- Kopftuchmodels
Weniger ist nicht immer mehr. Die Designerin Nailah Lymus gründete vor zwei Jahren die Modeagentur Underwraps, in der die Frauen selbst bestimmen, wie viel sie ausziehen wollen. Dabei spielen nicht nur religiöse Gründe eine Rolle.
Den Traum von der Karriere auf dem Laufsteg träumen viele junge Frauen. Als Grundvoraussetzung dafür gilt jedoch meist, möglichst viel Haut zu zeigen. Doch gerade Frauen mit muslimischem Hintergrund sind nicht gewillt, diesen Schritt zu gehen. Die New Yorker Modedesignerin Nailah Lymus, selbst Muslimin, kennt viele solcher junger Frauen: „Ich treffe so viele Musliminnen, die alle Kriterien für ein Model erfüllen, aber ihren Traum nicht verfolgen“. Grund dafür sei vor allem die islamische Maßgabe, sich nicht aufreizend zu zeigen, den Körper und oft auch das Haar zu bedecken.
Lymus trägt ihr Kopftuch meist zum Turban gebunden, Piercings und Ohrringe runden ihren ganz eigenen Stil ab. Als Chefin des Labels Amirah Creations begegnet sie zudem vielen Models, die „ihre Stimme und ihr Selbst verloren haben“. Frauen, die wie ein lebender Kleiderständer keine Meinung zu dem Frauenbild und der Art, wie sie es auf den Laufstegen und vor Kameras präsentieren, haben sollen, erzählt Lymus. Ein Model mit Kopftuch? Ebenso undenkbar wie eines, das sich nicht im Bikini oder in Unterwäsche zeigen möchte. Und während Heidi Klum und ihre Kolleginnen Jahr für Jahr mit immer größeren Engelsflügeln und immer weniger Stoff am Körper die Laufstege des Unterwäsche-Labels „Victoria’s Secret“ zum Gradmesser für internationalen Modelerfolg machten, entwickelte Lymus die Idee zu einer eigenen Modelagentur.
Eigene Werte präsentieren
Lymus träumte von einer Agentur für Models, die vor der Kamera nicht ihr Kopftuch ablegen müssen. Eine Agentur, die ihre Models fragt, ob sie die präsentierten Produkte und die Art der Präsentation mit ihren persönlichen Werten vereinbaren können, erklärt die 30-jährige Mutter eines Sohnes. Vor sieben Jahren war das. 2012, während der New Yorker Fashion Week, war es dann schließlich so weit: Lymus eröffnete ihre „Underwraps Agency“, die sich zunächst vor allem an muslimische Models richtete.
Dabei überließ sie nichts dem Zufall: „Ich bat vorher Imame und Mitglieder der muslimischen Gemeinde aus meinem Viertel in Brooklyn um ihre Einschätzung meiner Idee. Die überwiegende Mehrheit unterstützte mich“. Nicht nur von geistlicher Seite erhielt Lymus Zuspruch: Über 400 Bewerbungen muslimischer Nachwuchsmodels erreichten sie in den letzten zwei Jahren, bis heute reißt das Interesse nicht ab. Die Skepsis einiger Designer-Kollegen, ob Kopftuchtragende Models und solche, die ihre Grenzen klar aussprechen, überhaupt auf dem Markt und vor der Kamera erfolgreich sein können, spornt die resolute Lymus erst recht an: „Genau das ist doch die Herausforderung! Viele anfängliche Zweifler glauben mittlerweile an meine Idee, einige haben meine Models sogar schon gebucht“.
Die ganz großen Namen sind unter ihren Kunden zwar noch nicht zu finden: Lymus weiß, dass sie eine Nische bedient. Zudem wird bei jedem Auftrag vertraglich genau festgehalten, was das jeweilige Model vor der Kamera oder auf dem Laufsteg zu tun bereit ist. „Statt des in der Modeindustrie dominierenden Mottos ‚sex sells‘ gilt bei uns das Prinzip ‚verdecke mehr, als du zeigst‘“, erklärt Lymus. Das klingt nach einem schwierigen Unterfangen in einer Branche, die von der ständigen Verführung lebt. Dennoch vermittelt sie ihre mittlerweile acht Models immer wieder erfolgreich an kleine Modelabels, Szenemagazine und Künstler, etwa den Musiker Tableek.
Im Video zu seinem Titel „Knew Subliminal“ treten gleich drei Models aus Lymus‘ Agentur auf. Auch im „Mipsterz“-Video, das im vergangenen Jahr um die Welt ging und junge muslimische Frauen von einer anderen als der in den Medien sonst sichtbaren Seite zeigte – modern gestylt, unbefangen durch die Straßen tanzend und skatend, selbstbewusst und humorvoll – war eines der „Underwraps Agency“-Models zu sehen.
Positiver Einfluss auf die Branche
Lymus‘ Agentur mag klein sein, ihr Netzwerk ist dafür umso größer – und grenzübergreifend. So arbeitete sie bereits mit der in London lebenden Fotografin Sara Shamsavari zusammen, die mit Porträtserien wie „London Veil“ Erfolge feiert. Shamsavari war gerade auf der Suche nach einer Modelagentur, die Kopftuchtragende Models vermittelt, als sie Lymus zum ersten Mal in Paris begegnete. Sie selbst trägt ihr Haar zwar unbedeckt, doch genau wie Lymus kennt die gebürtige Iranerin Shamsavari viele junge Frauen, die gerne vor der Kamera stehen würden – mit Kopftuch.
Shamsavari ist fest davon überzeugt, dass die „Underwraps Agency“ und vor allem die Idee dahinter die Modebranche langfristig positiv beeinflussen können: „In diesem Geschäft wird von den Mädchen erwartet, dass sie auch nackt vor der Kamera posieren, wenn der Job es erfordert. Eine Agentur wie die von Nailah Lymus stärkt Models, indem es ihr fundamentales Recht schützt, selbst zu entscheiden, wie viel sie von ihrem Körper zeigen wollen“. Dieses Recht, so Shamsavari, ist keineswegs nur muslimischen Frauen wichtig.
Auch Agenturchefin Nailah Lymus blickt über die Grenzen der Religion hinaus. Neben muslimischen hat sie auch christliche und säkular eingestellte Models unter Vertrag. Und so stellt Lymus mit ihrer Idee nicht nur die Gesetze der Modebranche auf den Kopf, sondern auch Vorstellungen westlicher Gesellschaften: Eine Muslimin kämpft für weibliche Selbstbestimmung und setzt dabei ausgerechnet auf das individuelle Recht, sich zu verhüllen. Nicht umsonst heißt ihre Agentur „Underwraps“ – verhüllt.
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