- „Die Deutschen lieben Motoröl mehr als ihr Olivenöl“
Volker Wiem gehört der Supermarkt des Jahres 2014 in Hamburg-St. Georg. Ein Gespräch über Motoröl, die Lebensmittelkultur in der Discounterrepublik Deutschland und den Erfolg des Andersseins
Herr Wiem, warum macht Einkaufen im Supermarkt fast überall auf der Welt mehr Spaß als in Deutschland?
Volker Wiem: Es gibt ja diesen Spruch, dass die Deutschen mehr Geld für ihr Motoröl ausgeben als für ihr Olivenöl. Das wirkt sich natürlich auch auf die Supermarktkultur hierzulande aus. Bei den Franzosen und den Italienern ist es genau andersrum. Denen ist es nicht so wichtig, dass es ihrem Auto gut geht, die kümmern sich lieber ums eigene Wohlergehen: gute Flasche Wein, guter Käse, Aufschnitt – die Wertschätzung für gutes Essen ist in diesen Ländern einfach größer als bei uns.
Sie betreiben mit Ihrer Familie acht Edeka-Filialen in Hamburg. Einer Ihrer Märkte wurde gerade vom Handelsverband zum „Supermarkt des Jahres 2014“ gewählt. Woran erkenne ich als Kunde, ob ich einen gut geführten Supermarkt betrete?
Ich achte als Erstes darauf, ob die Mitarbeiter aufmerksam und freundlich sind. Finde ich in allen Abteilungen einen Ansprechpartner, wenn ich beraten werden will? Wird Käse und Aufschnitt so verpackt und aufgeschnitten, wie ich das möchte? Sieht die Ware an der Fleisch- und Fischtheke gut aus, sind Obst und Gemüse frisch? Wenn Sie das alles bejahen können und dann noch die Atmosphäre stimmt, dann sind Sie in einem guten Supermarkt.
Wenn Sie die deutsche Supermarktkultur benoten müssten, wo liegen wir da auf der Schulnotenskala?
Es gibt alles zwischen sehr gut und mangelhaft. Gerade die von selbstständigen Händlern betriebenen Läden, die es ja fast nur noch bei Edeka und Rewe gibt, werden mit sehr viel Passion und Leidenschaft geführt, und auch im Kaufhausbereich gibt es gute Abteilungen. Aber es gibt eben Regionen, wo man mit der Lupe nach guten Supermärkten suchen muss. Das gilt für Berlin, aber auch in Hamburg war es lange Zeit schwierig.
Gibt es insgesamt ein regionales Gefälle?
Ja, eindeutig. Je weiter Sie in den Süden kommen, desto besser werden die Supermärkte. Ich glaube, das ist auch kulturell bedingt, weil die Menschen im Norden und im Osten Deutschlands lange wenig Wert auf gutes Essen gelegt haben.
Der deutsche Lebensmittelmarkt wird mit einem Marktanteil von über 40 Prozent ja sehr stark von den Discountern beherrscht. Waren die inzwischen verstorbenen Gebrüder Albrecht aus Ihrer Sicht eher gewiefte Gauner oder großartige Unternehmer?
Als Gauner würde ich sie nie bezeichnen, und für ihr Lebenswerk Aldi bewundere ich sie. Mit so günstigen Produkten so viel Geld zu verdienen, das muss man erst mal hinbekommen. Das ist ja irgendwie fast ein Treppenwitz, dass die Erfinder des Discounters zu den reichsten Deutschen aufgestiegen sind.
Aber haben die Aldi-Brüder mit der Schaffung der Discounterrepublik Deutschland unserem Umgang mit Lebensmitteln nicht eher geschadet?
