- Der Text, der die Cicero-Affäre auslöste
Cicero Klassiker: Zum zehnjährigen Jubiläum präsentieren wir Ihnen zehn großartige und zeitlose Texte aus zehn Jahren Cicero.
In der April-Ausgabe 2005 berichtete Bruno Schirra erstmals über Verbindungen des Top-Terroristen al Zarqawi zum Iran und dessen Pläne für ein Chemie-Attentat. Er belegt durch vertrauliche Dokumente. Nach Erscheinen des Textes, im September 2005, wurden das Haus des Autors und die Redaktionsräume des Magazins Cicero durchsucht. Die sogenannte Cicero-Affäre erregte bundesweit Aufsehen. Später erklärte das Bundesverfassungsgericht die Cicero-Razzia in einem Grundsatzurteil für verfassungswidrig
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Wer ist Ahmad Fadil Nazal al Khalayleh? „Der gefährlichste Terrorist der Welt!“ Sagen die freundlichen Herren vom General Intelligence Department (GID) in Amman. Sie müssen das wissen. Hat Ahmad Fadil Nazal al Khalayleh doch immerhin vor geraumer Zeit versucht, ihre Amtsstuben in die Luft zu jagen. Als der jordanische Geheimdienst GID in der Nacht des 31. März vergangenen Jahres an der syrisch-jordanischen Grenze einen LKW stoppt, finden sie Sprengstoff in der Ladung. Fahrer und Beifahrer werden einer peinlichen Befragung – vulgo Folter – unterzogen. Was sie preisgeben, versetzt die Verhörer des GID in helle Aufregung. Die US-amerikanische Botschaft, das Büro des Premierministers, das Wohnhaus des Direktors des GID sowie das Hauptquartier des jordanischen Geheimdienstes sollen in einer konzertierten Aktion mittels 20 Tonnen Sprengstoff in die Luft gejagt werden.
Was die Ermittler paralysiert, ist die Auskunft, die sie während der Verhöre erhalten: Eine zweite Explosionsserie soll hochgiftige chemische Kampfstoffe freisetzen. Ist das der von allen Sicherheitsdiensten so gefürchtete Chemiewaffenanschlag, den alle erwarten? Bei ihrer Fahndung stoßen die Jordanier dann auf Muwaffaq Ali Ahmed Odwan und Azmi Abdel Fatah Hajj Youssef Jaiousi. Nach Telefonüberwachung und Observation schlagen die Ermittler zu. Odwan wird getötet, Jaiousi festgenommen. Beide sind ausgewiesene Sprengstoffspezialisten. Beide wurden von Ahmad Fadil Nazal al Khalayleh beauftragt, einen chemischen Megaanschlag durchzuführen. Mindestens 80.000 Menschen, so die Erkenntnisse der jordanischen Behörden, hätten bei diesem Terroranschlag getötet werden können.
Wäre der Anschlag geglückt, „hätte dies den gesamten Nahen und Mittleren Osten zur Explosion gebracht“, sagen heute jordanische GID-Beamte, „denn ohne staatliche Unterstützung aus Syrien und dem Iran wäre die Karriere von al Khalayleh niemals bis zu diesem Punkt gelangt.“ Wer ist Ahmad Fadil Nazal al Khalayleh? Zunächst nur ein Mann mit vielen Namen und noch mehr Pässen. Einer ist auf den Namen Jan Ellie Louise ausgestellt. Den britischen Pass nutzte al Khalayleh in der Vergangenheit ebenso wie echte iranische Pässe unter dem Namen Ibrahim Kassimi Ridah und Abdal Rahman Hassan al-Tahihi. Nur für einen weiteren Namen al Khalaylehs existiert kein gültiger Pass. Den Namen, unter dem er weltweit einzigartige Berühmtheit erlangt hat. Als fliegender Holländer des islamistischen Blutterrors ist al Khalayleh binnen kürzester Frist unter dem Namen Abu Mousab al Zarqawi aus dem Schatten Osama bin Ladens herausgetreten.
Wie sehr Zarqawi aus dem Schatten bin Ladens getreten ist, belegen umfangreiche Akten und Dossiers westlicher wie nahöstlicher Geheimdienste ebenso wie Informationen und Dokumente deutscher Sicherheitsbehörden. Sie dokumentieren nicht nur den Werdegang des Kopfjägers Zarqawi, sie zeigen vielmehr, dass seine Karriere im Namen Allahs nur stattfinden konnte, weil Gottes Killer über Jahre hinweg logistische Unterstützung, Geld und Waffen von staatlichen Organisationen verschiedener nahöstlicher Staaten erhalten hat. Ganz oben auf der Liste der Förderer Zarqawis: die Islamische Republik Iran und die Hardliner aus dem Umfeld der Al-Quds-Brigaden der Revolutionären Garden – der Pasdaran. Ausgerechnet das Bundeskriminalamt (BKA) attestiert dem Iran, dass er Zarqawi „logistische Unterstützung von staatlicher Seite“ zukommen ließ.
