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USA - Feindbild Nr. 1

Die Beziehungen zu den USA sind kompliziert, Amerika ist Feindbild und Vorbild zugleich – und wird nicht selten zum Sündenbock. Das Bild der Deutschen von Amerika hat sich signifikant verschlechtert

Autoreninfo

Andrew Denison ist Direktor von Transatlantic Networks, ein Zentrum für politische Beratung und Bildung in Königswinter.

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Deutschland hat was mit Amerika. Denken wir an die Liebesaffäre mit Obama. Am 24. Juli 2008 begrüßten ihn über 200.000 Menschen frenetisch in Berlin. Heute würde Präsident Obama eher Protestlern als Unterstützern in Berlin begegnen. Sie würden ihm vorwerfen, ein Amerika zu führen, das spioniert und hinrichtet, das nur noch nach militärischen Lösungen sucht.

Die Deutschen haben kein gutes Bild von Amerika. Eine infratest dimap-Umfrage beschrieb Amerika wie folgt: „machtgierig“ (70%) und „überheblich“ (64%) - gleichzeitig aber auch „fortschrittlich“ (66%), „demokratisch“ (60%) und „weltoffen“ (56%). Doch ein negatives Bild dominierte, in dem „rücksichtslos“ (51%) und „aggressiv“ (46%) den befragten Deutschen zutreffender erschien als „vertrauenswürdig“ (27%). Dass die Beziehungen gut sind, sagten 2009 noch 87 Prozent, jetzt nur noch 34 Prozent, berichtete Allensbach.

Das Bild der Deutschen von Obamas Amerika hat sich allerdings stärker verändert als das anderer Europäer. Eine Meinungsumfrage von Pew Research stellt fest: „Es gibt keine Anzeichen für steigenden Anti-Amerikanismus in dem größten Teil von Westeuropa, wo Mitte des letzten Jahrzehnts sehr viel Animosität gegenüber Amerika zu sehen war. Nur in Deutschland hat sich das Bild von Amerika signifikant verschlechtert.“

Amerika bleibt ein altgedienter Sündenbock. Fast ritualmäßig kritisieren Deutsche amerikanische „Abenteuer“, amerikanische „Verhältnisse“ und amerikanische Grenzbehörden– und reisen trotzdem nach Amerika wie nie zuvor. Die Beziehungen sind kompliziert, Amerika ist Feindbild und Vorbild zugleich.

Die vier Irrtümer im Umgang mit Amerika:
 

Erstens: Die Mär von der bösen NSA

Deutsche sind durch die Enthüllung von Edward Snowden besonders beleidigt – nicht, weil Amerikaner Amerikaner ausspionieren, sondern weil Amerikaner Deutsche ausspionieren. Die heftige emotionale Reaktion, die den Enthüllungen in Deutschland folgte, ist kaum mit dem „Verbrechen“ des (jahrzehntelangen) Abspeicherns zu erklären. Es ist eher die neu gewonnene Erkenntnis, dass die Amerikaner den Deutschen nicht bedingungslos vertrauen. Dass Deutschland doch nicht unbegrenzt Einfluss in Washington genießt, hat das Entsetzen sicher auch verstärkt. Alle wussten schon, dass Washington wenig Einfluss auf Berlin ausgeübt hat – Obama hörte öfter „Nein“ als „Ja“, sei es bei der Geldpolitik, bei Libyen oder Afghanistan.

Selbst die grundsätzlich pragmatische Kanzlerin, Angela Merkel, hat den spionierenden Amerikanern zornig erklärt, „solche Methoden passten nicht ins 21. Jahrhundert“. Anscheinend lehnt sie die in Amerika weitverbreitete Vorstellung ab, im digitalen Zeitalter der offenen Grenzen und der Globalisierung sei Spionage wichtiger als je zuvor. In Amerika hingegen steigen die Ausgaben für Aufklärung und Cyber-Sicherheit, während sie für das traditionelle Militär sinken.

So naiv wie der Gedanke, Spionage sei ein Anachronismus, ist die Vorstellung, die NSA wolle deutsche Industrie-Geheimnisse klauen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Trotz Snowdens enormer Datentruhe gibt es bisher keine Hinweise, dass die NSA für die amerikanische  Industrie spioniert. Gleichzeitig berichtet der Economist, Cyberkriminalität kostete letztes Jahr 450 Milliarden Dollar weltweit; der deutsche Innenminister sagte im August 2013, Cyberkriminalität kostete Deutschland 50 Milliarden Euro im Vorjahr. Das Einzige, was die NSA die Deutschen bisher gekostet hat, ist ein bisschen Stolz. Und das einzig gute bei den Snowden Enthüllungen ist, dass Deutschlands jetzt mehr in Cybersicherheit investiert, selbst wenn viele die Identität der wahren Täter leugnen wollen.

Zweitens: Die Illusion des amerikanischen Untergangs

Viele in Deutschland glauben mysteriöserweise, dass die Vereinigten Staaten ruinös zerstritten sind, und kurz davor stehen, auf dem Aschehaufen der Geschichte zu landen. Diese Sicht übersieht, wie sehr die aufmüpfige Parteilichkeit Amerikas das Land eher stärkt als lähmt. Die Geschichte Amerikas ist geprägt von Republikanern und Demokraten, die sich bis zum Stillstand bekämpft haben, um dann doch eine Einigung zu finden, die Amerika stärker macht. Viele Deutsche verschwenden irrational viel Zeit darauf, über amerikanische Unzulänglichkeiten zu diskutieren, während Europa und seine Grenzgebiete stärker gefährdet sind als zu jeder Zeit seit Ende des Kalten Krieges. Eine alte Binsenwahrheit sollte in Deutschland als gute Nachricht gelten: Amerika ist immer eine Legislaturperiode weit weg von der Lösung all seiner Probleme. Das mag „überheblich“ sein, aber es ist wahr.

