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Dirk Brunecki

Bibliotheksporträt - Milbergs Bücherberge

Judith und Axel Milberg, die Designerin und der Schauspieler, leben in einer Welt der Abertausend Bücher. Ihr Münchner Haus wurde so zum Quellort der Erinnerung – und der Einsichten

Autoreninfo

Eva Gesine Baur ist Kulturhistorikerin. In diesen Tagen ist ihre Biografie „Chopin oder die Sehnsucht“ (C.H.Beck-Verlag) erschienen.

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„Jetzt siehst Du aus wie eine Frau, die nicht liest“, sagt Axel Milberg, als sich seine Frau für den Fotografen auf den Tisch vor den Regalen im Esszimmer setzt. So hören sich im Hause Milberg Komplimente an. Nach 20 Jahren sind die Dialoge zwischen Judith Milberg, Kunsthistorikerin, Designerin, Moderatorin, und Axel Milberg, dem Schauspieler, noch immer ein Florettfechten.

„In unserem Haus fühle ich mich wie in der Sommerfrische“, sagt Axel Milberg über das Nymphenburger Eigenheim. Bonbonbunte Muranolüster erzählen von der Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Südens, Muscheln und Holzspielsachen von Kindheiten an Ostsee und Ammersee, zu Objekten erhöhte Fundstücke von Exkursionen ins Wunderland des Sperrmülls oder in den Speicher eines Elternhauses, Souvenirs von Kreuzfahrten und Irrfahrten, schellackpolierte Biedermeiermöbel von der Lust an Traditionen.

Was in der Sommerfrische betrieben wird, verraten Abertausende von Büchern auf jeder der drei Etagen. „Überall, wo Wände sind“, lächelt Judith Milberg. Das einzige Ordnungssystem, das beide kennen, sind die Regale, zusammengesetzt aus den immer gleichen Grundelementen. 72 mal 72 Zentimeter, von einem Mathematiker-Freund entwickelt. Das einzige Problem, das beide damit haben: Es sind immer zu wenige.

„Vielleicht steht in diesem Regal zu viel drin“, spricht Axel Milberg zur Bücherwand und zieht einen Bildband über den Schweden Carl Larsson heraus. „Judith arbeitet sich wie eine Blattschneideameise in atemberaubender Geschwindigkeit durch 900 Seiten. Und sie weiß hinterdrein genau, was drinsteht. Nur den Titel kennt sie nicht. Das ist, wie wenn einer im Restaurant etwas isst und nicht sagen kann, wie das heißt …“

„… aber genau herausschmeckt, was alles drin ist“, ergänzt sie. Er hingegen isst – um im Bild zu bleiben – den Teller nicht auf, wenn es ihm nicht mundet, oft nimmt er nur eine Gabel. Viele Bücher nämlich legt er angelesen zur Seite, fette nimmt er sich gar nicht erst vor. „Wälzer finde ich abschreckend.“ Sie kontert: „Wälzer finde ich beruhigend. Je dicker, desto lieber.“

Die Frau des Kieler „Tatort“-Kommissars Borowski hasst übrigens Krimis, „die machen mich fertig. Beim Lesen ist es noch schlimmer als beim Fernschauen, weil die Bilder, die man lesend entwirft, entschieden grausamer sind.“ Vielleicht sei sie deshalb Kunsthistorikerin geworden. „Ich liebe die gemalten Bilder.“ An Filminhalte hingegen könne sie sich schlecht erinnern. Schuld daran sei wohl ihr Woher. „Wir stammen beide aus analogen Welten, wo die Synapsen nicht für Film trainiert wurden. Wir sind aufgewachsen ohne Fernseher.“ Sie als Tochter einer Ägyptologin und eines Geologen, er als Sohn einer Ärztin und eines Rechtsanwalts, in Häusern, wo sogar das Sprechblasendeutsch der Comics verpönt war. Übernommen haben sie von dort den Kult des Vorlesens, keineswegs eine nur beschauliche Übung – und anstrengend obendrein. Nicht nur vor großem Publikum, wo Axel Milberg nach zweieinhalb Stunden, während Tolstois Iwan Iljitsch starb, schweißgebadet ist, auch nach einer Sofa-Lesung der Lindgren-Klassiker. „Man muss lesend dauernd korrigieren“, stöhnt Judith Milberg. „Nicht nur ‚Negerkönig‘ in ‚Südseekönig‘.“

Ihre, seine, meine, unsere Kinder: So heißt das Prinzip, nach dem die Familie Milberg gebaut ist. Die Bibliothek funktioniert ähnlich. Die Mischung macht’s unübersichtlich, aber reicher. Der Umgang ist in beiden Fällen emotional, doch nicht sentimental.

