- „Schavan ist als Ministerin nicht mehr tragbar”
Annette Schavan ohne Doktortitel: Im Gespräch mit Cicero Online erkärt der Vorsitzende des Promovierendennetzwerkes „Thesis“ Dr. Norman Weiss, warum die Bundesbildungsministerin nun zurücktreten sollte und was sich in der Wissenschaft ändern muss
Herr Dr. Weiss, die Universität Düsseldorf hat
Bundesministerin Schavan den Doktortitel aberkannt. Einige
Wissenschaftler sind jedoch der Meinung, die Zitierfehler würden
eine Aberkennung nicht rechtfertigen. Wie bewerten Sie den
Fall?
Ich kann diese Aussagen nicht nachvollziehen. Aus heutiger Sicht
sind die gefundenen Stellen hochproblematisch. Punkt! Darüber muss
man gar nicht diskutieren. An vielen Stellen wurden Fremdquellen
einfach nur umgeschrieben und nicht einmal erwähnt. Das ist ein
klassisches Zeichen. Aus heutiger Sicht handelt es sich um ein
Plagiat.
Galten denn vor dreißig
Jahren andere Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens?
Ich war vor 30 Jahren fünf und kein Erziehungswissenschaftler.
Daher kann ich das selbst nicht beurteilen und mich nur auf
Aussagen anderer Wissenschaftler beziehen. Es gibt Kollegen, die
sagen, dass die Richtlinien für das wissenschaftliche Arbeiten seit
200 Jahren klar sind. Andere sagen, dass vor dreißig Jahren noch
andere Maßstäbe galten. Ich finde es sehr gut, dass jetzt der
Leitfaden mit damaligen Zitierregeln aufgetaucht ist, bei dem
Schavans Doktorvater Mitherausgeber war. Das hat klar gemacht, dass
es ihr bekannt gewesen sein müsste, wie ordnungsgemäße Zitation
aussieht.
Bei dieser Faktenlage war die Aberkennung des
Doktortitels also unumgänglich?
Bei dem eingeleiteten Verfahren ist sie auf jeden Fall
folgerichtig. Das Gutachten, die Zitierregeln und das Fehlen einer
klaren Erklärung von Frau Schavan lassen keine andere Entscheidung
zu.
Frau Schavan hatte sich im Fall Guttenberg noch sehr
weit aus dem Fenster gelehnt. Als jemand, der selbst promoviert
hätte, schäme sie sich. Nun wurde ihr selbst der Doktor aberkannt.
Was unterscheidet die beiden Fälle?
Bei Guttenberg war es sehr einfach. Wenn ich meine Einleitung und
andere Teile meiner Arbeit eins zu eins aus einer großen
Tageszeitung abschreibe, ist das, als wenn ich mit einem Fernseher
unter dem Arm an der Kasse vorbei spaziere und draußen steht die
Polizei. Auf frischer Tat ertappt. Wenn es nur Indizien gibt, ist
es natürlich schwerer, ein Vergehen nachzuweisen. Das ist vor
Gericht aber trotzdem gang und gäbe. Da Schavan sich zu den
Vorwürfen kaum geäußert hat, sind ihre Beweggründe völlig
unbekannt.
[gallery:Ohne Dr. lebt sich's besser]
Hätte Frau Schavan den Schaden mit einer besseren
Kommunikationspolitik begrenzen können?
Die Kommunikationspolitik ist für eine Wissenschaftsministerin
katastrophal. Als die Vorwürfe das erste Mal bekannt wurden, kamen
diese von einer anonymen Person. Daraufhin forderte sie, dass sich
der Betreffende erst einmal outen solle, da sie sich mit anonymen
Vorwürfen nicht beschäftigt. Das zeugt in meinen Augen von einem
tiefen Unverständnis des Wissenschaftssystems, das mich geradezu
schockiert hat. Wenn es sich bei der anonymen Person um einen
Wissenschaftler handelt und der gibt sich zu erkennen, ist die
wissenschaftliche Karriere danach doch vorbei. Derjenige befindet
sich in einer deutlich schlechteren Position als sie und riskiert
seine Existenz. Frau Schavan scheint eine Vorstellung vom
Wissenschaftssystem zu haben, die mit der Realität nichts zu tun
hat.
nächste Seite: „Dreiste Plagiate sind recht selten”
Wie wirkt sich die Aberkennung der Doktorwürde auf
Schavans Glaubwürdigkeit in der Wissenschaft aus? Ist sie als
Ministerin überhaupt noch zumutbar?
Allein aufgrund der Kommunikationsstrategie ist sie für mich als
Wissenschaftsministerin nicht mehr tragbar. Außerdem geht es hier
um Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens wie Zitation und
geistiges Eigentum. Wenn ich dazu als zuständige Ministerin nichts
sage und mich nicht einmal rechtfertige, kann ich nicht im Amt
bleiben. Selbst ohne Entzug des Doktortitels gibt es da schon genug
Gründe. Spätestens seit der Aberkennung des Doktortitels sollte sie
jedoch auch politisch nicht mehr vermittelbar sein.
[gallery:Kleine Bildergeschichte der Minister-Rücktritte aus 63 Jahren Bundesrepublik]
Es gab in den vergangenen Jahren einige prominente
Plagiatsfälle. Wie groß ist das Ausmaß an Plagiaten abseits der
öffentlich bekannten Fälle?
Die statistische Datenlage im Bereich der Promotionen ist eine
Katastrophe. Wir wissen noch nicht einmal, wie viele Personen in
Deutschland promovieren. Daher gibt es auch für Plagiate höchstens
grobe Schätzungen. Ich glaube, dass man in vielen Doktorarbeiten
ein kleines Haar in der Suppe finden kann, was aber nichts mit
Plagiaten zu tun haben muss. Dreiste Plagiate sind meiner Meinung
nach recht selten, da diese meist schon vorher auffliegen. Das
System der Promotionsprüfung lässt in der momentanen Form aber
immer noch genug Lücken.
Sollte man das System der Promotionsprüfung dann nicht
überdenken?
Das Thema Qualitätssicherung in der Promotion war früher nicht
existent. Nun gibt es dazu zahlreiche Konferenzen und eine große
Diskussion.
Dann haben die prominenten Fälle der letzten Jahre in
der Wissenschaft ja doch etwas Positives bewirkt.
Natürlich. Allein, dass die Diskussion in Gange ist, ist schon
positiv. Das wird jedoch von der Öffentlichkeit kaum bemerkt.
Intern ist das aber ein großes Thema.
Rechnen Sie denn mit weiteren prominenten
Plagiatsfällen?
Nach dem Rücktritt von Guttenberg hätte ich gesagt, dass sich das
Problem in engen Grenzen halten wird. Bei der Masse an Fällen, vor
allem im politischen Bereich, die wir in den vergangenen Jahren
gesehen haben, gehe ich aber davon aus, dass da noch mehr kommen
wird. Die prominentesten Beispiele sind damit wahrscheinlich
abgehandelt, da wird aber sicherlich weiter gegraben werden.
Herr Dr. Weiss, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Norman Weiss ist Bundesvorsitzender von THESIS, einem interdisziplinären Netzwerk für Promovierende und Promovierte. Seit Februar 2010 ist er Dekanatsgeschäftsführer des Fachbereiches Mathematik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik der Universität Hildesheim.
Das Gespräch führte Julian Graeber. Fotos: picture alliance, Petra Coddington (Porträt)
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