- Merkel droht Gefahr von allen Seiten
Die meisten Deutschen glauben, Angela Merkel habe die Bundestagswahl im September schon gewonnen. Dabei droht Gefahr, die Einschläge kommen näher
Sind es vier - oder doch fünf? Man kann den Überblick darüber verlieren, wie viele neue Bücher über Angela Merkel dieser Tage auf den Markt geworfen werden. Immer noch eins und noch eins und noch eins. Dabei gibt es über die Kanzlerin schon sieben oder acht Biografien.
Merkel, Merkel über alles oder auch die Kanzlerin als „Über-Merkel“, wie Günther Jauchs Talkshow-Redaktion jüngst dichtete? Tatsache ist: Der Buchmarkt ist eine politische Börse, an der Hoffnungen gehandelt werden. Über Peer Steinbrück ist schon lange kein Buch mehr erschienen. Der wird kein Bestseller mehr.
Ist der CDU-Chefin ihr Hattrick nicht mehr zu nehmen? Steht jetzt schon fest, dass sie aus der Bundestagswahl am 22. September zum dritten Mal als Bundeskanzlerin hervorgehen wird? Ist alles schon gelaufen?
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Bei nüchterner Betrachtung ist festzustellen: Es wird ungemütlicher für die Amtsinhaberin. Ein paar Dinge laufen gegen sie. Erhebliche Dinge.
Da ist zuallererst die neu gegründete Partei „Alternative für Deutschland“. Zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten tritt eine politische Kraft auf den Plan, die als Abspaltung der Union betrachtet werden muss. Ihr Personal rekrutiert sich in erster Linie aus enttäuschten und verprellten CDU-Mitgliedern, ihre Anhänger kommen vor allem aus dem bürgerlichen, aus dem schwarz-gelben Lager.
Man muss die Ziele dieser Anti-Euro(pa)-Partei wahrlich nicht teilen, aber man sollte ihr Potenzial nicht unterschätzen. Es hat sich etwas zusammengebraut an Widerstand, Unzufriedenheit und Wut gegen Merkels „alternativlose“ Euro-Rettung um jeden Preis. Bislang hatte die Kanzlerin in der politischen Arena ein leichtes Spiel. Zwar moserten Rot und Grün immer ein bisschen rum an Merkels Politik, aber am Ende trugen die beiden Oppositionsparteien in jeder Abstimmung im Bundestag die große Linie und alle milliardenschweren Rettungspakete mit. Merkels sedierender Politikstil wird nun von der AfD durchkreuzt. Es gibt in der zentralen politischen Frage Europa erstmals seit langem eine Opposition. Für Merkel heißt das: Schlafwagenwahlkampf war gestern.
Es wäre ein Fehler, diesen Zusammenschluss dieser zumeist älteren Herren der AfD als die Piratenpartei der Grauhaarigen anzusehen, ihnen eine ähnlich kurze Halbwertszeit beizumessen und sie als vorübergehendes Phänomen zu begreifen. Bei der AfD sind Leute tätig, die politische Erfahrung haben, zum Teil sogar in hohen politischen Ämtern, wie zum Beispiel Alexander Gauland. Da darf man durchaus von einer gewissen Professionalität ausgehen, auch wenn die Partei im Moment natürlich auch Spinner anlockt wie das Licht die Motten. Aber eben nicht nur.
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In die Zeit der AfD-Gründung fällt eine Erhebung der Europäischen Zentralbank, die zwar in der Hyperventilation des Nachrichtenbetriebs schnell wieder von anderen Neuigkeiten überlagert wurde. Aber die Umfrage der EZB hatte es in sich. „Deutsche sind die Ärmsten im Euroraum“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung - nachdem die EZB eine Umfrage veröffentlicht hatte, wonach das sogenannte Medianvermögen der privaten Haushalte in Schlusslicht-Deutschland bei 51.400 Euro liegt, das der Zyprer aber bei 266.900 Euro, was für einen stolzen zweiten Platz gleich hinter Luxemburg reicht. Dem Spiegel zufolge, der dem Thema einen Titel („Die Armutslüge“) widmete, rätselte Merkels Kabinett gemeinsam über diese Zahlen, so wie das Magazin in seiner Ausgabe auch: Während im Titelstück die angebliche Konsumfreude der Deutschen als Grund herhalten musste, schrieb Gastautor Gabor Steingart in der gleichen Ausgabe, dass die Deutschen ihr Geld so zusammenhalten wie keine andere Nation - was der Wahrheit wohl näher kommt.
Die Kanzlerin selbst fabulierte zur Erklärung in einem Interview drauf los, in der Vermögensstatistik der EZB seien die hohen Rentenansprüche der Deutschen nicht enthalten, und auch nicht das Vermögen und die Immobilien, die die Deutschen im Ausland hätten. Abgesehen davon, dass diese Aussage im Lichte der Hoeneß-Affäre realsatirische Züge bekam: Sie stimmte einfach nicht, wie abermals die FAZ der Kanzlerin in einem strengen Kommentar vorhielt. „Der Versuch der Bundeskanzlerin, die Deutschen reicher zu rechnen, als sie nach einer Untersuchung der EZB sind, fällt Angela Merkel auf die Füße“, urteilte Herausgeber Holger Steltzner.
Solange also die EZB-Zahlen nicht falsifiziert werden wie jüngst jene in der Schuldenstatistik des Star-Ökonomen Ken Rogoff, sind die für Merkel brandgefährlich: Denn sie können einen ganz neuen Volkszorn entzünden: Wir blechen und bürgen für die Pleiteländer, obwohl deren Einwohner heimlich mehr auf der hohen Kante haben als unsereins. Man muss kein Demagoge sein, um daraus wahlkampfpolitisches Kapital zu schlagen.
Der Trick 17 mit Selbstüberlistung beim Thema Frauenquote sei nur der Vollständigkeit halber aufgeführt. Das ist Merkel, um es in der vornehmen Diktion eines FAZ-Herausgebers zu sagen, am Ende voll auf die Füße gefallen. Auch die CSU tut gerade alles um das Image von der Amigo-Partei neu zu beleben. Aus der Gehälteraffäre um den Fraktionsvorsitzenden Georg Schmid und die Steueraffäre um den Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß könnte sich im Wahlkampf eine gefährliche Mischung zusammenbrauen. Dabei braucht Merkel eine starkes Wahlergebnis der CSU, um die strukturelle Schwäche der Union im Norden und Osten auszugleichen.
Apropros Uli Hoeneß. Der Bayern-Präsident ist derzeit der einzige echte Wahlkämpfer der SPD. Denn er hat offen eingeräumt, dass das Nein von Rot-Grün im Bundesrat zum Steuerabkommen der Regierung mit der Schweiz ihn dazu veranlasst hat, sich den Steuerbehörden zu stellen. Damit haben auch all jene, die sich mit den Feinheiten nicht auseinandergesetzt haben, verstanden: Dieses Nein war richtig, und Schäubles Pläne eine faktische Amnestie von Steuerkriminellen.
Dieser Ball ist den Sozialdemokraten nun also vor die Füße gerollt, aber sie haben ihn instinktsicher in den Himmel gedroschen wie Hoeneß seinen traumatischen Strafstoß 1976 im Finale der Europameisterschaft gegen die Tschechoslowakei.
Auf ihre SPD kann sich die Kanzlerin eben auch in schlechten Zeiten verlassen.
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