Von hier kommt im Ernstfall das Abschalt-Kommando: Leitstelle des Übertragungsnetzbetreibers Amprion / dpa

Blackout-Angst der Bundesregierung - Exklusiv für Xing-Leser: Niemand hat die Absicht, den Strom abzuschalten

Deutschlands oberster Katastrophenschützer warnt vor Stromausfällen im Winter. Kurz darauf rudert seine eigene Behörde zurück. Die Bundesregierung will offenbar nicht zugeben, dass ihre real existierende Energiewende vor allem zu Energiemangel führt.

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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Die Energiewende in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Mit Durchhalteparolen und Sparappellen kommt Deutschland durch den Winter. Und dann können unsere Energiepolitiker endlich wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: abschalten.

Mit den Kohlekraftwerken klappt es zwar doch nicht so gut wie gedacht. Wladimir Putin durchkreuzte die Ausstiegspläne, die eigentlich Umstiegspläne auf Gazprom-Kraftwerke waren. Aber mit den Atomkraftwerken soll Mitte April Schluss sein. Für immer und ewig. Großes Ampelehrenwort. Sogar Christian Linder, dessen FDP alles andere als überzeugt davon ist, erklärte neulich die immer wieder aufflammende Debatte über Sinn und Unsinn des deutschen Atomausstiegs für beendet. „Weil, das ist jetzt einfach mal entschieden“, erklärte der Parteichef. „Da muss man auch sagen, jetzt ist Ende.“ 

Jetzt ist Ende. Das klingt nach einem wirklich überzeugenden Argument. In Wahrheit geht es Lindner wohl vor allem darum, die Koalition nicht beenden zu müssen. Denn für die Grünen und Teile der SPD ist das AKW-Abschalten ein Herzensanliegen. Diesen Triumph, auf den sie seit Jahrzehnten hinarbeiten, wollen sie sich nicht kaputtmachen lassen: weder durch Putin noch durch Greta Thunberg, die Deutschland dazu rät, dem Weltklima zuliebe, die Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, und schon gar nicht durch Ralph Tiesler.

Katastrophenbehörde führte Schattendasein

Wer ist Ralph Tiesler, wird sich so mancher Leser an dieser Stelle fragen. Denn der Mann wirkte bislang eher im Hintergrund. Er ist Experte für Krisen und Katastrophen, arbeitete erst beim Technischen Hilfswerk, dann im Bundesinnenministerium und wurde 2002 Leiter der Abteilung für Krisenmanagement im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), dessen Präsident er seit wenigen Monaten ist.

Diese Behörde ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstellt, veröffentlicht Notfallratgeber wie „Kochen ohne Strom“ und führte lange ein Schattendasein. Bis Tieslers Vorvorgänger mit der Organisation eines bundesweiten Sirenentags ohne Sirenen in die Schlagzeilen geriet. Er musste gehen. Kurz übernahm der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster den Job, bis dieser in das Kabinett der sächsischen Staatsregierung gerufen wurde. Im Juni ernannte Faeser schließlich Ralph Tiesler zum neuen BBK-Präsidenten. Mal sehen, wie lange er es noch bleibt.

Bemerkenswertes Interview

Denn am Wochenende kam es zu einem bemerkenswerten Vorgang. Die Welt am Sonntag veröffentlichte ein lesenswertes Interview mit Tiesler, in dem er klar und deutlich vor drohenden Stromausfällen in diesem Winter warnt. „Wir müssen davon ausgehen, dass es im Winter Blackouts geben wird“, gab die Sonntagszeitung das Gespräch mit Deutschlands oberstem Katastrophenmanager wieder. „Damit meine ich eine regional und zeitlich begrenzte Unterbrechung der Stromversorgung. Wobei die Ursache nicht nur Energieknappheit sein wird, sondern auch das gezielte, zeitweise Abschalten der Netze durch die Betreiber, mit dem Ziel, die Netze zu schützen und die Gesamtversorgung nicht zu gefährden.“ 

Man muss dazu wissen, dass es in der deutschen Presse üblich ist, solche Interviews vor der Veröffentlichung schriftlich zur Autorisierung vorzulegen und der Interviewpartner seine Aussagen nachträglich abschwächen oder präzisieren kann. Tiesler muss seine Worte also ganz gezielt so gewählt haben. Und es wird im weiteren Verlauf des Gesprächs auch klar, weshalb. Er will wachrütteln.

Kommunen schlecht auf Stromausfälle vorbereitet

Denn auf die Frage, wie Kommunen und Behörden auf mögliche Blackouts vorbereitet seien, antwortete er: „Manche wirklich mustergültig, mit genauen Plänen und einer Sicherstellung der Stromversorgung durch Notstromaggregate vor Ort. Andere stehen deutlich schlechter da, die sind nicht ausreichend vorbereitet.“ Das ist alarmierend. Denn es bedeutet, dass es davon abhängt, wie aufgeweckt ein Bürgermeister oder Landrat ist, ob man als Bürger gut durch den Winter kommt.  

 

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Ralph Tiesler schob zwar noch nach: „Wir rechnen eher mit kurzfristigen, sogenannten Brownouts als mit lang anhaltenden, großflächigen Blackouts.“ Gute Vorbereitung sei aber auch dafür wichtig. Nun könnte man annehmen, dass eine Regierung, deren Behördenchef eine solche Warnung formuliert, alles daran setzen würde, die Vorbereitungslücken zu schließen und die drohende Krise abzuwenden. Doch was war die Reaktion?

