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Wolfgang Huber - „Die Ökumene muss entwickelt werden”

Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber trennt die Größe von den Grenzen des deutschen Papstes. Sein Nachfolger sollte eine neue ökumenische Sicht entwickeln

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Herr Huber, hätten Sie es je für möglich gehalten, dass ein Papst zurücktritt?
Ich habe diese Frage zum ersten Mal angesichts des Gesundheitszustands von Johannes Paul II. durchdacht. Nachdem er sich damals entschieden hatte, als leidender Mensch gleichzeitig Papst zu sein – auf durchaus bewegende Weise –, habe ich nicht damit gerechnet, dass ein anderer Papst eine andere Entscheidung treffen würde. Desto mehr bin ich von der Entscheidung Benedikts XVI. beeindruckt.

Sehen Sie im angekündigten Rücktritt eine Entmythologisierung des Papstamtes? Man könnte doch den Eindruck gewinnen, der Papst nehme sich nun das Recht auf einen Ruhestand heraus wie jede andere Führungspersönlichkeit auch.
Nein, eine solche Entmythologisierung wird nicht passieren. In einer besonderen Situation wie jener Benedikts aber, der mit bereits 78 Jahren Papst geworden ist, ist eine solche Entscheidung absolut legitim. Sie zeigt auf überzeugende Weise, dass auch das Amt des Papstes ein Amt menschlicher Verantwortung ist. Die Grenzen, die jedem Menschen gesetzt sind, gelten auch einem Pontifex. Der Rücktritt ist für mich ein Ausdruck von Weisheit und Größe.

In seiner Rücktrittserklärung sagt Benedikt, er habe wiederholt sein Gewissen vor Gott geprüft, und er bitte „um Verzeihung für alle meine Fehler“. Manche Beobachter erkannten darin eine evangelische Argumentation.
Es ist eine christliche Argumentation in einem sehr guten und auch von evangelischen Christen aus vollem Herzen zu bejahenden Sinne.

Immer wieder war zu hören, Benedikt habe durch den starken Fokus auf die Christusbeziehung, vor allem in seinen drei Jesus-Büchern, ein Anliegen der Reformation aufgegriffen.
Auf jeden Fall ist es eindrucksvoll, mit welcher Intensität er in seinem umfassenden Werk über „Jesus von Nazareth“ den biblischen Bezug der christlichen Dogmatik ins Zentrum rückt. Er zeigt uns eine Christusfrömmigkeit, die in ihrer Durchführung auch geprägt ist von den besonderen Erfahrungen des Dialogs zwischen evangelischer und katholischer Theologie, wie er sie in Deutschland kennengelernt hat. Als ich ihn vor sechs Jahren zu einem Gespräch im Vatikan besuchte, landeten wir schnell bei den evangelischen Theologen Karl Holl und Paul Tillich. Das ist mir unvergesslich.

War er ein guter Papst für die Ökumene?
Er war zunächst einmal ein guter theologischer Gesprächspartner. Die katholisch-evangelische Ökumene hingegen hat er nicht vorangebracht. Das liegt auch daran, dass er vor allem das Jahrtausendschisma mit der Orthodoxie bearbeiten wollte. Zugleich war er der Überzeugung, dass es eigentlich keine Brücke gebe zwischen evangelischem und katholischem Kirchenverständnis. Diese dogmatische Ferne brachte er schon als Kardinal schroff zum Ausdruck in der Erklärung „Dominus Jesus“ von 2000. In dieser Hinsicht hielt er die Verständigung mit der Orthodoxie für leichter. Auch die Regensburger Rede hatte leider einen Abschnitt, der von einem überraschend großen Unverständnis für den Protestantismus zeugte. Die Reformation, die Theologie Adolf Harnacks und die Pfingstkirchen unserer Zeit wurden als die drei entscheidenden Schritte präsentiert, die das Bündnis zwischen biblischem Glauben und griechischem Vernunftdenken aufgekündigt hätten. Von einem inneren Verständnis des reformatorischen Denkens war er da sehr weit entfernt.

