- Die Böhmermann-Affäre macht zornig
Die Medienkolumne: Angela Merkel lässt die Strafverfolgung von Jan Böhmermann zu. Diese fatale Entscheidung macht den Satiriker nun zum Vorkämpfer für die Kunstfreiheit
Es ist schon beeindruckend. Zwischen Jan Böhmermann, dem Beleidiger, Nachäffer und Rassisten, und Jan Böhmermann, dem Subversiven, Hofnarren und Vorkämpfer der Kunstfreiheit, liegen genau 14 Tage, zwei Strafanzeigen und eine Presseerklärung der Bundeskanzlerin. Selten dürfte öffentliche Meinung, sonst eher eine zähe Molasse, so schnell gekippt sein wie im Fall Böhmermann.
In der „Zeit“ hatten Künstler wie Katja Riemann, Jan Josef Liefers und Thees Uhlmann zuvor gefordert, Böhmermann nicht strafrechtlich zu verfolgen. Sie solidarisierten sich mit ihm. Alle wollen jetzt Böhmermann sein, sogar Yanis Varoufakis. Und jetzt, nachdem Angela Merkel das Strafverfahren wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan anordnete, werden es noch mehr sein.
Merkel sprach von „unterschiedlichen Auffassungen“ der Koalitionspartner. Obwohl sie die Türkei als „Partner“ und „Verbündeten“ bezeichnete, übte sie Kritik an der dort eingeschränkten Presse- und Demonstrationsfreiheit. Sie zeigte sich von der Stärke des Rechtsstaats und der Unabhängigkeit der Justiz überzeugt. Die Beurteilung des Falles sei jedoch „nicht Sache der Regierung“.
Die Kanzlerin wendet den Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs an, den sie zugleich abzuschaffen ankündigte. Bis 2018 soll der Passus Geschichte sein.
Eins muss man Böhmermann lassen: Er hat es geschafft, die absurden Winkelzüge der Mediendemokratie sichtbar zu machen. Ihre Scheinheiligkeit, aber auch ihre Heuchelei.
Was er ausgelöst hat, ist aber nicht auf die Brillanz seiner Satire zurückzuführen, sondern auf die Dummheit aller Beteiligten. Diese Dummen, das sind die ZDF-Oberen, die den Beitrag zuerst aus der Mediathek entfernt haben und gegen die nun die Mitarbeiter protestieren. Das ist Angela Merkel. Das sind die vielen Medienleute, die Böhmermann jetzt auf den Schild heben.
Immerhin: der Rechtsstaat funktioniert
Sein Gedicht war schlichtweg widerlich und beleidigend. Das sollte man auch dann noch finden dürfen, wenn Böhmermann bereits in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Auch die Kritik, der Verriss gehöre zur Kunstfreiheit, wie die Tatsache, Tabubrüche nicht per se als Kunst akzeptieren zu müssen. Sein Akt des „uneigentliches Sprechens“, mit dem er das Gedicht selbst einrahmte und vorab als beleidigend und mutmaßlich verboten kennzeichnete, macht es nicht besser: Böhmermann haftet für die Folgen seiner bewussten Provokation genauso wie der Rowdy, der sagt, was er im Folgenden tue, sei nicht erlaubt, und dann trotzdem losprügelt. Gut möglich, dass das Gericht Böhmermann aber ohnehin nicht für schuldig erklären wird, sollte es zur Eröffnung eines Verfahrens kommen. Das hatten vorab einige Rechtsexperten signalisiert.
Natürlich: Es ist eine peinliche Posse, dass ein Gesetz, das man irgendwie vergessen hatte rechtzeitig abzuschaffen, nun noch ein einziges Mal angewandt werden muss, weil das der Rechtsstaat verlangt. Unabhängig davon aber darf Erdogan auch als Privatmann gegen Böhmermann vorgehen. Das gehört zur Meinungsfreiheit – dass sie angefochten werden darf. Und genau das ist auch das Wesen des Rechtsstaats: Er ist blind gegenüber denjenigen, die sich auf ihn berufen, und bezieht seine Stärke daraus, auch jene gleich zu behandeln, die seine Regeln ablehnen. Wenn sich also ausgerechnet ein liberaler Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner darüber mokiert, dass Erdogan den Rechtsstaat ausnutze, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie.
Bundesregierung, Medien und Publikum müssen sich an die eigene Nase fassen
Der Zorn muss daher nicht (nur) Erdogan gelten sondern vor allem Angela Merkel. Sie ist es, die sich mit der Flüchtlingspolitik hat erpressbar machen lassen, die sich in die Abhängigkeit eines Despoten begeben hat.
Der Zorn muss den Medien gelten, die jetzt einen Eingriff in die Pressefreiheit beklagen, aber zum Feldzug Erdogans gegen türkische Journalisten schwiegen. Die Orbáns Mediengesetze für nicht mehr berichtenswert einstuften. Die sich vor Kritik an der polnischen PiS-Partei wegduckten. Und die stattdessen über jedes Stöckchen sprangen, das ihnen Bild-Chef Kai Diekmann hinhielt.
Der Zorn muss, schließlich, einem Publikum gelten, dem die Maßstäbe der Relevanz völlig abhanden gekommen sind. Einem Publikum, das einer Satirezeitschrift mehr glaubt als den Nachrichtenmedien. Dieses Publikum interessiert sich offenbar mehr für diese inszenierte Affäre als für das, was wirklich eine Staatsaffäre sein sollte: die Tatsache, dass Deutschland laut dem Netzwerk Steuergerechtigkeit einer der schlimmsten Schattenfinanzplätze der Welt ist. Im internationalen Vergleich landet es auf Platz 8 – noch vor Panama auf Platz 13.
Aber das überfordert schon deshalb, weil es nicht in die immer kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen passt.
Update: Dieser Artikel wurde nach Merkels Presseerklärung um 13.20 Uhr aktualisiert.
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