Altkanzlerin mit Erklärungsbedarf: Angela Merkel / dpa

Merkel-Festspiele bei „Spiegel“ und „Stern“ - Exklusiv für Xing-Leser: Die Altkanzlerin sorgt sich um ihren Ruf

Deutschland ist in der Bredouille, und so langsam dämmert vielen, dass die aktuellen Probleme auch etwas mit der Regierungszeit von Angela Merkel zu tun haben könnten. Kein Wunder also, dass die Altkanzlerin dieses Bild zurechtrücken will. Dafür auserkoren wurden zwei erprobte Hofberichterstatter von „Spiegel“ und „Stern“. Aber wer macht das Rennen?

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn in den Magazinen Spiegel und Stern zeitgleich große Geschichten über Angela Merkel erscheinen, an denen sie selbst mitgewirkt hat, ist etwas im Busch. Was das sein könnte, ist nicht besonders schwer zu ergründen, denn ein Buch, das die frühere Bundeskanzlerin gerade mit ihrer einstigen Büroleiterin Beate Baumann über ihre Amtszeit schreibt, ist offenbar noch lange nicht fertig – es jetzt schon zu bewerben, wäre also sinnlos. Bleibt demzufolge nur die zweite Erklärung: Merkel fürchtet um ihren Ruf und hat sich entschlossen, aktiv über die Medien gegenzusteuern.

Tatsächlich wird spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine immer deutlicher, dass Angela Merkels Hinterlassenschaft von 16 langen Regierungsjahren keineswegs glorios ist. Die Abhängigkeit von russischem Gas, der desaströse Zustand der Bundeswehr, eine verkorkste Energiewende, unzureichende Digitalisierung: Das sind (freundlich gesagt) alles unerledigte Baustellen, und wer die scheinbar ewige Bundeskanzlerin hierbei von jeder Verantwortung freisprechen wollte, der würde damit gleichzeitig grundsätzlich die Wirkung von Politik bestreiten. Die Zeitschrift The Economist brachte die Lage Deutschlands deshalb schon vor mehr als einem Jahr sehr treffend mit der Titelzeile auf den Punkt: „The mess Merkel leaves behind“.

Alexander Osang vs. Nico Fried 

Auserkoren, um dieses hässliche Bild geradezurücken, wurden zwei explizite Merkel-Versteher: Der Buchautor und Journalist Alexander Osang vom Spiegel sowie Nico Fried, der voriges Jahr von der Süddeutschen Zeitung zum Stern gewechselt war. Dass Osang den Zuschlag aus dem Altkanzlerinnenbüro bekommen würde, ist klar: Er war es, der mit Merkel im vergangenen Sommer ein einfühlsames Gespräch auf offener Bühne führen durfte, bei dem sein Gegenüber keine kritischen Fragen zu befürchten hatte. Fried wiederum war immer einer der größten Merkel-Fans im deutschen Journalismus; erstaunlich ist deswegen nur, dass Merkels Wahl überhaupt auf den Stern fiel, denn das Hamburger Blatt war politisch eigentlich schon abgemeldet. Der neue Chefredakteur Gregor Peter Schmitz versucht aber erkennbar, das Ruder noch einmal herumzureißen, weshalb er auch Fried zu sich holte – in dem Fall scheint es funktioniert zu haben, denn Merkel erscheint der Stern immer noch relevant genug, um an ihrer Hagiographie mitwirken zu dürfen.

Aber jetzt zum Inhalt der Stücke: Handwerklich sind sie beide gut gearbeitet, es waren ersichtlich Profis am Werk, denen sehr wohl bewusst ist, dass ein allzu unkritischer Blick auf die Altkanzlerin derzeit dem eigenen Renommee schaden dürfte. Deswegen kommen einige der oben genannten Punkte auch zur Sprache.

Osang darf zitieren, Fried nicht

Alexander Osang vom Spiegel war eindeutig in der Poleposition, denn er durfte Merkel nicht nur in ihrem Büro besuchen (wo einst Helmut Kohl residierte), sondern mit ihr auch durch die Uckermark stapfen, inklusive Kirchen- und Restaurantbesuch. Außerdem war es ihm gestattet, wörtliche Zitate zu übernehmen – anders als Nico Fried, der es nicht über Merkels Büro hinaus schaffte, wo ihm allerdings (wie dem Kollegen Osang auch) eine bedeutungsschwangere Kairos-Skulptur ins Auge fiel, die von beiden in Bezug zu Merkels politischer Biografie gesetzt wurde (den richtigen Zeitpunkt für Entscheidungen finden etc.). Keine wörtlichen Merkel-Zitate also für den Stern, wofür Fried allerdings Verständnis hat, weil seine Gesprächspartnerin in den vergangenen Monaten gemerkt habe, dass das nur zu Missverständnissen führen könne. Ob Nico Fried mit dieser Art von silent interview ein neues Genre begründet hat, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die Rechnung für Merkel aufgegangen, denn die titelgebende Frage über dem Stern-Artikel lautet „Wie groß war sie?“ Und der Leser bekommt am Ende den Eindruck: schon ziemlich groß.

