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NSU-Prozess - Das Unfassbare fassen

Zehn Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle – am Mittwoch beginnt in München der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe NSU. Welche Dimension hat der Prozess?

Autoreninfo

Frank Jansen ist Journalist beim Berliner Tagesspiegel. Er schreibt über Rechtsextremismus sowie andere radikale Gruppierungen

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Nur selten dürfte ein Prozess so viel Aufmerksamkeit im In- und Ausland auf sich gezogen haben wie die am Mittwoch beginnende Hauptverhandlung am Oberlandesgericht München. Beate Zschäpe und vier Mitangeklagten wird vorgeworfen, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß, an einer beispiellosen Serie rechtsextremer Terrorangriffe beteiligt gewesen zu sein. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) hat zehn Menschen ermordet, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt.

„Die NSU-Morde sind unser 11. September“, hat Generalbundesanwalt Harald Range gesagt.

Entsprechend aufwendig sind die Ermittlungen, die auch während des Prozesses fortgesetzt werden. Bislang waren bis zu 400 Beamte von BKA und weiteren Polizeibehörden eingesetzt. Zusammen mit der Bundesanwaltschaft wurden mehr als 6800 Asservate ausgewertet. Die Verfahrensakten umfassen 280 000 Seiten.

Das OLG hat den für die Hauptverhandlung vorgesehenen Saal A 101 für 1,25 Millionen Euro umbauen lassen. Den Prozess führen wird der 6. Strafsenat. Er steht in der Kritik, weil bei der Vergabe von Sitzen für die Medien türkische Journalisten keine festen Plätze bekamen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun dem Strafsenat aufgegeben, mindestens drei Sitze für ausländische Medien zu reservieren, deren Landsleute unter den vom NSU Getöteten oder Verletzten sind. Die Richter können auch die Akkreditierung wiederholen, dann müsste der Prozess verschoben werden. Die Entscheidung des Strafsenats steht noch aus.

Das Gericht

Manfred Götzl gilt als humorfrei. Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats faucht Verteidiger an, wenn ihm Äußerungen unpassend erscheinen, und er scheut sich nicht, Journalisten zu brüskieren. Götzl hat den Konflikt mit den Medien um die Platzvergabe zu verantworten. Der 59-Jährige will die Hauptverhandlung im  Eiltempo durchziehen. Für manche Zeugen ist weniger als eine Stunde Fragezeit vorgesehen. Wie das funktionieren soll, angesichts von fünf Angeklagten mit elf Verteidigern, vier Vertretern der Bundesanwaltschaft und 77 Nebenklägern mit 53 Anwälten, bleibt Götzls Geheimnis.

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Der Strafsenat hat 85 Verhandlungstage terminiert. Letzter Tag soll der 16. Januar 2014 sein. Der Präsident des OLG, Karl Huber, indes prophezeite, der Prozess werde mehr als zwei Jahre dauern. Dann geriete Götzls Zeitplan zur Ladung von Zeugen völlig durcheinander. Und damit die thematische Struktur des Prozesses. Zunächst geht es laut Plan um die Morde  an den neun Migranten, dann um die Tötung der Polizistin Michèle Kiesewetter. Es folgen die Verhandlungen zu den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln und den 15 Raubüberfällen des NSU.

Der seit 2010 den 6. Strafsenat führende Götzl hat allerdings demonstriert, dass er Prozesse forsch zu führen weiß. Vor zwei Jahren kanzelte er im Verfahren gegen acht Anhänger der „Globalen Islamischen Medienfront“ Verteidiger ab. Anwältin Anja Sturm fragte er, ob ihre Anträge als „Beschäftigungstherapie für den Senat“ gedacht seien. Die Juristin sitzt Götzl nun als Verteidigerin von Zschäpe gegenüber. Im Vorfeld des Prozesses beklagten sich Zschäpes Verteidiger bereits darüber, dass sie vor jedem Gerichtstag körperlich durchsucht werden sollen, während Richter oder Justizbeamte von dieser Regelung ausgenommen sind.

