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Tempelhofer Feld - Bigotter Kulturkampf gegen die Flüchtlingsunterkunft

Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin soll die größte Flüchtlingsunterkunft bundesweit entstehen. Dagegen protestieren dieselben Leute, deren Gesetzentwurf gegen jegliche Bebauung 2014 den Volksentscheid gewann. Doch die Argumente der Initiative „100% Tempelhofer Feld“ sind fragwürdig

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Sollte die erfahrungsgemäß leider wenig belastbare Planung der zuständigen Behörden tatsächlich Realität werden, dann könnte Berlin in einigen Monaten mit einem weiteren Superlativ aufwarten. Auf dem Areal des 2008 geschlossenen Flughafens Tempelhof soll die größte Flüchtlingsunterkunft der Republik entstehen, mit bis zu 7.000 Plätzen. Außer den bereits jetzt teilweise belegten Hangars sollen dafür auch temporäre Bauten am Rand des Flugfelds genutzt werden. Neben den eigentlichen Unterkünften sind auch Anlagen zur Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge geplant, unter anderem Sportplätze, Turnhallen, eine Großküche, ein medizinischer Stützpunkt und ein Jugendklub.

Senat sieht Tempelhof-Unterbringung als „alternativlos“ an
 

Es verwundert kaum, dass dieses Vorhaben heftig umstritten ist. Auf der einen Seite steht der Senat, der die intensive Nutzung der Hangars und des Vorfelds als Not- beziehungsweise Erstaufnahmeeinrichtung angesichts des großen Zustroms von Flüchtlingen als alternativlos ansieht. Im vergangenen Jahr sind rund 80.000 Flüchtlinge in der Hauptstadt eingetroffen und täglich werden es mehr. Die kurzfristigen Möglichkeiten für dezentrale Unterbringung scheinen weitgehend ausgereizt zu sein, bereits jetzt werden 60 Turnhallen genutzt, was zu erheblichen Einschränkungen des Schul- und Vereinssports und entsprechenden Protesten geführt hat.

Auf der anderen Seite warnen Institutionen wie der Berliner Flüchtlingsrat vor menschenunwürdigen Zuständen in dieser Massenunterkunft, wo Flüchtlinge ohne jegliche Privatsphäre zusammengepfercht werden. Auch vor einer „Ghettobildung“ wird gewarnt, die eine Integration der Flüchtlinge verhindern würde.

Diese zweifellos Ernst zu nehmenden Argumente macht sich die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ gerne zu eigen. Sie sind willkommenes Futter für einen Kulturkampf, der die Hauptstadt seit Jahren beschäftigt.

Der Kulturkampf um die Bebauung des Tempelhofer Felds
 

Im Oktober 2008 wurde der 1923 eröffnete Flughafen Tempelhof endgültig stillgelegt, ein Volksbegehren für die Weiterführung des Flugbetriebs war zuvor gescheitert. Auf einmal verfügte die Stadt über eine riesige Freifläche (größer als der Berliner Tiergarten oder der Central Park in New York) nebst einem zusammenhängenden Gebäudekomplex mit einer Nutzfläche von knapp 300.000 Quadratmetern. Die Idee der „Tempelhofer Freiheit“ entstand, ein Freizeit- und Erholungsareal mitten in der Stadt, gesäumt von stark verdichteten Wohngebieten. Das Angebot wurde dankbar angenommen.

Das 280 Hektar umfassende Flugfeld entwickelte sich besonders im Sommer zum Eldorado für Spaziergänger, Jogger, Fahrradfahrer, Skateboarder, Kitesurfer, Hobbygärtner, Veranstalter esoterischer Workshops, grillende Familien und Drachenfreunde. Auf der anderen Seite suchten die verantwortlichen Politiker der boomenden und wachsenden Stadt dringlich nach geeigneten Flächen für dringend benötigten Wohnungsneubau, besonders im innerstädtischen Bereich. So reiften die Pläne, an den Rändern des Tempelhofer Feldes insgesamt 4.700 Wohnungen und einige Büroimmobilien zu errichten. Im Gegenzug sollten der Innenbereich des Feldes, immerhin 230 Hektar, dauerhaft von jeglicher Wohn- und Gewerbebebauung ausgeschlossen werden und als allgemein zugängliche Erholungsfläche erhalten bleiben.

