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Großbritannien - Merkel sollte auch mal „Go-fuck-yourself“ sagen

David Cameron drohte auf dem G7-Gipfel mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU. Das brächte vor allem dem Vereinigten Königreich große Nachteile. Im Poker um das Amt des Kommissionspräsidenten ist seine Verhandlungsposition schwach

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Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Nein, außer Nigel Farage und seinen nationalistischen UKIP-Anhängern möchte eigentlich keiner, dass die Briten aus der Europäischen Union austreten, am allerwenigsten wahrscheinlich der britische Premierminister David Cameron selbst. Aber auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kein Interesse an einer Europäischen Union ohne die Briten.

Wenn eines der sinnstiftenden Ziele der Europäischen Union ist, auf Augenhöhe mit den USA zu bleiben und aufstrebende Mächte wie China, Indien, Brasilien, aber auch Russland nicht an sich vorbeiziehen zu lassen, kann Europa nicht auf die Briten verzichten: London ist der wichtigste Finanzplatz Europas, die Briten stellen das schlagkräftigste Militär innerhalb der EU und bei einem Austritt der Briten ginge der Europäischen Union auch ein Mitglied mit ständigem Sitz und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat verloren.

Großbanken profitieren von Brüssel

Aber andersrum können die Briten auch nicht auf Europa verzichten. Internationale Großbanken haben schon vor der Europawahl und in der Diskussion über das von Cameron für 2017 geplante Referendum angekündigt, bei einem EU-Austritt der Briten die Londoner City zu verlassen. Als Ausweichstandorte werden Frankfurt oder Paris genannt, um den Zugang zum Europäischen Binnenmarkt offen zu halten.

Die Londoner Banker sind diesbezüglich sehr pragmatisch. Auch wenn ihnen Brüssels Regulierungswut auf den Zeiger geht, überwiegen für ihre Geschäfte die Vorteile der EU, nämlich die Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Waren und Dienstleistungen. 84 Prozent aller Führungskräfte in der britischen Finanzindustrie sprachen sich daher schon im vergangenen Jahr einer Umfrage für den Verbleib in der Union aus.

Experten gehen davon aus, dass der sogenannte „Brexit“ verheerende wirtschaftliche Folgen für Großbritannien haben würde. Nach einer neuen Studie der London School of Economics fallen die wirtschaftlichen Verluste je nach Szenario unterschiedlich groß aus. Die Zahlen der Wissenschaftler schwanken zwischen 1,1 und 9,5 Prozent des BIP – zum Vergleich: Während der Finanzkrise ging das britische BIP um rund sieben Prozent zurück. Wenn sich neben den Großbanken dann auch noch die Schotten im Herbst aus dem Vereinigten Königreich in die Unabhängigkeit verabschieden, droht London in Europa die komplette Isolation.

Angesicht dessen sollte man die Austrittsdrohungen David Camerons nicht allzu hoch hängen. So stark ist seine Verhandlungsposition nicht, dass er den Wahlsieger Jean-Claude Juncker mit einem kurzen, vernehmlichen Knurren aus dem Rennen um das Amt des Kommissionspräsidenten schießen kann.

Es ist auch nicht weiter dramatisch, wenn Merkel und Cameron auf offener Bühne um die Besetzung des Amts des Kommissionspräsidenten streiten. Das gehört zum normalen demokratischen Prozedere nach einer Wahl. Und offen ausgetragene Diskussionen erhöhen langfristig eher die Akzeptanz der EU und ihrer Organe.

Juncker aus taktischen Gründen fallen zu lassen, um Cameron ein kleines Zuckerl für seinen Kampf gegen Farages UKIP zu geben, wäre allerdings ein schwerer Fehler. Nach dieser Spitzenkandidaten-Europa-Wahl nun wieder einen eigenen Kandidaten im Hinterzimmer auszukungeln, widerspräche allen Versprechen aus diversen Sonntagsreden, die direkte demokratische Legitimation innerhalb der EU zu stärken. Hier wünschte man sich, dass Merkel öffentlich Cameron stärker Paroli bieten würde, statt sich mit verschwurbelten Sätzen wie bei ihrer Rede in Regensburg alle Türen offen zu halten. Ein bisschen mehr angelsächsische Go-fuck-yourself-Attitüde seitens Merkel könnte die politischen Diskussionen auf europäischer Ebene durchaus beleben.

EU-Reformen müssen gemeinsam erfolgen

Zumal die inhaltlichen Vorbehalte der Engländer gegen Juncker eher lächerlich sind. Wenn die Briten tatsächlich die Europäische Union reformieren wollen, brauchen sie einen mächtigen, starken Kommissionspräsidenten, der mit allen europäischen Wassern gewaschen ist. Dafür bringt Juncker alle Voraussetzungen mit. Die Sorge, dass er sich mit der Rückendeckung des Parlaments zum Ministerpräsidenten Europas aufschwingen wird, ist auch eher unbegründet. Dies wird schon durch die institutionelle und die persönliche Macht der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat verhindert werden.

Nur gemeinsam können Merkel, Juncker und Cameron die EU reformieren, wenn es ihnen gelingt, vernünftige Kompromisse zu schließen zwischen den Anhängern eines immer engeren, europäischen Staatenbundes und den Verfechtern einer schlankeren, weniger bürokratischen EU, deren Kompetenzen eindeutig definiert sind.

Wenn es die europäischen Staats- und Regierungschefs  dann auch noch schaffen, sich zuhause inhaltlich mit den Nationalisten von UKIP, Front Nationale oder der Alternative für Deutschland auseinanderzusetzen und ihren Wählern die Vorzüge der EU besser vermitteln können, ginge Europa am Ende sogar gestärkt aus dieser vermeintlich so katastrophalen Europawahl hervor.     

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