Die Anklage

Der Schriftsatz, den Generalbundesanwalt Harald Range im November 2012 präsentiert hat, ist die härteste Anklage, die in der Geschichte der Bundesrepublik gegen Neonazis erhoben wurde. In den knapp 500 Seiten wird die Blutspur des NSU nachgezeichnet. Jedes Delikt ist akribisch beschrieben. Vom Abtauchen der drei Thüringer Neonazis im Januar 1998 bis zum November 2011, als Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach Uwe Böhnhardt erschoss und sich selbst, als Zschäpe das Haus in Zwickau anzündete und sich vier Tage später in Jena stellte. Dennoch bleiben Fragen offen.

Trotz der aufwendigen Ermittlungen ist bis heute unklar, wie die Terrorzelle sich ihre Opfer aussuchte. Was brachte Mundlos und Böhnhardt dazu, in Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund, Kassel und Heilbronn neun Migranten sowie eine Polizistin zu erschießen? Der Hass auf Migranten und Staat sind „nur“ das ideologische Motiv. Für die konkrete Auswahl der Opfer bietet die Anklage keine Erklärung.

Das gilt auch für den Zeitplan des NSU. Der erste Mord wurde im September 2000 in Nürnberg verübt, der nächste im Juni 2001 in derselben Stadt – dann töteten Mundlos und Böhnhardt innerhalb von zwei Wochen wieder, einen Monat später erneut. Anschließend vergingen dreieinhalb Jahre, im Februar 2004 mordete die Terrorzelle wieder. Ob es ein zeitliches Schema gab, ist der Anklage nicht zu entnehmen. Rätselhaft bleibt auch, warum Mundlos und Böhnhardt nach dem letzten Mord, den Schüssen auf die Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007, ihren tödlichen Feldzug stoppten.

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Die Ankläger

Für die Bundesanwaltschaft werden im Prozess vermutlich vier Juristen auftreten. Die Bundesanwälte Herbert Diemer und Jochen Weingarten sowie Oberstaatsanwältin Anette Greger haben federführend die Ermittlungen im NSU-Verfahren betrieben; in München wird ein weiterer Staatsanwalt die Ankläger verstärken. Zeitweilig waren bei den Ermittlungen sogar zehn Staatsanwälte eingebunden. Diemer, Weingarten und Greger haben schon vor vier Jahren die Anklage in einem Prozess gegen politisch motivierte Gewalttäter vertreten. In Berlin mussten sich drei Mitglieder der linksradikalen „Militanten Gruppe (MG)“ vor dem Kammergericht wegen eines versuchten Brandanschlags verantworten. Die Täter wurden zu Strafen zwischen drei und dreieinhalb Jahren verurteilt.

Mit einem islamistischen Attentäter hatten es Diemer und Weingarten in einem Prozess am OLG Frankfurt/Main zu tun. Dort war der Kosovare Arid Uka angeklagt, der 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschossen hatte. Weingarten forderte eine besonders hohe Strafe – lebenslange Haft und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Richter urteilten 2012 auch so. Uka muss weit länger als die bei „lebenslänglich“ üblichen 15 Jahre einsitzen. Das droht auch Zschäpe, sollte das OLG München sie für alle angeklagten Taten verurteilen.

Die Angeklagten sind nicht nur mit der Bundesanwaltschaft konfrontiert. Im Prozess treten 77 Nebenkläger auf, sie werden von 53 Anwälten vertreten. Bis Ende vergangener Woche wollten noch weitere Personen als Nebenkläger eingetragen werden, ebenso wie zusätzliche Anwälte. Die Nebenkläger sind Angehörige der Ermordeten und Opfer, die Angriffe des NSU überlebt haben. Mehr als 20 wurden bei dem Nagelbombenanschlag verletzt, den Mundlos und Böhnhardt im Juni 2004 in Köln verübten.

Der Anwalt Peer Stolle, der einen Sohn des in Dortmund erschossenen Mehmet Kubasik vertritt, nennt die Erwartungen an den Prozess: „Wir wollen wissen, wer außer dem Trio an den Taten beteiligt war, wer den NSU unterstützt hat und was die Behörden über die Verbrechen wussten. Und warum der NSU Mehmet Kubasik als Opfer ausgewählt hat.“

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