Sicher haben sie das Einkaufsverhalten der Deutschen geprägt, aber man muss mit einem solchen Konzept auch auf eine Mentalität stoßen, die das gut findet. Sie haben erkannt, was die deutschen Kunden haben wollten, nämlich extrem günstige Lebensmittel. Es liegt aber nicht nur an den Preisen. In Frankreich ist der Marktanteil der Discounter wesentlich geringer, obwohl es den Franzosen wirtschaftlich schlechter geht als uns. Ich finde es aber traurig, wenn man sich als Kunde nur auf das Angebot Aldi beschränkt, weil einem da viel entgeht.
Was zum Beispiel?
Viele Leute wollen mir immer erzählen, dass es bei Aldi und Lidl ausgezeichnete Weine gäbe. Da bin ich eher skeptisch, weil Wein eben nicht gleich Wein ist. Für mich muss hinter einem guten Wein ein Winzer mit einer Philosophie stehen, der seine Arbeit mit Leidenschaft macht und nicht nur auf Profitmaximierung aus ist. Weingüter, die so arbeiten, können aber gar nicht in den von den Discountern benötigten Mengen liefern.
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Den Begriff Erziehen mag ich in diesem Zusammenhang nicht. Wir sind eher Entwicklungshelfer, die die Kunden liebevoll überzeugen wollen, dass es noch mehr gibt als den Einheitsbrei der Lebensmittelindustrie. Ich finde es sprachlich schon so furchtbar, dass sich die großen Hersteller als Industrie verstehen. Dabei haben wir im Deutschen mit dem Wort Lebensmittel den schönsten Begriff für unsere Nahrung. Das sind unsere Mittel zum Leben, mit denen wir viel zu unachtsam umgehen.
Aber Sie verkaufen doch auch die Marken der großen Hersteller?
Ja, aber es kommt auf die Mischung an. Wir beziehen nur etwa die Hälfte unseres Sortiments über Edeka, den Rest kaufen wir über eigene Lieferanten oder direkt beim Erzeuger ein. Da wir solche Kontakte intensiv pflegen, bekommen wir für unser Weinsortiment auch Weine, die sonst nur an den Fachhandel und die Gastronomie geliefert werden.
Wer sind Ihre schärfsten Wettbewerber?
Ich kümmere mich nicht so sehr um die Konkurrenz, mich interessieren vor allem die Wünsche der Kunden. Daher bin ich auch ständig in den Läden präsent. Ich weiß, dass ich den Wettbewerb über den Preis eh nicht gewinnen kann, aber man kann sich auch durch bessere Qualität absetzen.
Wie geht das konkret?
Wir haben zum Beispiel die Produkte vieler regionaler Kleinsterzeuger im Sortiment. Süßigkeiten und Schokolade, Gebäck und Kaffee verschiedener Manufakturen aus Hamburg. Wir haben als Erste echten Hamburger Gin und Wodka von zwei verschiedenen kleinen Brennern verkauft oder das Craft Beer von der wiederbelebten Elbschlossbrauerei. Die Jungs von Fritz-Kola haben gegenüber von einem unserer Märkte mit der Abfüllung ihrer Limonaden angefangen und die ersten Kisten noch per Hand zu uns gebracht. Hier in St. Georg, in unserer neuen preisgekrönten Filiale, betreiben wir jetzt auch die Bäckerei selbst. Dafür haben wir uns die besten Sachen von vier verschiedenen Lieferanten zusammengestellt. Die Kunden honorieren das, weil sie wissen, dass andere Supermärkte ihnen das nicht bieten können. Teilweise empfehlen sie uns auch neue Erzeuger.
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Unser Firmenmotto heißt: Anders sein als die anderen. Die Präsentation soll die Frische der Ware unterstreichen. Deswegen haben wir schon seit Jahren offene Salatbars, die Fertiggerichte zum Mitnehmen kommen aus unserer eigenen Küche, und es gibt überall Probierstationen. In St. Georg lagern wir unseren Käse in einem gläsernen Klimaraum, es gibt Sitzecken zum Verweilen, und besonders stolz bin ich auf unseren historischen Krämerladen, den wir Roncalli-Chef Bernhard Paul aus seiner Sammlung abkaufen konnten.
Fotos: Henning Bode
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