Das größere Lesevergnügen allerdings bereitet Alexander Osang im Spiegel. Von Anfang an merkt man ihm seine merkelfreundliche Einstellung an, aber er verfügt als Schriftsteller einfach über das größere poetische Potential, um die Bewunderung nicht allzu prosaisch rüberzubringen. Merkels Regierungsstil etwa umschreibt er mit dem schönen Satz: „Sie hat das Volk in den Schlaf gewiegt, aber als sie aufhörte zu singen, wurde es wieder wach.“ Bleibt anzumerken, dass Teile des garstigen Pöbels bereits zu Merkels Amtszeit aufgewacht waren oder sich einfach nicht von ihr in den Schlaf wiegen lassen wollten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Merkel erklärt ihre Ukraine-Strategie

Sowohl der Spiegel als auch der Stern vermitteln den Eindruck, dass Merkel im Prinzip vernünftig regiert hat und es unfair wäre, ihr jetzt am Zeug zu flicken (wie es im Berliner Regierungsviertel derzeit angesagt ist). „Ihr Nachfolger hat sie enterbt. Angela Merkel wurde vom Vorbild zur Verantwortlichen, von der Krisenmanagerin zur Krisenverursacherin“, schreibt Osang. Um hinterher zu erklären, warum sogar ihre Ukrainepolitik total durchdacht war: Das Abkommen von Minsk nach der Kriminvasion im Jahr 2014 diente demnach einzig dazu, Kiew die nötige Zeit zu verschaffen, um militärisch aufzurüsten; an den wahren Absichten Putins habe Merkel nie gezweifelt. Allerdings könnte man sich an dieser Stelle auch fragen: Wenn die Kanzlerin schon damals davon ausging, dass Russland früher oder später in die Ukraine einmarschieren würde, warum hat sie dann zugelassen, dass die Bundeswehr derart abgewirtschaftet wird?

Man erfährt bei Osang, dass Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch in Moskau von Putin den Eindruck vermittelt bekam, „machtpolitisch bist du durch“. Dass sie die verstorbene britische Queen für ihren stoischen Angang bewundert hat und offenbar auch die Königshaus-Serie „The Crown“ mit Gefallen anschaut. Und dass sie nachts manchmal aufwacht und denkt. „An was?“, fragt Osang. Darauf Merkel: „Geschichte wiederholt sich nicht, aber ich fürchte, dass sich Muster doch wiederholen. Das Grauen verschwindet mit den Zeitzeugen. Aber es verschwindet auch der Versöhnungsgeist.“ Ohnehin ist der Text von Osang eher in dunklen Tönen gehalten, es herrscht eine gewisse Grundmelancholie. „Frau Baumann hat festgestellt, dass ich zum Ende meiner Amtszeit immer pessimistischer geworden bin“, sagt Merkel über ihre frühere Büroleiterin. Woraufhin diese hinzufügt: „Düster.“

„Es geht ihr gut, alles in allem“

Der Stern bleibt im Vergleich zum Spiegel mit seinem Merkel-Stück mehr an der Oberfläche, beschreibt zwar ähnlich gekonnt ihr Arbeitszimmer – muss aber auch, wie gesagt, ohne wörtliche Zitate auskommen. Stattdessen werden die Leser mit wenig zielführenden Beobachtungen abgespeist wie „Merkel wirkt entspannt“ oder „der Blick abwartend, fragend, ein freundliches Lächeln“ beziehungsweise „Es geht ihr gut, alles in allem“.

Dass es unserer Altkanzlerin alles in allem gut geht, dass sie sich nicht in die aktuelle Politik einmischen möchte (von gelegentlichen Telefonaten mit Emmanuel Macron und ein paar anderen Auserwählten abgesehen) und vor allem, dass ihr politisches Handeln während ihrer Kanzlerschaft stets wohlüberlegt war, das sind die zentralen Aussagen der Merkel-Festspiele in Spiegel und Stern. Ein gewisser Fatalismus ist zwar zu spüren, nach dem Motto: Die Menschen sind eben, wie sie sind, und daran kann auch eine noch so geniale Bundeskanzlerin und promovierte Physikerin nichts ändern. Aber sonst: Leben geht weiter.

Nur, dass sich das irdische Dasein mit Angela Merkel im Kanzleramt für Alexander Osang und Nico Fried irgendwie besser angefühlt haben muss.

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