Sie selbst haben einmal von einer „Ökumene der Profile“ gesprochen. Da müsste Ihnen dieser profiliert katholische Papst doch sehr entgegenkommen.
Nach dem Zwei-Päpste-Jahr 2005 war es für mich offenkundig, dass die römisch-katholische Kirche sich markant als Papstkirche profilierte, ja inszenierte. Auch die orthodoxen Kirchen definierten sich nach dem Ende des Kalten Krieges neu in ihrer Eigengestalt, und die anglikanische Kirche rang um ihre Identität. Die reformatorischen Kirchen müssen ebenso ihr Profil in die ökumenische Gemeinschaft einbringen. Jede Strömung muss ihre eigenen Gaben und Stärken für das gemeinsame Zeugnis der Christenheit fruchtbar machen.

Inwiefern hat sich Benedikt für den interreligiösen Dialog eingesetzt?
Der wirkungsvollste Beitrag war gewiss die Regensburger Rede von 2006. Zwar lösten die schroffen Töne zunächst eine große Irritation aus. Dann aber setzte ein Klärungsprozess ein, der 2007 im gemeinsamen Brief von 138 islamischen Gelehrten an Benedikt gipfelte. Darin wagen sich die Unterzeichner im Blick auf das muslimische Gottesverständnis sehr weit vor. Sie lassen die biblische Aussage, wonach Gott Liebe ist, auch für den Islam gelten. Innerislamisch ist diese Position bis heute umstritten. Umso bemerkenswerter ist diese Akzentuierung.

Könnte es sein, dass mit einem neuen Papst, der vielleicht aus Afrika oder Asien stammen wird, die gemeinsame, abendländisch geprägte Sprache von Protestanten und Katholiken erst einmal verloren geht? Dann könnten ganz andere Prioritäten die vatikanische Agenda bestimmen.
Ich bin zurückhaltend darin, aus der Herkunft eines Papstes eine Typologie abzuleiten. Am Ende wird es darauf ankommen, welche Gestaltungskraft eine Persönlichkeit haben und inwieweit sie die Menschen erreichen wird. Es wäre naiv, bei einem Kandidaten aus der Dritten Welt sogleich auf Reformbereitschaft zu schließen. Diese Automatik gibt es nicht. Es kommt auf die Person an.

Was wird wohl bleiben von diesem fast achtjährigen Pontifikat?
Wir werden Benedikt als theologischen Denker in Erinnerung behalten. Vielleicht trägt er als Altpapst weiterhin dazu bei. Für die römisch-katholische Kirche wie für die Christenheit insgesamt stehen große Gestaltungsaufgaben an, die in den vergangenen Jahren nicht gelöst werden konnten.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht das dringendste ökumenische Erfordernis unter einem neuen Papst?
Es ist nötig, eine ökumenische Sicht zu entwickeln, die die anderen christlichen Kirchen auch wirklich als Kirchen wahrnimmt. Nur so wird das gemeinsame Zeugnis des christlichen Glaubens erkennbar. Wir leben in einer geistlich sehr herausfordernden Weltsituation, in der dieses Zeugnis dringend nötig ist.

Das Gespräch führte Alexander Kissler.

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Monika Kindler | Sa., 2. Juli 2016 - 23:55

Papst Franziskus hat einmal, sinngemäß, gesagt, er hütet sich, etwas zu entscheiden. Das ist nicht seine Aufgabe. Ökumene sollten wir im gläubigen Volk erarbeiten. - So waren jetzt dieses Wochenende Foren und Podien in München zum Thema: "Miteinander für Europa". Kardinal Kurt Koch sagte dabei sinngemäß, wir sollten alle wetteifern, Jesus nachzufolgen, und gemeinsam die Heilige Schrift lesen.
Ja!. Und ich füge hinzu, vielleicht könnte es auch ökumenischen Aufschwung bringen, wenn wir als Christen gemeinsam Europa stützen.