Die Zukunft des Flughafens wurde zur Glaubensfrage
 

Dagegen machte ein äußerst heterogenes Bündnis mobil. Neben erwähnten Nutzergruppen verlangten auch Luftbrücken-sozialisierte Flughafennostalgiker, linksradikale „Gentrifizierungsgegner“, Umweltbewegte, angrenzende Kleingärtner und Politikverdrossene aller Couleur, das alles so bleibt, wie es ist und fanden Unterstützung bei den drei Berliner Oppositionsparteien (Grüne, Linke und Piraten). Beschworen wurden nicht nur freie Sichtachsen, Kaltluftschneisen und Biodiversität, sondern auch der Erhalt von Freiräumen und die vermeintlichen Pläne finsterer Grundstücksspekulanten. Die Zukunft des Flughafens wurde zu einer Art Glaubensfrage und kulminierte schließlich im Mai 2014 in einem Volksentscheid, bei dem der Gesetzentwurf der Initiative „100% Tempelhofer Feld“, der jegliche Bebauung ausschließt, eine deutliche Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhielt. Das Gesetz wurde einige Monate später vom Abgeordnetenhaus verabschiedet. Dies wurde zur Initialzündung für Initiativen in allen Teilen der Stadt, die sich die Verhinderung von Wohnungsbau in „ihren“ Stadtteilen auf die Fahnen schreiben. Verwiesen wird neben den bekannten Argumenten stets auf Alternativen für den Wohnungsbau irgendwo anders, auf angebliche Leerstände und natürlich auf „gewachsene Kiezstrukturen“. Die vielen Zuzügler (Berlin verzeichnet seit einigen Jahren einen Nettozuwachs von 40.000 Menschen pro Jahr) könnten sich schließlich auch im Umland Wohnungen suchen, war ebenfalls zu hören, z.B. bei einem „Stadtteilplenum“ in Berlin-Moabit. Das klang dann schon sehr stark nach „Das Boot ist voll“.

Flüchtlingsunterkunft ruft Bündnis wieder auf den Plan
 

In Tempelhof schien derweil Ruhe eingekehrt zu sein, doch angesichts des Flüchtlingsstroms werden in der Stadt viele scheinbar abgeschlossene Kapitel wieder aufgemacht. Das gilt auch für die Randnutzung des Tempelhofer Feldes für eine große Sammelunterkunft für Flüchtlinge. Und prompt steht sie wieder auf der Matte, die Koalition der Besitzstandswahrer, Kiezchauvinisten und „Gegen die da oben“-Bürger. Auf Versammlungen, in Blogs und sozialen Netzwerken machen sie sich Luft.

Neben berechtigten Zweifeln an derartigen Massenunterkünften stehen drei Argumentationslinien im Mittelpunkt. 1.) Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber bitte nicht hier bei uns. 2.) Ein vom Volk durchgesetztes Gesetz darf niemals geändert werden, egal was passiert. 3.) Dem Senat geht es gar nicht um die Flüchtlinge, sondern nur um „Rache“ für den verlorenen Volksentscheid. Dass es angesichts der großen Zahl der Flüchtlinge derzeit schlicht um die Vermeidung von Obdachlosigkeit geht, wird dabei geflissentlich ignoriert.  

Das Ganze zieht mittlerweile wieder stadtweite Kreise. Denn dieselbe Klientel, die jetzt gegen die Unterkünfte in Tempelhof wettert, auf „vorhandene Alternativen“ hinweist und vom Senat fordert, genügend Wohnungen auch für Flüchtlinge zu bauen, läuft sich bereits warm, um eben jene Wohnungen, die der Senat an 60 Standorten für Flüchtlinge in Modulbauweise errichten will, zu verhindern. Es sind viele Aktivisten dabei, die „Refugees welcome“- Aufkleber verbreiten und die Forderung nach „offenen Grenzen und Bleiberecht für Alle“ unterstützen.

Viel bigotter geht es nicht.

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