Drittens: TTIP ist nicht der Feind

Es ist illusorisch zu glauben, der amerikanische Kongress würde sich europäischen Rezepten für Verbraucherschutz unterwerfen. Europa hat vielleicht Probleme mit Giganten wie Apple, Amazon oder Google, aber TTIP bietet hier kaum Entlastung. Die kommt nur mit ernsthaften Investitionen – und vielleicht ein bisschen mehr Weltoffenheit. Mit den amerikanischen Giganten zu konkurrieren ist nicht billig. Denken wir an die Kostenüberschreitungen des ambitionierten Airbus A-440M Militärtransports. TTIP wird die amerikanischen Luft- und Raumfahrt-, Robotik-, Pharmazeutika- oder Energie-Sektoren nicht zügeln. Und wenn die Deutschen keine „Chlor-Hühnchen“ (oder irgendwelche andere amerikanische Agrarprodukte) haben wollen, soll Amerika sich nicht daran stören. Amerika ist eine Agrarsupermacht in einer hungernden Welt. Wollen die Europäer McDonalds und Starbucks schließen, wird das „aggressive“ Amerika dem nicht im Weg stehen. Wollen Europäer Monsanto boykottieren, können sie dies gerne tun. Und wenn über ein Drittel der EU Haushaltsgelder für Agrarsubventionen draufgehen, kann man sich dafür bei den europäischen Agrarlobbyisten und der Globalisierungsgegner bedanken.

Viertens: Die Illusion der Gleichberechtigung

Viele Deutschen sehnen sich nach einer Freundschaft mit Amerika auf „gleicher Augenhöhe“, mit „gleichen Rechten“. Amerika hat großes Interesse daran, Deutschland Einfluss zu geben, deutsche Sorgen in Betracht zu ziehen, aber es ist unsinnig für Deutschland, eine „Gleichberechtigung“ anzustreben. Und es ist noch viel unsinniger, dies zur Bedingung der transatlantischen Zusammenarbeit zu machen. Deutschland hat ein Drittel der Bevölkerung, ein Viertel des Wohlstands und ein Sechzehntel der Verteidigungsausgaben der Amerikaner. Wollen die Deutschen überhaupt eine Rolle bei der Sicherung ihrer Zukunft spielen, müssen sie sich über ihren relativen Einfluss in Washington und der Welt im Klaren sein.

Deutschlands Anspruch, die Länder der EU mit Sparpolitik und der allheiligen Wettbewerbsfähigkeit zu retten, führt in eine Sackgasse, so lange Deutschland sich ein Leistungsbilanzüberschuss von sieben Prozent leistet. (Stellen sie sich vor, die USA würden so eine Überschuss-Politik mit ihren Nachbarn auf dem amerikanischen Kontinent betreiben.) Mehr noch, je wettbewerbsfähiger die Südländer werden, desto weniger kann der Exportmeister Deutschland Wachstum aus dem Ausland importieren. Ein sieben prozentiger Leistungsbilanzüberschuss ist auch eine Ohrfeige für alle Entwicklungsländer der Welt, die nach „Trade Not Aid“ rufen, nach Märkten statt Almosen.

Mit ihrem Bundeshaushalt haben die Deutschen im Jahr 2015 eine schwarze Null geschrieben. Das ist auch eine Folge der sinkenden Verteidigungsausgaben. Die NATO berichtet 2014, Deutschland gäbe $505 pro Kopf für Verteidigung aus – und die Amerikaner mit $1946 pro Kopf fast das Vierfache. Ausgaben der Deutschen fürs Auswärtige Amt und Ministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit kommen auf ca. $140 Pro Kopf. Auch hier leisten die Amerikaner mehr, geben für ihr „International Affairs Budget“ ca. $160 pro Kopf aus. Exportmeister Deutschland scheint keinen Bedarf darin zu sehen, ernsthaft in die Entwicklung und Sicherheit seiner Märkte zu investieren – aller Rede von mehr „Verantwortung“ zum Trotz.

Eine Führungsrolle in Europa zu suchen, während man gleichzeitig die Partnerschaft mit Amerika schlechtredet, führt Deutschland in eine Sackgasse. Das Letzte was Europäer wollen, ist ein übergewichtiges Deutschland und ein verärgertes, isolationistisches, anti-europäisches Amerika. Die Deutschen klagen vielleicht über Amerikas mangelnde Vertrauenswürdigkeit und die Bedrohung deutscher Souveränität – in starkem Kontrast steht hierzu z.B. Polens Sicht der Dinge. Die Polen wollen mit den Vereinigten Staaten die Ukraine bewaffnen – und man kann sich denken,  warum.

Es ist Zeit für die Deutschen, die Geschäftsgrundlage ihrer Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten ernsthaft zu prüfen. Sie werden hoffentlich dabei feststellen, dass ohne amerikanischen Markt und Macht, ohne den amerikanische Leviathan, das Leben, frei nach Thomas Hobbes, abscheulich, brutal und kurz würde. Sie sollten auch erkennen, dass es Zeit für die Bürger dieses Landes ist, von ihrem hohen moralischen Ross herunterzusteigen, ihre „Nie-wieder-Krieg“ und „Solidarität-mit-der-Welt“-Plakate ablegen. Stattdessen sollten sie den Worten Euros folgen lassen, um ihrem Anspruch auf Verantwortung gerecht zu werden.

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