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Bevor es Zores um ein Buch wie Florian Illies’ „1913“ gibt, kaufen sie es eben drei Mal. Aber wenn ihnen jemand Lebenshilfe-Bücher schenkt, wo nach Axel Milbergs Ansicht „der Titel schon alles sagt, was auf den folgenden 281 Seiten gesülzt wird“, dann landen die in jener Ecke, wo sich die Söhne Mitbringsel holen, bevor sie auf die nächste Party ziehen. Während der Dreharbeiten liest Axel Milberg an drehfreien Tagen im Hotelzimmer, am liebsten am Tisch sitzend, einen gespitzten Bleistift mit Radiergummikuppe in der Hand. Meistens das, was für ein Hörbuch oder im Saal vorgelesen wird. „Ich markiere so wenig wie möglich und in meiner eigenen Zeichensprache.“ Da bedeutet ein Kreis, dem ein Kreuz eingeschrieben ist, Zoom. „Oft beginnen die Abschnitte mit einer Totalen.“

Nur in Büchern, weiß Axel Milberg, begegne man sich selbst, seiner Vergangenheit oder aber Menschen, die man kannte. „Ich erinnere mich bei jedem Buch haarscharf daran, wo ich es gekauft und was ich dabei empfunden habe.“ Und sie erläutert, einen einzigen Orhan Pamuk wieder aufzuschlagen, bedeute, wie Alice ins Wunderland abzustürzen in alle türkischen Lebens- und Liebeswelten, die Pamuk ihr je erschloss. Die Demarkationslinie zwischen Kindheit und Pubertät kennzeichnet bei ihr der Übergang von Michael Endes „Momo“ zu Hesses „Glasperlenspiel“, bei ihm der vom „Schatz im Silbersee“ zu Kafkas „Prozess“. Er zeigt mir, wo er mit Bleistift „Weihnachten 1965“ in einen maritimen Abenteuerroman eingetragen hat, den ihm jener Patenonkel aus dem Hamburger Rothenbaum schenkte, der dort mit seinem Partner lebte, mit mondänem Sportwagen vorfuhr und immer so köstlich roch.

Im Hause Milberg gibt es auch Bücher, die keine sind. Ein verblichener, verfleckter Stapel Fotokopien von Coline Serreaus Theaterkomödie „Hase Hase“, Premiere in den Münchner Kammerspielen an Silvester 1992. Mit Axel Milberg in der Hauptrolle, war es zugleich die Premiere der Liebesgeschichte von Judith und Axel. Bücher, die Axel Milberg liest, sähen niemals so derangiert aus. Selbst bei Drehbüchern hält er sich neben dem Arbeitsexemplar, aus dem er Seiten herausreißt und Stellen markiert, ein jungfräuliches zweites. „Um immer wieder den frischen Blick auf das unverstellte Ganze zu haben.“

Judith Milbergs Büchern jedoch ist anzusehen, dass sie gelesen wurden. Ein Kaffeefleck stört sie nicht. „Nur dass ich Eselsohren mache, ist mir peinlich“, erklärt sie zerknirscht. Axel Milberg geht schweren Schrittes zur Wand, wuchtet aus dem Parterre des Regals einen Folianten, fünf Kilo schwer: Walton Fords Tierbilder. Beide sind sie vernarrt in diese altmeisterlichen, großformatigen Tuschen, die Abgründe aufreißen, in die der Maler den Betrachter wirft. Die lieben Tiere verhalten sich zueinander mörderisch. „Wie Menschen“, freut sich Judith. „Das studieren wir gemeinsam.“

Wie aber? „Wir verteilen das Buch auf unseren Schößen. Deshalb arbeiten wir an deren Verbreiterung“, erklärt er und streicht mit der Hand über die weißen Affen Walton Fords. Ein teures Buch. Kostbar sind ihnen andere: gewidmete. Weil Widmungen Bilder heraufbeschwören. Bei der von David Grossman in dem Roman „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ ist es die Erinnerung an Axel Milbergs Lesung in Gegenwart des israelischen Autors, der kein Wort Deutsch versteht. Und als er las, „da drehte Grossman sich zu ihm, schaute ihn groß an und hörte zu. Weil er irgendwie jedes Wort verstand“, sagt Judith Milberg heute.

Beide haben sie gerade Pablo Nerudas Erinnerungen gelesen. Deren Titel sei ein gutes Motto auch für ihre Bibliothek: „Ich bekenne, ich habe gelebt.“ Ob mit, ob ohne Eselsohren.

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