Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass ein Mann ohne historische Interessen, ohne politische Visionen und ohne gesellschaftlichen Gestaltungswillen als Reformkanzler in die Geschichte eingehen könnte. Der Pragmatiker, dem der Weg das Ziel und der Machterhalt einziger Maßstab des Erfolges ist, baut die deutsche Gesellschaft um, allerdings nach Bauplänen, die weder von ihm noch von seiner Partei stammen. "Agent des Gegenwärtigen" hat Richard Meng deshalb den Kanzler genannt und es ist noch nicht ausgemacht, ob dies am Ende Stärke oder Schwäche ist. Gerhard Schröder ist der erste Kanzler, der sich zur Vergangenheit nicht mehr verhält und den sie auch nicht interessiert. Alle Kanzler vor ihm waren gezeichnet vom Erleben einer anderen Zeit, ob im Widerstand, als Soldat oder Flakhelfer, und sie waren geprägt von den gesellschaftlichen Schichtungen Weimars und des Kaiserreichs. Gerhard Schröder ist der erste Kanzler ohne historische Erinnerung und ohne ein Zugehörigkeitsgefühl zu Stand, Schicht oder Klasse, ein Mann ohne Eigenschaften.