männern
eigentlich auch: Ich muss Spaß mit ihnen haben können, Humor muss
vorhanden sein und eine Warmherzigkeit. Die Eigenschaften, die ich
an einem Menschen schätze, sind eher geschlechtsunabhängig. Wenn
ich Frauen in meinem Freundeskreis sehe, die neben ihrer
Berufstätigkeit alleine ihre Kinder erziehen, dann habe ich davor
einen enormen Respekt. Aber ich weiß nicht, ob das nun sehr
weiblich ist. Wahrscheinlich wäre das auch zu einfach.
Was
schätzen Sie überhaupt nicht?
Indiskretion. Ich weiß
genau, dass die Dinge, die man mir erzählt, auch bei mir bleiben.
Auch innerhalb des Freundeskreises würde ich nie etwas
weitererzählen – das soll der- oder diejenige dann selbst machen.
Oder ich frage, ob ich es derjenigen Person abnehmen kann. Alles
hat seine Zeit, auch Geschichten und wann und wie und von wem sie
erzählt werden. Ich bin immer sehr misstrauisch bei Leuten, die mir
von anderen erzählen, weil ich denke, der spricht dann auch über
mich. Ich kenne solche Leute, aber dieses Problem habe ich bei
meinen Freunden nicht. Das ist wahrscheinlich die Voraussetzung, um
sich als Freund zu definieren: diesen Argwohn erst gar nicht haben
zu müssen. [gallery:Martin Scorsese]
Diskretion, die Eigenschaft eines Kavaliers. Es nimmt
nicht Wunder, dass Begriffe wie „Gentleman“ oder „Dandy“ bei Ihnen
schnell zur Hand sind. Ihre Frisur scheint nie zu verrutschen, Ihre
Anzüge sitzen immer perfekt und auch Ihre Umgangsformen sind
tadellos. Empfinden Sie sich als Gentleman?
So wie ich
rumlaufe, darf ich mich dagegen nicht sträuben. Ich meine, ich
sitze hier, habe mich herausgeputzt wie einer, aber eigentlich will
ich das gar nicht sein, ein Gentleman. Ich käme nicht auf solche
Begriffe für mich und meine Freunde wohl auch nicht. Die würden
vielmehr sagen, ich sei umsichtig oder zuvorkommend – das wäre
schon toll, wenn man mich so beschriebe. Mein Vater und meine
Onkels liefen immer mit Weste, Krawatte und Uhrkette herum. Sie
hatten Frisuren wie ich und saßen sonntags am Tisch und redeten
über Ackerbau und Viehzucht. Da scheint was hängen geblieben zu
sein.
Auf jeden Fall scheinen Sie etwas aus der Zeit gefallen.
Doch bei dem Wörtchen „retro“ stellen sich Ihnen die Nackenhaare
auf. Jemand hat Sie einmal als „analog“ beschrieben. Kommen wir
damit der Figur Max Raabe vielleicht etwas näher?
Jemand hat einmal gesagt: „Wenn einer digital ist, dann bist du
analog.“ Das hat mir gefallen. Es passt einfach. Ich weiß auch gar
nicht, ob sich das richtig erklären lässt. Vielleicht an dem Foto,
das wir für das Album gemacht haben: Ich im Smoking mit einer Ente
im Wasser. Ich bin tatsächlich im Wasser, im Smoking, ohne
Neoprenanzug – im Gegensatz zum restlichen Orchester. Und die Ente,
die da rumschwimmt, ist ebenfalls original besetzt. Andere würde da
vielleicht mit Photoshop nachhelfen – das würde ich niemals
zulassen. Einfach auch um Enten nicht arbeitslos zu machen.
Sehr umsichtig. Lassen Sie uns über die Liebe reden: Sie
singen von ihr mit Hingabe, dabei schwingt aber immer etwas
Melancholie mit. Das Konstrukt Liebe erscheint damit sehr fragil
und diesem Umstand begegnen Sie dann meist mit Humor. Was ist
komisch an der Liebe?
Bei der Melancholie haben Sie
Recht. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich bei vielen Dingen
das Gefühl habe, es könnte bald vorbei sein, mit meiner Gesundheit,
meiner Karriere, meinem schönen Leben. Bei der Freundschaft oder
der Liebe ging es mir komischerweise nie so. Ich habe das gute
Gefühl, dass es bei allen Menschen, die ich liebe oder je geliebt
habe, für die Ewigkeit ist und ich bin mir sicher, dass ich keinen
meiner Freunde, die ich jetzt habe, verlieren werde. Das wird mir
nicht gelingen.
Ist es also leichter der Liebe mit Humor zu begegnen,
wenn man keine Angst um sie haben muss? Oder besteht hier die
Gefahr, zynisch zu werden?
... fatalistisch
vielleicht. Zynismus ist für meine Begriffe zu verbittert, zu
traurig. Ich bin nie zynisch, das finde ich zu destruktiv. Ein
bisschen schwarzer Humor kann allerdings Spaß machen. Ironie
sowieso.
