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„Better Call Saul“-Darsteller Bob Odenkirk - „Wir dachten, das kümmert keine Sau“

Das „Breaking Bad“-Prolog „Better Call Saul“ bricht Premierenrekorde. Wir sprachen mit dem Hauptdarsteller Bob Odenkirk über die Revolution des Fernsehens und die Rennaissance der US-Serien

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Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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Er sieht gar nicht so aus, aber der kleine Mann im grauen Pullover, der sehr gerade und höflich auf dem Sofa seiner Suite im Berliner Regent Hotel sitzt, ist der fleischgewordene Superlativ. Jahrelang spielte Bob Odenkirk mit dem schmierigen Anwalt Saul Goodman eine der wenigen, halbwegs liebenswerten Nebenrollen in der US-Serie „Breaking Bad“.

„Breaking Bad“ ist inzwischen Synonym für die geniale Renaissance der Fernsehserie als Erzählform, und deswegen hat kaum eine neue Serie der letzten Jahre so viel Vorfreude ausgelöst, wie „Better Call Saul“ – eine schwarzhumorige Vorgeschichte zu Breaking Bad, die sechs Jahre davor spielt, und erzählt, wie aus dem strauchelnden Juristen Jimmy McGill der durchtriebene Advokat Goodman wird.

Keine Serienpremiere in der Geschichte des US-Kabelfernsehens hatte je bessere Zuschauerquoten als „Better Call Saul“. Die Berlinale zeigte die ersten beiden Folgen der Serie, die ab Mittwoch in Deutschland online bei Netflix zu sehen ist.

Mr. Odenkirk, auf jemanden, der „Breaking Bad“ gesehen hat, wirkt Ihr Gesicht wie ein alter Freund.
Na bitte, hier bin ich. Herzlich willkommen.

Kann man eigentlich stolz darauf sein, alle fünf Staffeln der Serie geschaut zu haben? Ist das eine Leistung, oder eher Symptom für ein unterentwickeltes Sozialleben?
Ich plädiere dafür, stolz zu sein. Breaking Bad war clever, erhellend, nachdenklich, moralisch reflektiert und psychologisch faszinierend. Und natürlich extrem unterhaltsam. Aber es ist doch keine Sünde, sich unterhalten zu lassen, solange man dabei nicht völlig vor sich hinvegetiert.

Es gibt Menschen, die behaupten, der Geist, der die große Literatur von Balzac, Dickens oder Tolstoi geschaffen hat, sei inzwischen weitergezogen, zu den Schöpfern von Serien wie den Sopranos, The Wire, Mad Men, Breaking Bad oder House of Cards. Exzessiver Serienkonsum müsste demnach nicht nur salonfähig sein, sondern Pflicht jedes Bildungsbürgers.
Sie haben völlig recht. Die Sopranos waren so etwas wie die Brücke zwischen dem alten und dem neuen Fernsehen. The Wire habe ich noch nicht gesehen, aber gehört, dass es unfassbar sein soll. Mad Men ist derartig komplex, ich könnte Ihnen gar nicht mehr erklären, um was genau es geht. Und Breaking Bad? Eine extrem kontrollierte Story, nicht ganz so schwer zusammenzufassen wie Mad Men, aber zweifellos genial, und wie gesagt maximal unterhaltsam. Es ist lustig, dass Sie Dickens erwähnen, denn der war natürlich auch höchst unterhaltend.

Wenn Sie vom „alten“ und dem „neuen“ Fernsehen sprechen: Worin liegt denn der Unterschied? Ist das eine schon Kunst, und das andere noch Eskapismus?
Vielleicht. Es gibt Serien, von denen nichts zurückbleibt. Die Geschichten verpuffen, sie sind egal, vielleicht sogar Zeitverschwendung. Emergency Room, Columbo, CSI, Baywatch – das Problem vom Anfang der Folge ist am Ende gelöst, wir haben nie einen Zweifel daran, wer gut ist, und wer nicht. Das ist Entertainment, aber eben auch nicht mehr. Was es früher im Fernsehen nicht gab, sind Serien, in denen sich die Komplexität unserer ganzen Existenz spiegelt. So wie in großer Literatur, in großer Kunst, die sich wandelt, je länger man sie betrachtet. Die einem verschiedene Dinge in unterschiedlichen Lebensphasen sagt. Die ihre Protagonisten leben, atmen und bestehen lässt.

