- Die Schweizer Wutbürger taugen nicht zum Vorbild
Die Schweizer Wutbürger werden von den Kritikern überhöhter Bonuszahlungen gefeiert - zu Unrecht. Der Volksentscheid belässt die Entscheidungsgewalt in den Unternehmen. Ob die Mehrheitseigner sich jetzt gegen hohe Boni aussprechen, ist völlig unklar
Alles hängt bekanntlich mit allem zusammen, und was die Schweizer Wirtschaft betrifft, hängt alles mit der Pleite der Swissair im Jahre 2001 zusammen. Hätte die stolze Schweizer Fluglinie 2001 nicht Insolvenz anmelden müssen, wäre der Kräuterzahnpasten- und Mundwasserhersteller Thomas Minder aus Neuhausen als Lieferant der Airline mit seinem Unternehmen nicht in Schwierigkeiten geraten. Ohne den drohenden Totalverlust von 500.000 Schweizer Franken, die seine Trybol AG an den Rand des Abgrunds brachten, hätte Minder sich nicht darüber aufregen müssen, dass sich der damalige Swissair-Chef Mario Corti gleichzeitig 12,5 Millionen Schweizer Franken Jahresgehalt für die gescheiterte Rettung der Swissair auszahlen ließ. Der Wutbürger Thomas Minder war geboren, der Kämpfer gegen Boni- und Gehaltsexzesse für Manager.
Am vergangenen Sonntag, fast zwölf Jahre später, hat er nun seinen wichtigsten Sieg errungen. 68 Prozent der Schweizer Wähler stimmten für seine Initiative gegen die „Abzockerei“ – in der direkten Demokratie Schweiz hat der Wutbürger eben ganz andere Einflussmöglichkeiten als sein Pendant in Stuttgart.
Die Minder-Initiative (sic!) sieht unter anderem vor, dass bei börsennotierten Schweizer Aktiengesellschaften in Zukunft die Aktionäre jedes Jahr auf der Hauptversammlung festlegen, wie viel das Management insgesamt maximal verdienen darf. Auch die Verwaltungsräte der Unternehmen, die bisher über die Höhe der Manager-Gehälter entschieden, müssen sich jedes Jahr zur Wiederwahl stellen. Weiterhin darf es in Zukunft keine Antritts- oder Abfindungszahlungen für die Führungskräfte geben, das Ende der üppigen signing bonuses und golden handshakes. Zuwiderhandlungen sollen zu drastischen Geldstrafen oder sogar zu Freiheitstrafen von bis zu drei Jahren führen.
Minders Erfolg hat ein gewaltiges internationales Echo ausgelöst: Die Befürworter preisen die Schweizer Rebellion und bewundern den revolutionären Geist der neuen Regeln. Die Kritiker warnen vor Standortnachteilen oder sprechen gar von einem Amok-Lauf gegen vernünftige Unternehmensführung, der zu einem Exodus der in der Schweiz ansässigen Unternehmen führen werde.
Es geht aber auch eine Nummer kleiner: Der Kern der Vorlage besteht darin, dass die Rechte der Aktionäre in der Schweiz gestärkt werden. Sie haben als Eigentümer der Unternehmen in Zukunft das letzte Wort. Die Gehälter werden nicht mehr im Hinterzimmer zwischen Vorständen und Verwaltungsräten ausgehandelt. Mehr Transparenz kann man in diesem Bereich nur begrüßen.
Sinnvoll ist auch, dass die Entscheidungshoheit im Unternehmen bleibt und den Firmen keine starre Gehaltsgrenze von der Politik aufgezwungen wird, wie es gerade auf EU-Ebene bei der Deckelung der Banker-Boni geschieht. Die sollen in Zukunft nur noch maximal doppelt so hoch sein dürfen wie das Grundgehalt. Eine solch unflexible gesetzliche Regelung lässt sich aber leicht umgehen, indem die Grundgehälter entsprechend angehoben werden, und berücksichtigt nicht die unterschiedlichen Bedürfnisse einzelner Unternehmen und verschiedener Branchen.
Seite 2: Die Mehrheitseigner sind bisher nicht durch Kritik an den zu hohen Managementgehältern aufgefallen
Ob die neue Regelung in der Schweiz am Ende tatsächlich zu niedrigeren Gehältern in den Vorstandsetagen führen wird, bleibt abzuwarten. Theoretisch könnten die Aktionäre ihren Vorständen auch eine höhere Vergütung als bisher bewilligen. Ähnlich wie in Deutschland verfügen nämlich auch in der Schweiz bei den großen Konzernen Staats- und Investmentfonds sowie Pensionskassen aus dem Ausland über die Mehrheit der Anteile. Die sind bisher eher selten durch Kritik an den zu hohen Managementgehältern aufgefallen.
Auch deswegen ist es unverständlich, dass die Politik in Deutschland jetzt vehement nach einer gesetzlichen Deckelung wie in der Schweiz kräht. Das ist purer Wahlkampf, weil die Schweizer eben keine vom Staat verordnete Obergrenze eingeführt haben, sondern stattdessen die Aktionärsdemokratie gestärkt haben. Auch hierzulande kann die Hauptversammlung im Übrigen einen Beschluss über das Vergütungssystem fassen. Er ist zwar nicht bindend für den Aufsichtsrat, aber ein vernünftiges Kontrollgremium wird sich kaum gegen den Mehrheitswillen der Aktionäre stellen.
Die Schweizer Regelungen sind auch deswegen keine Blaupause für Deutschland, weil die Schweiz beim Thema vernünftige Unternehmensführung, neudeutsch: Corporate Governance, eher hinterherhinkte. In Deutschland sorgt schon die paritätische Zusammensetzung der Aufsichtsräte aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zumindest auf dem Papier für eine bessere Kontrolle der Vorstände.
Mehr Transparenz, gepaart mit öffentlichem Druck wird auch ohne weitere Regelungen in Zukunft verhindern, dass die Gehälter der Führungskräfte weiter ungebremst steigen werden. Ein Bonus von 80 Millionen Euro für den Deutsche Bank-Händler Christian Bittar oder 58 Millionen Euro Abfindung für Daniel Vasella, den ehemaligen Verwaltungsratschef des Schweizer Pharmariesen Novartis, sind weder in Deutschland noch in der Schweiz und in Zukunft vermittelbar. Bestes Beispiel für die Wirksamkeit von Transparenz ist VW-Chef Martin Winterkorn. Der begnügt sich 2012 mit einem Jahresgehalt von 14,5 Millionen Euro, obwohl ihm nach dem Vergütungssystem des Unternehmens mehr als 20 Millionen Euro zugestanden hätten.
Auch mit dem reduzierten Gehalt wird sich Winterkorn ein Frühstück und zwei warme Mahlzeiten am Tag leisten können, aber es zeigt, dass die Botschaft langsam ankommt. „Bei allem Erfolg des Konzerns können die Steigerungen nicht ins Uferlose weitergehen“, sagte Winterkorn dem Spiegel Anfang Februar zur Begründung seiner Entscheidung. Am Rande der Genfer Automesse betonte der VW-Chef nun, er sei deswegen noch lange nicht für eine gesetzliche Deckelung. In Deutschland gebe es dafür keine Gründe.
Thomas Minder wird also auch in Zukunft mit Millionengehältern leben müssen. Weitere Ironie der Geschichte: Die Swiss, die Nachfolgegesellschaft der Swissair, trat am Ende in den Vertrag mit Minder ein, sodass der Verlust seines Familienunternehmens nach eigenen Angaben nur „ein paar Tausend Euro“ betrug.
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