Nächste Seite: „Als Exzentrik-Tänzer bin ich unschlagbar, würde aber nie wollen, dass das jemand sieht.“
Ironisch begegnen Sie auch Ihren Talenten. Sie singen
beispielsweise darüber, dass Sie nur gut sind, „wenn keiner guckt“.
Stimmt das? Oder sind Sie vielleicht sogar noch
besser?
(lacht) Also. Ich bin ziemlich gut,
wenn einer guckt. Aber es gibt Qualitäten, die tatsächlich nur im
Verborgenen funktionieren.
Klären Sie mich auf!
Ich kann ziemlich wild
tanzen. Wenn jemand guckt, tanze ich ganz gut, ich kann gut führen.
Aber als Exzentrik-Tänzer bin ich unschlagbar, würde aber nie
wollen, dass das jemand sieht. Selbst wenn jemand mitbekäme, wie
fantastisch das ist. Das ist etwas, dass ich nur mit mir alleine
austragen kann.
Weil Sie die Welt an diesem fantastischen Gebaren nicht
Teil haben lassen wollen oder weil Sie sich dann doch irgendwo
schämen?
Ich möchte nicht, dass andere miterleben, wie
meine Frisur verrutscht.
Also doch, die Eitelkeit... Mir ist auch zu Ohren
gekommen, dass Sie beim Fahrradfahren keinen Helm tragen. Aus
demselben Grund?
Da stimmt in der Tat. Beim
Spazierengehen übrigens auch nicht. Mit dem Rückenwind hat man es
da nicht leicht. Deshalb versuche ich immer schneller zu sein, als
der Wind, der von hinten kommt.
Klappt das?
Manchmal.
Sie pflegen in Ihrer Nische eine Nostalgie für die
Weimarer Zeit. Die Unterhaltungsmusik von damals war selten bis nie
politisch, weil sie beim Publikum die Probleme des Alltags samt
Wirtschaftskrise und Endzeitstimmung für einen Moment vergessen
machen sollten. Bei Ihnen ist es ähnlich. Ein Eskapismus, den wir
heute immer noch brauchen?
Wenn ich mir ein Programm
ausdenke, will ich, dass die Leute für die Dauer des Konzertes
ihren Spaß haben, egal ob sie sich mit der Musik auskennen oder
nicht. Die Stücke der 1920er und 1930er Jahre sind ebenfalls nur
geschrieben worden, um die Menschen zu unterhalten. Es gab kaum
politische Lieder. Kurt Weill hat natürlich seine Aussagen
getroffen, aber das war etwas anderes. Wenn ich gefragt werde,
lasse ich keine Gelegenheit aus, zu erzählen, woher die Musik
stammt und was es mit ihr auf sich hat. Aber am Abend möchte ich
die Komponisten nicht zu Opfern machen, sondern ihre Lieder
strahlen lassen. Das ist meine Aufgabe.
Das gelingt Ihnen unter anderem mit Ihrer sehr markanten
Stimme. Sind sie ein Imitator des Stils der 1920er Jahre oder ist
das einfach so bei Ihnen?
Bei den ersten Platten habe
ich versucht, diesen Stil zu imitieren. Ich habe auch das „R“ noch
sehr stark gerollt. Beim Anhören ist mir dann erst klar geworden,
dass ich etwas nachahme und ich wollte einfacher, schlichter
singen, fast instrumental. Ich bemühe mich nicht darum, eine
Färbung zu gestalten, die an die 1920er Jahre erinnert. Viel mehr
möchte ich, dass die Stücke und ihre Qualität unabhängig davon
funktionieren, welche Zeit sie darstellen. Wenn man Mozart singt –
und natürlich singt man Mozart anders als Wagner – würde niemand
auf die Idee kommen zu sagen, der Sänger imitiere den Barock oder
das Rokoko. Mir geht es um die Lieder und ihre Haltung, vielleicht
wirkt das manchmal skurril.
Vor allem wirkt es sehr unaufgeregt. Die Welt von Max
Raabe erscheint um einiges langsamer als draußen in der gehetzten
Wirklichkeit. Auf dem Album gibt es sogar so etwas wie eine „Ode an
die Langsamkeit“. Sind Sie ein Meister der
Entschleunigung?
Irgendwie schon. Das trifft es sogar
sehr gut. Ich bin eigentlich immer ziemlich entspannt, werde aber
schnell krötig, wenn man versucht, mich zu hetzen.
Brauchen wir vielleicht genau das: eine neue
Langsamkeit?
Man muss sie sich zumindest immer wieder
holen. Manchmal müssen Dinge schnell gehen, beispielsweise im
Supermarkt. Da flaniere ich ja auch nicht durch die Käsetheke,
sondern suche einfach schnell mein Zeug zusammen. Zack, zack. Wenn
ich dann aber wieder zuhause bin, setze ich die Hektik nicht weiter
fort. Ich schätze die Ruhe und bewahre sie auch. Sagen wir so:
Alles hat seine Zeit und ich nehme mir sehr viel Zeit auch diese
Zeit noch zu entschleunigen.
Herr Raabe, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
Im Januar erscheint sein neues Album „Für Frauen ist das kein Problem“
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