Eigene Behörde widerspricht ihrem Chef

Noch am Sonntag reagierte das BBK mit einer „Klarstellung“. Das Bundesamt widersprach darin den Aussagen seines eigenen Präsidenten: Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland sei „äußerst unwahrscheinlich“. Das elektrische Energieversorgungssystem sei mehrfach redundant ausgelegt und verfüge über zahlreiche Sicherungsmechanismen, um das Stromnetz bei Störungen zu stabilisieren. „Ebenso wird die Wahrscheinlichkeit als gering angesehen, dass es regional und zeitlich begrenzt zu erzwungenen Abschaltungen kommt, um die Gesamtversorgung weiter sicherzustellen.“ 

  

Klarstellung des #BBK:
Ein großflächiger Stromausfall in Deutschland ist äußerst unwahrscheinlich. Das elektrische Energieversorgungssystem ist mehrfach redundant ausgelegt und verfügt über zahlreiche Sicherungsmechanismen, um das Stromnetz bei Störungen zu stabilisieren. 1/3

Was war da los?

Dass BBK-Chef Tiesler in dem Interview den Begriff „Blackout“ verwendete, obwohl er eigentlich etwas anderes meinte, stieß bei Fachleuten auf Verwunderung. Denn unter einem „Blackout“ verstehen sie den unkontrollierten Zusammenbruch der Stromversorgung. Es kann Tage dauern, bis das Netz danach wieder stabil funktioniert. Es ist ein Katastrophenszenario, auf das sich die zuständigen Behörden zwar vorbereiten, aber die Netzbetreiber tun alles dafür, damit es nicht eintritt. Zur Not schalten sie, wenn das Stromangebot zu knapp wird, in einzelnen Gebieten stundenweise den Strom ab. Das ist dann der sogenannte Brownout. Er hat weitaus weniger gravierende Folgen als ein Blackout und dient gerade dazu, diesen zu verhindern.

Blackout und Brownout

In der öffentlichen Debatte wird beides aber oft miteinander vermischt. Blackout wird synonym für Stromausfall verwendet. Egal, ob es eine kontrollierte, zeitlich und örtlich begrenzte Abschaltung ist oder der unkontrollierte Totalausfall. Vermutlich hat Tiesler deshalb vom Blackout gesprochen, weil er wahrgenommen und verstanden werden wollte. Im weiteren Gespräch macht er den Unterschied zwischen beiden Szenarien ja mehrmals deutlich.

Es bleibt aber noch ein Widerspruch. Laut Tiesler müssen wir davon ausgehen, dass es diesen Winter zu solchen Stromabschaltungen kommt. Er präzisierte noch: „Das Risiko dafür steigt ab Januar und Februar, sodass wir davon ausgehen, dass es von da an stellenweise für eine gewisse Zeit zu Unterbrechungen der Stromversorgung kommt.“

Eine Aussage, die sich mit dem deckt, was die vier großen Stromnetzbetreiber in Deutschland im Rahmen ihres „Stresstests“ berechnet haben. Das war ja der Grund dafür, warum Wirtschaftsminister Robert Habeck und seine Grünen doch noch eingeknickt sind und einer Mini-Laufzeitverlängerung der letzten drei Atomkraftwerke bis April zugestimmt haben.

Hat die Regierung interveniert?

Doch das BBK spielt diese Gefahr nun plötzlich herunter und behauptet, die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Brownouts kommt, sei gering.

Es ist anzunehmen, dass dies das Ergebnis einer politischen Intervention aus der Bundesregierung war. Denn der Behördenchef wird seine Pressestelle sicherlich nicht aus freien Stücken nach der sonntäglichen Lektüre seines eigenes Interviews angewiesen haben, eine ihm widersprechende Klarstellung zu veröffentlichen. Auf eine entsprechende Nachfrage von Cicero antwortet das Innenministerium aber nur: Zu „internen Abstimmungsprozessen“ könne man keine Auskünfte erteilen.

Netzbetreiber bereiten Abschaltungen vor

Unterdessen bereiten sich die Stromnetzbetreiber längst auf das angeblich so unwahrscheinliche Notfallszenario vor. „Das Vorgehen bei einer kontrollierten Lastabschaltung ist ein definierter technischer Prozess, der seit Jahren besteht und regelmäßig zwischen den Systemführungen der Übertragungsnetzbetreiber und Versorgungsnetzbetreiber simuliert und trainiert wird, um sich bestmöglich auf ein solches Szenario vorzubereiten“, teilte eine Sprecherin des Übertragungsnetzbetreiber Amprion mit.

Das Kommando dazu kommt im Ernstfall aus den Leitstellen der vier Übertragungsnetzbetreiber, die Deutschland unter sich aufgeteilt haben. Umsetzen müssen es dann die jeweiligen Betreiber des örtlichen Versorgungsnetzes, zum Beispiel Stadtwerke. 

Die Versorgungsnetzbetreiber (VNB) „legen eigenständig fest, welche Teile ihres Netzes sie abschalten um die angeforderten Einsparungen zu erreichen“, erklärt die Amprion-Sprecherin. „Sollten die Abschaltungen für mehrere Stunden notwendig werden, rollieren die VNB. Das bedeutet, sie bringen die abgeschalteten Verbraucher wieder ans Netz und schalten dafür andere Verbraucher ab, die vorher nicht betroffen waren, damit niemand mehr als ein paar Stunden auf Strom verzichten muss.“

Verbraucher spüren es längst

Die Bundesregierung will darüber nicht gerne reden. Das Klartext-Interview des BBK-Präsidenten kam ihr ziemlich ungelegen. Denn ihre Botschaft lautet: Niemand hat die Absicht, den Strom abzuschalten. Auch wenn die stromverbrauchenden Bürger längst spüren, dass die real existierende Energiewende vor allem zu Energiemangel führt.     

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