Der Iran, so die Akten des BKA, sei „eine wichtige logistische Basis“ gewesen. Die Akten des BKA listen neun weitere Pässe sowie Personalausweise aus dem Libanon, dem Iran, Palästina und dem Jemen auf, unter denen Zarqawi in den vergangenen drei Jahren sicher gereist ist. Sein Aktionsradius erstreckt sich über den Irak, den Iran, Syrien, Jordanien, die Türkei, das Pankissi-Tal in Georgien bis in den Nordkaukasus. In diesen Ländern stützt er sich nicht nur auf ein Heer von Sympathisanten des Heiligen Krieges – Mitglieder ganz unterschiedlicher islamistischer Netzwerke, die ihm bei Bedarf zur Verfügung stehen. Zarqawi hat in diesem Halbbogen über Ländergrenzen hinweg ebenso seine eigenen Zellen aktiver Heiliger Krieger: in Nordafrika, Spanien, Frankreich, Italien. Und Deutschland: Mindestens 150 seiner Anhänger vermuten deutsche Sicherheitsbehörden vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und in Berlin. Im Umfeld radikaler Moscheen wie der Al-Nur-Moschee im Berliner Stadtteil Neukölln oder im Umkreis des Multikulturhauses in Neu-Ulm hat sich sein Netzwerk etabliert.
Radikale Dschihadisten, für die Zarqawis Ideologie, der zufolge „der Dschihad nur mit Terror durchzuführen und erfolgreich ist“, unbedingte Richtschnur ihres Handelns ist. Auf 125 Seiten beschreibt und analysiert ein Auswertungsbericht des BKA vom 6. September 2004 die Karriere des Abu Mousab al Zarqawi und die Verästelungen seines globalen Beziehungsgeflechtes. „VS – nur für den Dienstgebrauch. Nicht gerichtsverwertbar – nur für die Handakte“ prangt auf jeder Seite. Kein Wunder: Nicht alle Erkenntnisse dürften in einem deutschen Ermittlungsverfahren verwendbar sein. Nicht jede der Quellen, auf die sich das Kompendium stützt, steht in dem Ruf, bei ihren Ermittlungen streng rechtsstaatlichen Gepflogenheiten zu folgen.
In 392 Fußnoten werden dezidiert Daten, Quellen und Fakten präsentiert. Dienstreisen deutscher Ermittler nach Rabat in Marokko, nach Amman in Jordanien, Frankreich, Italien. Erkenntnisberichte des deutschen Bundesnachrichtendienstes, des amerikanischen FBI, der CIA sowie immer wiederkehrende Briefings französischer wie israelischer Stellen zeichnen den Werdegang von al Khalayleh al Zarqawi wie das Wachsen seines internationalen „Netzwerks arabischer Mudjahedin“ nach. „Nach hiesiger Einschätzung wird al Zarqawi als Führer eines eigenständigen, autonom arbeitenden terroristischen Netzwerkes gesehen“, so die deutsche Analyse. Zarqawi gilt der internationalen Geheimdienstgemeinde als der „zurzeit tatsächlich gefährlichste Mann der Welt. Osama bin Laden“, so jordanische wie deutsche Ermittler unisono, „steht heute für eine Idee, eine Ideologie.
Der Mann taugt nur noch als Mythos und dafür, die USA bei ihren vergeblichen Fahndungsbemühungen nach ihm bloßzustellen. Zarqawi hingegen ist der Mann der Tat. Er hat sowohl sein eigenes funktionierendes Netzwerk als auch gleichzeitig Zugriff auf andere Netze. Zarqawi ist der neue Kronprinz von bin Laden.“ So ein jordanischer Ermittler. Die größte Sorge bereiten westlichen Diensten Zarqawis Bemühungen, künftig mit chemischen Kampfstoffen seine Terrorangriffe durchzuführen. Erfahrung hat er darin. Nachdem er 1989 in Afghanistan nur noch die Ausläufer des Heiligen Krieges gegen die Schuwari, die Russen, miterlebt hat, arbeitet er zunächst als Reporter für die islamistische Zeitung Al-Bunyan Al Marsous, dann für das Islamic Relief Committee, eine islamische NGO, über die nach Erkenntnissen westlicher wie nahöstlicher Dienste über mehr als eine Dekade Gelder für radikale Dschihadisten geflossen sind.
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