Was glauben Sie, hat diese Rennaissance in der Qualität der Fernsehserien ausgelöst?
Ich glaube eigentlich nicht, dass Fernsehmacher diesen Unterschied bewusst herbeigeführt haben. Die neuen Formen haben sich eher zufällig durchgesetzt, und die TV-Industrie ist plötzlich auf ein Publikum gestoßen, von dessen Existenz sie bis dato gar nichts wusste. Welcher Produzent hätte je erwartet, dass eine Serie wie „The Wire“, mit unzähligen Charakteren und Erzählebenen, weltweit Zuschauer finden würde? Am Ende bleibt die Huhn-und-Ei-Frage: Haben kunstvolle Serien ihre eigene Nachfrage geschaffen? Oder war das Publikum unbemerkt immer schon da, und hat auf die Kunst gewartet?

Better Call Saul wird in Deutschland vom Online-Sender Netflix ausgestrahlt. Bei uns ist mit „Schuld“ gerade die erste, deutsche Serie mit einem Mal als komplette Staffel online gestellt worden, so wie Netflix das schon mit „House of Cards“ gemacht hat. Welche Rolle spielt das alles für die Zukunft der TV-Serien?
Kaum etwas hat die Art Geschichten zu erzählen so verändert, wie die Möglichkeit, sie jederzeit online abzurufen. Wussten Sie, dass Breaking Bad am Anfang ein totaler Flop war? Die ersten beiden Staffeln wären um ein Haar wieder abgesetzt worden, weil sich niemand dafür interessierte. Aber sobald die Serie auf Streaming-Portalen lief, hob sie völlig ab.

„Better Call Saul“ hat es da nachweislich leichter.
Die Serie hat jedenfalls den entscheidenden Vorteil einer äußerst liebenswerten Hauptfigur. Und dann gibt es die gelungene Mischung aus großartigen Cliffhanger-Momenten, Spaß und der Komplexität, die wir von Breaking Bad kennen. Andererseits ist die Serie vergleichsweise unstrukturiert. Es geht um eine Person, ihre Psyche, ihre Interaktion mit der Gesellschaft und der eigenen Familie. Aber wohin die Geschichte führen wird? Ich glaube, das weiß noch nicht einmal ihr Erfinder Vince Gilligan.

Der Held in Breaking Bad war der spießige, schlecht angezogene, übelgelaunte, krebskranke Chemielehrer Walther White. Ihre Hauptfigur in „Better Call Saul“ ist ein durchtriebener Betrüger, der schließlich zum schmierigen, durch und durch korrupten Anwalt Saul Goodman wird, den wir aus Breaking Bad kennen. Haben wir eigentlich aufgehört, an klassische Heldenfiguren zu glauben?
Tja, ich habe mich das auch schon gefragt. Ich weiß nicht, ob unsere Gesellschaft sich verändert hat, oder ob wir nicht eigentlich seit Jahren auf die Geschichten solcher Typen warten, aber sie uns einfach bisher nie angeboten wurden. Vielleicht gab es früher einfach nicht genug Sender, um solche Sachen mal auszuprobieren. Ich war jahrelang Autor für die Sendung „Saturday Live“. Die gilt heute als unglaublich innovativ. Aber am Anfang hat einfach niemand genau hingeschaut. Wir dachten: Es kümmert eh keine Sau, was wir machen, also probieren wir mal ein bisschen was aus. Und auf einmal sind wir auf dieses Publikum gestoßen, dass sonst nichts zu schauen hatte. Ich glaube, mit den freakigen Helden ist es genauso.

Mr. Odenkirk, vielen Dank für das Gespräch.

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