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Risiken für Informanten - Wie Deutschland und die EU den Whistleblower-Schutz aushöhlen

Die Medienkolumne. Während das Gesetz Journalisten schützt, stehen ihre Informanten oft alleine da. Deutschland hat internationale Vorgaben zum Whistleblower-Schutz nicht umgesetzt – obwohl SPD und CDU genau das prüfen wollten. Nun will es die EU Hinweisgebern noch schwerer machen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Irgendwann konnten die Altenpflegerinnen in Herne in Nordrhein-Westfalen nicht mehr. Es fehlte an allem – an Material, an Medikamenten, an Personal, an Zeit für die Bewohner. Im „Haus der Geborgenheit“ herrschte Ausnahmezustand. Elf Frauen schrieben eine Überlastungsanzeige an die Geschäftsführung. Eine Kopie ging auch an die Heimaufsicht des Kreises und an die Pflegekasse.

Sie wurden fristlos entlassen.

Die Geschäftsführung fand, dass die Kritik haltlos gewesen sei und nur intern hätte geäußert werden dürfen. Die Heimaufsicht indes ging den Hinweisen nach. Das Ergebnis: „Mängel bei der medizinischen und pflegerischen Betreuung“.

Whistleblower wie die Herner Altenpflegerinnen sind für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar, sie weisen auf Missstände hin. Viele Hinweisgeber müssen jedoch die Folgen ihres Handelns allein ausbaden. Es gibt kein Gesetz, das sie schützt. Und der Wind, der ihnen entgegen weht, wird zunehmend eisiger.

SPD verzögert die vereinbarte Prüfung


So gab das Arbeitsgericht Herne nicht den Gekündigten, sondern der Heimleitung recht: Die Mitarbeiterinnen hätten dienstliche Loyalitätspflichten verletzt. Von den elf Frauen haben acht inzwischen den juristischen Kampf aufgegeben. Drei klagen weiter vor dem Landesarbeitsgericht.

Ihr Fall, den das Portal ansTageslicht.de unter zahlreichen anderen dokumentiert, steht für ein weitreichendes Problem: Deutschland hat internationale Vorgaben zum Whistleblower-Schutz noch immer nicht umgesetzt. Dabei hat der Europarat seinen Mitgliedern schon 2013 empfohlen, Hinweisgeber besser zu schützen. Auch die OECD und die G20 haben ähnliche Abkommen abgeschlossen, um Korruption zu bekämpfen.

Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD immerhin vereinbart, zu prüfen, ob die internationalen Vorgaben beim Hinweisgeberschutz „hinreichend umgesetzt sind“. Darauf hatte vor allem die SPD gedrängt. Die hatte 2012 – damals noch in der Opposition – selbst einen weitreichenden Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.

Im darauffolgenden Sommer floh Edward Snowden aus seinem Heimatland, ließ seinen Job, seine Familie, seine Freiheit hinter sich und packte aus. Der NSA-Skandal kam ins Rollen. Thomas Oppermann, damals SPD-Fraktionsgeschäftsführer, nahm den Fall Snowden zum Anlass, um auch in Deutschland bessere Regeln für Hinweisgeber zu fordern: „Wenn ihre Enthüllungen den Interessen der Allgemeinheit dienen, dann sollten Whistleblower besser geschützt werden.“

Zwei Jahre später ist davon keine Rede mehr.

Im Bundestag haben Grüne und Linke Anträge für ein Whistleblower-Schutzgesetz eingebracht, sie zitierten Experten in öffentliche Anhörungen. Als der Bundestag jüngst über das IT-Sicherheitsgesetz debattierte, wiederholten die Grünen ihre Forderungen. Die Bundesregierung möge dafür sorgen, dass „der Schutz von Whistleblowern (Hinweisgebern) gesetzlich gestärkt wird“, heißt es in dem Entschließungsantrag.

„Absolutes Armutszeugnis“


SPD-Justizminister Heiko Maas hatte mit dem Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung genug zu tun. Zum Thema Informantenschutz lässt er an Arbeitsministerin Andrea Nahles verweisen. Dort wiederum heißt es: „Über die konkrete Umsetzung des Prüfauftrags [im Koalitionsvertrag] ist noch nicht entschieden.“

Dabei gehört ein solches Gesetz nicht nur ins Arbeitsrecht, sondern auch ins Beamtenrecht, ins Strafrecht und ins Medienrecht: Journalisten sind auf Informanten angewiesen, wenn sie auf Missstände aufmerksam machen wollen. Während das Zeugnisverweigerungsrecht ihnen ein Mittel an die Hand gibt, ihre Quellen zu schützen, sind die Tippgeber selbst oft ihren Dienstherren ausgeliefert.

Der Hamburger Medienwissenschaftler Johannes Ludwig, stellvertretender Vorsitzender des Whistleblower-Netzwerkes, hat kein Verständnis für die Linie der SPD. Die Blockadehaltung sei ein „absolutes Armutszeugnis“.

Hinter den Kulissen zeigen Sozialdemokraten indes mit dem Finger auf den Koalitionspartner, die Union. Ludwig aber sagt: „Die SPD besetzt alle Schlüsselministerien, die es braucht, um ein solches Gesetz anzustoßen – Justiz, Arbeit, Wirtschaft.“

Die SPD müsste nicht einmal so weit gehen, einen Gesetzentwurf einzubringen. Der Formelkompromiss im Koalitionsvertrag sieht ja nur die Prüfung vor. Nahles könnte es sich also leicht machen und für 2016 ein Expertengremium einberufen. Allein die Zusammenstellung könnte Monate dauern, dann noch einmal Monate, um Ergebnisse zu produzieren. Am Ende würde die Zeit für einen Gesetzentwurf ohnehin auslaufen. 2017 endet die Legislaturperiode. Aber Nahles hätte dann sowohl den Koalitionspartner beruhigt als auch ein wichtiges Signal in der Sache gesetzt. Mit einer guten Idee für Whistleblower-Schutz kann man auch in einen Wahlkampf gehen.

Wer in der Polizei auf Missstände hinweist, gilt als „Kollegenschwein“


Stattdessen schweigt die SPD das Thema weg – und überlässt zunehmend den Bedenkenträgern die Bühne: Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen etwa warnte jüngst vor „Innentätern“ in Unternehmen. Leichtfertig verwischte er damit die Grenze zwischen Kriminellen, Spionen und Saboteuren auf der einen sowie Whistleblowern auf der anderen Seite.

In Sicherheitsbehörden ist die Kritikkultur noch unterentwickelt: Wer bei der Polizei auf Missstände hinweist, gilt als „Kollegenschwein“. Deswegen habe sich der Bundespolizist, der die Misshandlungen an Flüchtlingen in Hannover angeprangert habe, wohl auch anonym an die Medien gewandt, mutmaßte der Soziologe Rafael Behr in der Süddeutschen Zeitung.

Ungemach droht Whistleblowern auch von Brüssel. Die Europäische Kommission will Geschäftsgeheimnisse stärken. Doch die EU-Richtlinie „über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung“ werde zu erheblichen Rechtsunsicherheiten für Hinweisgeber führen, fürchtet der Deutsche Gewerkschaftsbund. Ihnen drohten „schwerwiegende finanzielle Folgen“. Das könne die Bereitschaft zur Meldung von Unregelmäßigkeiten erheblich beeinträchtigen.

Für die elf Altenpflegerinnen in Herne wäre das jedenfalls keine gute Nachricht.

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