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Rohani in Europa - Der Westen muss standhaft bleiben!

Kisslers Konter: Die verhüllten römischen Statuen waren symptomatisch. Der Westen hat verlernt, was der Westen bedeutet. In der Auseinandersetzung mit dem Islam aber braucht es nicht Selbstverleugnung, sondern Selbstbewusstsein. Sonst schwinden die Freiheiten und wachsen die Unsicherheiten

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Nun traf es die Kapitolinische Venus. Sie und andere antiken Statuen wurden in Rom verhüllt, damit der vorbeischreitende iranische Staatspräsident Rohani nicht an steinerner Nacktheit Anstoß nehmen konnte. Rohani goutierte den Kotau des Westens: Freiheit bedeute „nicht, das zu verletzen, was für andere heilig und religiös ist, das ist von einem moralischen Standpunkt aus falsch, weil es Menschen entzweien kann.“ Wodurch die Entzweiung komplett wurde. Ein solches islamisches Freiheitsverständnis ist mit den Freiheitswerten des Westens nicht vereinbar.

Nimmt man Rohani beim Wort – das sollten wir tun –, plädiert er für Freiheit als Sichtfeldverengung, als die Kunst des angeordneten Wegschauens. Mit dieser Aussage wurde die vielleicht nur unglückliche, rasch weithin kritisierte römische Aktion, für die hernach niemand Verantwortung übernehmen wollte, zu einer Lektion in Sachen westlicher Unterwerfungsfreude und islamischen Dominanzgebarens. Rohani rief in sanften Worten jenen Kulturkampf auf, den Westler durch solche vorauseilenden Demutsgesten vermeiden wollen. Die Strategie der Leisetreterei hat sich als falsch erwiesen. Toleranz, die den Namen verdient, besteht eben nicht im Wegschauen und Wegräumen, sondern im Hinschauen auf Unterschiede, im gelassenen Beharren. Toleranz verlangt den eigenen Standpunkt – und sie kollabiert, wo der fremde Standpunkt geräuschlos übernommen wird.

Iran belegt neunten Rang auf Weltverfolgungsindex
 

Generell laboriert der Westen zu stark an seinem „Meaculpismus“ (Khalil Samir), seinem „Schuldkomplex“ (Pascal Bruckner), als dass er der dringend benötigte Gesprächspartner im Dialog der Kulturen sein könnte. Der Westen weiß an immer mehr Stellen immer weniger, wer er ist und woraus er gemacht ist. Er nimmt eine Auszeit von sich selbst, gönnt sich eine Identitätskrise im ungeeignetsten Moment. Die westliche Selbstkasteiung ist doppelt fatal. Im Islam, dessen „Unvereinbarkeit“ mit dem Westen auch der afghanisch-amerikanische Historiker Tamim Ansary konstatiert, werden durch solche billigen Triumphe die Hardliner gestärkt. Iran belegt Rang neun auf dem Weltverfolgungsindex von „Open Doors“, noch vor Saudi-Arabien; Christen und Homosexuelle sind in Rohanis Heimat ihres Lebens nicht sicher. Und zweitens ist ein Westen, der sich selbst den Mund verbietet, völlig untauglich, die so bitter benötigte Hausordnung in der Migrationsgesellschaft auszuformulieren und durchzusetzen. Freiheitsverluste und Sicherheitseinbußen für alle sind die Folge.

Will der Westen wieder sprachfähig werden, darf er weder seine antiken noch seine christlichen Wurzeln verschämt entsorgen – und seine jüdischen erst recht nicht. Der Durchbruch des Monotheismus am Sinai schuf die Grundlagen für Menschenwürde, Individualität und die Freiheit des Einzelnen auf entheiligter Erde. Darum ist Antisemitismus jeglicher Couleur intolerabel. Leider wird der arabische Antisemitismus, wie er durch Migrationsströme in den Westen gelangt, achselzuckend hingenommen. Wie kann es sein, dass in einem Berliner Heim für Asylbewerber Hakenkreuze lange geduldet wurden und dass der Betreiber nichts gegen Landkarten einzuwenden hat, auf denen Israel nur als Bestandteil Palästinas zu sehen ist?

Europa sollte eigene Wertehierarchie nicht verleugnen
 

Schon 1980 verabschiedete sich Leszek Kolakowski in einem fulminanten Essay von der „Illusion des kulturellen Universalismus“. Der Satz, „alle Kulturen sind gleich“, sei falsch. Unkritische Toleranz gegenüber den Ansprüchen anderer Kulturen führe zur Auflösung der eigenen. „Normen, die im Konflikt sind, die nicht gleichzeitig bestehen können,“ ließen sich eben nicht „einfach aneinander reihen wie die mannigfaltigen Gegenstände in einem Museum.“ Europäer sollten keineswegs die „abendländische Zivilisation und ihre Werthierarchie“ verleugnen. Kolakowski sprach sogar von der „Überlegenheit“ der europäischen Kultur – um als deren Kern den „Geist der Unsicherheit“ auszumachen, eine eigentümliche Unruhe und die Bereitschaft, sich immer neu in Frage zu stellen.

Auch heute steht es dem Westen gut an, kritisch auf seine Geschichte und auf sein Handeln in der Gegenwart zu schauen. Dabei sollte er die Selbstkritik aber nicht bis zur Selbstverleugnung treiben. Ein Gast, der den Mitgästen und den Gastgebern – direkt oder indirekt – Alkohol verbietet, weil er selbst keinen trinkt, ihnen die eigene Kunst entzieht, weil er selbst sie nicht mag, ist kein Gast, sondern ein Despot auf Reisen. Vor Despoten aber sollte auch der toleranteste Westen nicht buckeln. Standhaftsein ist alles in diesen Tagen.

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